Implantologie 11.08.2022

Ästhetisches Weichgewebemanagement



Ästhetisches Weichgewebemanagement

Foto: Dr. Thomas Hanser

Damit ein Implantat ein ästhetisches und natürliches Erscheinungsbild erhält, müssen viele Faktoren sowohl bei der Planung als auch während der Therapie erfüllt sein. Einer der wichtigsten ist dabei die Erhaltung bzw. Regeneration des Weichgewebes. Ein gutes Management sorgt nicht nur für eine reibungslose Behandlung, sondern auch für einen störungsfreien Heilungsprozess. Im folgenden Interview schildert Dr. Thomas Hanser, DG PARO-Spezialist für Parodontologie® sowie Fachzahnarzt für Oralchirurgie und tätig in der Privatzahnklinik Schloss Schellenstein in Olsberg, worauf es beim Weichgewebemanagement vor allem in der Ästhetik ankommt.

Herr Dr. Hanser, welchen Stellenwert nimmt das Weichgewebemanagement heutzutage in der Implantologie ein?

Die ursprünglich rein funktionelle Rehabilitation mit Implantaten änderte sich im Laufe der letzten Jahre durch verbesserte Operationstechniken zu einer ästhetisch idealen Therapiemöglichkeit, fehlende Zähne zu ersetzen. Die dafür notwendige prothetisch ausgerichtete Implantatplanung setzt die Möglichkeit voraus, selbst bei fehlendem Hart- und Weichgewebe, durch entsprechende augmentative Maßnahmen, das Implantat in die anatomisch korrekte Position zu inserieren. Das Weichgewebe nimmt diesbezüglich sowohl eine ästhetische als auch funktionelle sowie protektive Schlüsselposition ein.

Welche klinischen Aspekte sind im Rahmen des Weichgewebemanagements in der Implantologie zu beachten?

Die Breite und Position der keratinisierten Gingiva, die bukkale Kontur der Alveole, die Ebene und Konfiguration der mukogingivalen Grenze sowie Höhe und Form der Papillen spielen für ein natürliches Erscheinungsbild der roten Ästhetik eine wichtige Rolle. Aus funktioneller Sicht ist der Erhalt von keratinisierter periimplantärer Gingiva wichtig, um eine adäquate Mundhygiene zu ermöglichen und dauerhaft reizfreie Schleimhautverhältnisse zu erhalten. Im Rahmen augmentativer Maßnahmen hat das Weichgewebe die Aufgabe, das Augmentat zu schützen, frühzeitige Expositionen zu vermeiden und eine sichere Einheilung des Transplantates zu gewährleisten. Generell gilt es, das Weichgewebe bei allen implantologischen Maßnahmen mit größter Sorgfalt zu behandeln, die natürliche Textur und Kontur der Gingiva zu erhalten, um eine natürliche Harmonie der Rot-Weiß-Ästhetik zu erreichen.

Welche Faktoren begünstigen bzw. verhindern einen größeren Verlust von Weichgewebe nach der Zahnextraktion im ästhetischen Bereich?

Die sogenannte Socket Preservation bietet die Möglichkeit, die anatomischen Konturen der Alveole zu erhalten und kleine Knochendefekte in der bukkalen Lamelle vor der Implantation zu rekonstruieren, indem die Extraktionsalveole direkt nach der Zahnentfernung regeneriert wird. Dadurch soll eine spätere umfangreiche Augmentation vermieden und das Weichgewebe unterstützt werden. Voraussetzung für ein solches Vorgehen ist, dass es sich um kleinere Knochendefekte handelt und keine akute Entzündungssymptomatik vorliegt. Nach der Zahnextraktion und Kürettage der Extraktionsalveole, kann diese mit Biomaterialien aufgefüllt oder wie wir im Jahre 2014 publiziert haben,1 mit autogenen Transplantaten versorgt werden. Um den Erhalt der alveolären Morphologie zu erreichen und eine Verschiebung der mukogingivalen Grenze zu vermeiden, wird die Socket Preservation häufig mit gestielten oder freien Gingivatransplantaten kombiniert.

Welche Herausforderungen treten Ihrer Erfahrung nach am häufigsten im Rahmen des ästhetischen Weichgewebemanagements während der Implantattherapie auf?

Wenn das Knochenangebot in der Höhe und Breite unzureichend ist, werden knochenregenerative Maßnahmen erforderlich. Die Knochendefektmorphologie ist maßgebend für die Auswahl der rekonstruktiven Technik.2 Der neu geschaffene Alveolarknochen dient zur Unterstützung der Weichgewebe und spielt des-halb für die Rot-Weiß-Ästhetik eine entscheidende Rolle. Häufig werden Hartgewebedefekte von Weichgewebedefiziten begleitet, was die plastische Deckung des zu augmentierenden Bereichs erschwert und damit für den Operateur eine Herausforderung darstellt. In diesen Fällen spielt das Weichgewebe nicht nur eine ästhetische Rolle, sondern dient auch zur Protektion der zu augmentierenden Areale. Deshalb macht es nicht nur aus ästhetischen Gründen Sinn, das Weichgewebe in Qualität und Quantität zu optimieren.

Wie kann das Weichgewebe bei Kieferkammdefekten im ästhetischen Bereich optimiert und wie können Komplikationen vermieden werden?

Ein wichtiger Faktor ist ein hermetischer Wundverschluss, ein spannungsfreies Lappendesign sowie eine breite Lappenbasis, um die Vaskularisation des Weichgewebes zu erhalten. Des Weiteren bietet beispielsweise der palatinal gestielte Bindegewebelappen eine Möglichkeit im ästhetischen Bereich, eine zusätzliche Weichgewebedeckung zu erreichen. Vor allem im Rahmen vertikaler Augmentationen bietet sich diese Technik an, um neben einem stabilen zweischichtigen Wundverschluss zusätzliches Weichgewebevolumen zu schaffen. Die Prognose gestielter Bindegewebelappen ist der von freien Bindegewebetransplantaten überlegen, weil ein Teil der Lappenvaskularisation aufrechterhalten bleibt. Das gewonnene Weichgewebe kann in diesen Fällen zudem im Rah-men der Implantatfreilegung herangezogen und zur Ausformung eines ästhetischen Emergenzprofils bei der implantatprothetischen Versorgung genutzt werden.

Welche Gesichtspunkte sind im Rahmen der Implantatinsertion zu beachten, um ein ästhetisches und natürliches Erscheinungsbild des periimplantären Weichgewebes zu erreichen?

Auf Inzisionen sollte in der ästhetisch relevanten Zone zur Vermeidung von Narbengewebe maximal verzichtet werden. Idealerweise wird die Schnittführung zur Implantatinsertion lediglich krestal geführt. Sollten dennoch vertikale Inzisionen ins Vestibulum notwendig werden, so ist häufig eine Entlastung zur Darstellung des Operationsgebietes ausreichend. Diese sollte in den distalen, nicht sichtbaren Bereich gelegt werden. Bei Lappenpräparationen sollte die Exposition des Alveolarknochens minimiert werden, da es durch das Abheben von Periost zu Knochenresorptionen kommen kann. Bindegewebetransplantate können zur Konturierung von alveolären Weichgewebedefekten, aber auch zum Volumengewinn bei ästhetisch relevanten Implantationen eingebracht werden.3 Hilfreich ist diesbezüglich eine supraperiostale Tunnelpräparation. Diese bietet die Möglichkeit, ohne zusätzliche vertikale Entlastungsschnitte das Bindegewebetransplantat in der ästhetisch relevanten Zone optimal zu positionieren und das Weichgewebevolumen natürlich zu konturieren. Entscheidend für ein ästhetisches und natürliches Erscheinungsbild des periimplantären Weichgewebes ist aber letztendlich eine anatomisch und prothetisch korrekte Implantatausrichtung.

Welche Rolle nimmt das Weichgewebemanagement im Hinblick auf die prothetische Versorgung eines Implantates in der ästhetischen Zone ein?

Neben ästhetischen Faktoren wie der Lachlinie und der dentomaxillären Harmonie ist es vor allem das Emergenzprofil, das eine essenzielle Rolle für ein natürliches Erscheinungsbild von Implantaten im Frontzahnbereich spielt. Das Emergenzprofil wiederum ist entscheidend abhängig von einer korrekten Implantatpositionierung. Eine sorgfältige präimplantologische Diagnostik und prothetische Planung sind deshalb unerlässlich. Unter diesem Gesichtspunkt werden in vielen Fällen augmentative Maßnahmen erforderlich, obwohl an sich ohne Berücksichtigung ästhetischer Aspekte die Insertion eines Implantats per se möglich wäre. Das während der chirurgischen Phase geschaffene Weichgewebevolumen wird durch eine individuelle und anatomische Gestaltung des Abutments ausgeformt. Im Sinne einer natürlichen Ästhetik sowie maximaler Gewebeverträglichkeit bieten sich heutzutage in der ästhetischen Zone vollkeramische Suprastrukturen an.

Ist demnach für ein ideales ästhetisches Ergebnis eine enge Kooperation zwischen dem Chirurgen, Prothetiker und Zahntechniker unerlässlich?

Diese Kooperation ist ein wesentlicher Bestandteil unserer täglichen Arbeit und ein wichtiger Bestandteil der Kommunikation mit unseren Überweisern. Die Therapieplanung muss unter chirurgischen und prothetischen Gesichtspunkten erfolgen. Bereits vor Behandlungsbeginn muss eine exakte Vorstellung über das Behandlungsergebnis vorliegen und in enger Kooperation mit dem Prothetiker und Zahntechniker eine prothetisch basierte Planung durchgeführt werden. Ziel aller Maßnahmen sollte es sein, die anatomischen Weichgewebekonturen idealerweise bereits am Tag des Zahnverlusts zu erhalten, um ästhetische Einbußen von Beginn an zu vermeiden. Die Weiterentwicklung augmentativer Techniken verbessern das Weichgewebe bei jedem Behandlungsschritt in der Qualität sowie Quantität und führen zu einer deutlichen Erweiterung des implantologischen Indikationsbereiches.4 Biologisch basierte Techniken und Materialien komplettieren die Rot-Weiß-Ästhetik und machen langfristige ästhetische Ergebnisse in der zahnärztlichen Implantologie vorhersagbar.

Herr Dr. Hanser, vielen Dank für das Gespräch.

Eine Literaturliste steht hier zum Download für Sie bereit.

Dieses Interview ist unter dem Originaltitel „Ästhetisches Weichgewebemanagement in der Implantologie“ im Implantologie Journal erschienen.

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