Kieferorthopädie 08.12.2016

Großartige und nahezu unbegrenzte Möglichkeiten



Großartige und nahezu unbegrenzte Möglichkeiten

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Dr. Rafi Romano demonstriert anhand eines skelettalen Klasse III-Falls mit Dysgnathie-Chirurgie, wie durch Anwendung von 3D-CAD/CAM-Werkzeugen die Behandlungsplanung optimiert und die Präzision des Ergebnisses maximiert werden können.

Es ist allseits bekannt, dass der Fachbereich KFO für modern arbeitende Kieferorthopäden heutzutage zu einer großen Herausforderung geworden ist. Die Nachfrage nach ästhetischen Behandlungen ist innerhalb der letzten zwei Jahrzehnte enorm angestiegen, und das in diesem Zusammenhang von den Patienten erworbene globale Wissen liegt dabei weit über dem Durchschnitt. Neue Technologien, welche großartige Möglichkeiten zur Verkürzung von Behandlungszeiten mithilfe unsichtbarer/ästhetischer Apparaturen proklamieren, bescheren uns eine wachsende Anzahl an Patienten. Gesucht werden daher noch genauere Tools, um Behandlungen zu planen und deren Ergebnisse noch besser vorhersagen zu können. CAD/CAM (Computer Aided Design and Manufacturing) stellt heutzutage ein alltägliches Werkzeug in der Zahnmedizin dar. Intraoralscanner werden für die Fertigung von Kronen und Brücken, Restaurationen oder digitalen Abdrücken usw. eingesetzt. DVT-Aufnahmen können in die CAD/CAM-3D-Software integriert werden, um die Insertion von Implantaten zu erleichtern. Obwohl die Möglichkeit, all diese neuen Technologien auch in die Kieferorthopädie zu integrieren, innerhalb der letzten zehn Jahre existierte, ist deren Anwendung durch den Kieferorthopäden immer noch sehr gering. Die Gründe dafür liegen höchstwahrscheinlich in folgenden Fakten begründet:

  • Die Anschaffungskosten für einen Intraoralscanner sowie für die 3D-Behandlungsplanung sind immer noch sehr hoch.
  • Die Lernkurve zur Aneignung der erforderlichen Fähigkeiten und Kenntnisse ist lang und herausfordernd.
  • Zahnmedizinische Ausbildungsstätten und Postgraduiertenprogramme berücksichtigen diese Technologien nicht in deren Lehrplänen.

Nichtsdestotrotz sind die Möglichkeiten, moderne 3D-Simulationstechnologien zur Planung und Vorhersage kieferorthopädischer Zahnbewegungen sowie zur Verkürzung von Behandlungszeiten zu nutzen, äußerst beeindruckend. Obwohl diese lediglich von ein paar Kieferorthopäden weltweit genutzt werden, sind die damit verbundenen Optionen großartig und nahezu unbegrenzt. Der im Folgenden dargestellte klinische Behandlungsfall zeigt die 3D-CAD/CAM-Technologie, vom ersten Besuch des Patienten in der Praxis bis zum erfolgreichen Behandlungsabschluss nach neun Monaten.

Ein 19-jähriger Patient stellte sich in unserer Praxis mit einer skelettalen Klasse III-Malokklusion vor. Er wies einen kleinen und nach posterior verlagerten Oberkiefer, eine kurze Oberlippe, beim Lächeln nur wenig sichtbare obere Zähne (Abb. 1), einen anterioren Kreuzbiss von Eckzahn zu Eckzahn, einen negativen Overjet von 7 mm, nach bukkal inklinierte obere Schneidezähne sowie nach lingual inklinierte untere Schneidezähne sowie Lücken im unteren Frontzahnbereich auf (Abb. 2). Um die Behandlung genau zu planen, verwendeten wir SureSmile®, eine 3D-Software, kombiniert mit tollen Simulationswerkzeugen (z. B. digitale 3D-Modelle, Integrieren von intra- und extraoralen Aufnahmen in das Programm, Visualisierung aller geplanter Zahnbewegungen, finaler Kontaktpunkte und der Okklusion) sowie Fertigungsmöglichkeiten, die verschiedene Tools für eine kieferorthopädische Behandlung bieten (z. B. indirekte Klebetrays zur genauen Platzierung von Brackets sowie robotergebogene Behandlungsbögen). Es wurden bukkale Brackets geklebt (QuicKlear® Keramikbrackets im Oberkiefer und BioQuick® Metallbrackets im Unterkiefer, .018"er Slot, MBT Prescription, Fa. FORESTADENT). Der Patient wurde für eine DVT-Aufnahme zur Visualisierung des Schädels sowie der Zahnstruktur mit Brackets, welche in der jeweils bevorzugten Position auf jedem Zahn geklebt wurden, überwiesen (Abb. 3). Die Panorama- und Fernröntgenseitenaufnahmen wurden aus dem DVT extrahiert, um die Strahlendosis für den Patienten so gering wie möglich zu halten (Abb. 4). Alle Daten wurden in die Sure-Smile-Software integriert. Die klinischen Fotos des Patienten (Gesicht und Zähne) wurden entsprechend eingearbeitet und auf seinem digitalen 3D-Modell überlagert. Durch die DVT-Aufnahme konnte noch die komplette Ansicht seines Schädels, des Ober- und Unterkiefers sowie der Kiefergelenke in das dreidimensionale Umfeld eingebracht werden, inklusive einer freien Sicht auf die Zahnwurzeln (Länge und Richtung; Abb. 5). Mithilfe einer einfachen Benutzeroberfläche kann der Kieferorthopäde sich mit einem Klick von einem Screen zum anderen mit verschiedensten Ansichtsoptionen bewegen, welche je nach Vorlieben des Anwenders individualisiert werden können (Abb. 6).

MKG-Chirurg und Kieferorthopäde können kommunizieren und die gewünschten Zahnbewegungen sowie den anstehenden chirurgischen Eingriff mit einem Maximum an Genauigkeit und verlässlicher Vorhersagbarkeit planen. Alle Optionen können diskutiert und virtuell mit der Software simuliert werden, bevor mit irgendeiner orthodontischen Bewegung begonnen wird. Die 3D-Plattform ermöglicht dem jungen Patienten und dessen Eltern, in die Diskussion sowie in die unterschiedlichen Behandlungsmöglichkeiten und deren Folgen integriert zu sein. Der chirurgische Eingriff kann dabei millimetergenau geplant werden. Dreidimensionale Modelle werden aus der Software extrahiert, und mithilfe von 3D-Druckern werden chirurgische Führungssplints und Modelle für verschiedene Vorher-Nachher-Simulationen gefertigt. Ist der Behandlungsplan geprüft und innerhalb des multidisziplinären Teams abgestimmt, plant der Kieferorthopäde die benötigte Bogensequenz zur Bewegung der Zähne in deren gewünschte Position, im Vorfeld des chirurgischen Eingriffs, und – sofern erforderlich –, um den Fall nach erfolgter Chirurgie fertig behandeln zu können. Ein aus drei Teilen bestehender Le Fort-I-Oberkiefer wurde in diesem Fall geplant, um den Oberkiefer nach vorn zu bringen und zu elongieren.

Die Möglichkeiten für die Individualisierung kieferorthopädischer Drähte sind zahlreich. Der Kieferorthopäde kann hierbei zwischen drei verschiedenen Metallen (Copper-NiTi, Beta-Titanium sowie Edelstahl), unterschiedlichen Querschnitten (rund oder vierkant) sowie diversen Bogendimensionen wählen. Der Behandler kann zudem auf spezielle Bögen zugreifen, welche lediglich einen Teil der geplanten, auf einen bestimmten Zahn (Zähne) wirkenden Kraft bieten. Diese Option ist insbesondere bei Fällen mit z. B. parodontalen Einschränkungen hilfreich, bei minimaler Knochenunterstützung oder starken Abweichungen hinsichtlich Wurzeltorque, um Wurzelresorptionen aufgrund zu exzessiver Kräfte zu vermeiden.
Die Software ermöglicht es dem Kieferorthopäden, die Behandlungsbögen im dreidimensionalen Interface zu sehen und den Behandlungsworkflow und die Praxistermine entsprechend zu planen (Abb. 7). Alle Aspekte der geplanten Zahnbewegungen (Angulation, Inklination, Torque) können für jede Phase der Therapie visualisiert werden. Alle schwierigen Bewegungen werden automatisch in rot markiert, um die Aufmerksamkeit des Kieferorthopäden darauf zu lenken und ihm die entsprechende Anpassung des Plans zu gewährleisten – sofern erforderlich – oder zusätzliche Werkzeuge, wie z. B. Miniimplantate oder weitere posteriore Zähne für eine maximale Verankerung und minimale Kraft hinzuzufügen (Abb. 8). Alle Bögen werden mit einem Template geliefert, das dem Kieferorthopäden anzeigt, wie diese genau im Mund des Patienten zu platzieren sind, und mit allen Informationen zu den speziellen Bogeneigenschaften. Lasermarkierungen finden sich stets auf den Bögen, und zwar in Höhe der Zähne 11 und 14, um eine genaue Insertion des Bogens zu ermöglichen (Abb. 9).

Zur Umsetzung des Behandlungsplans und der  Therapieziele wurden in unserem Fall vier Bögen bestellt – ein Copper-NiTi .016" x .016", ein Copper-NiTi .017" x .025", ein Beta-Titan-Bogen .016" x .022" sowie ein Beta-Titan-Bogen der Dimension .017" x .025". Nach sieben Monaten Behandlung, inklusive vier Bogenwechsel-Terminen in der Praxis, war der Patient bereit für den chirurgischen Eingriff. Abbildung 10 zeigt die Okklusion und das Profil des Patienten zwei Wochen nach erfolgter Chirurgie. Es war eine Überkorrektur vorgegeben, um etwas Relapse bei der Korrektur des Overjets zu gewährleisten. Es wurde ein intraorales Scanning durchgeführt und zwei Extra-Bögen wurden bestellt, um in den folgenden zwei Monaten die Zahnbewegungen abzuschließen.

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