Kieferorthopädie 21.02.2011
Hilfsmittel für die Therapie
Minischrauben bieten eine zuverlässige Verankerung zur Lösung herkömmlicher Behandlungsaufgaben. Aber sie eröffnen auch völlig neue Möglichkeiten für die kieferorthopädische sowie präprothetische Behandlung (siehe Teil 3 und 4 der Minischrauben-Serie). Für all diese Therapievarianten sind entsprechende Hilfsmittel bzw. Kopplungselemente erforderlich. In diesem Teil stellen die Autoren verschiedene Produkte vor, die bei der Therapie mit Minischrauben nicht nur hilfreich, sondern auch effektiv und effizient sind.
Blick in den Dschungel
Die Anzahl an Dentalfirmen, die Minischrauben anbieten, wächst beständig. Derzeit sind es vermutlich mehr als 45 weltweit. Betrachtet man sich die Lieferprogramme, sind zwei Tendenzen erkennbar. So gibt es Firmen, welche nur die Minischrauben selbst sowie die notwendigen Insertionsinstrumente anbieten. Zur Realisierung einer skelettalen Verankerung sind die Minischrauben an sich jedoch nur das Mittel zum Zweck. Eine Tatsache, die häufig zu sehr im Hintergrund steht. Denn damit das gewünschte Therapieziel erreicht werden kann, sind in jedem Fall entsprechende Hilfsmittel (z.B. Federn, Gummiketten, Drahtelemente) notwendig. Für die eigentliche Therapie ist man in diesem Fall gezwungen, sich alle erforderlichen Teile bei anderen Anbietern zu suchen. Unter Umständen entstehen in diesen Fällen dann Probleme hinsichtlich der Kompatibilität zwischen der Minischraube und den Hilfsteilen.
Es gibt nur wenige Minischrauben-Anbieter, bei denen man von einem mehr oder weniger kompletten System sprechen kann. Dies bedeutet, neben den Minischrauben sind auch Hilfsmittel für die Diagnostik und Therapie im Lieferprogramm (Tabelle 1). Es ist davon auszugehen, dass eine Kompatibilität zwischen den Hilfsteilen und dem Kopf der jeweiligen Minischraube besteht. Nach dem Prinzip eines Baukastens kann man die Hilfsteile für die Herstellung der stets individuellen Apparaturen nutzen. Je mehr verschiedene Arten von Hilfsmitteln dabei zur Verfügung stehen, umso größer sind die Freiheit bei deren Nutzung sowie die Flexibilität für die verschiedenen Indikationen.
Firmen mit Auxiliaries | Name der Minischraube |
DENTAURUM (Deutschland) | tomas®-pin |
FORESTADENT (Deutschland) | Ortho Easy® |
Mondeal (Deutschland) | BENEFIT |
HDC (Italien) | Spider Pin |
Micerium (Italien) | M.A.S. |
Bio Materiales (Korea) | Orthodontic Mini Implant |
Dentos (Korea) | AbsoAnchor |
Jeil Medical (Korea) | Dual-TopTM Anchor Screw |
Bio-Ray (Taiwan) | A-1 |
IMTEC Corp. (USA) | Ortho Implant |
Ormco (USA) | VectorTASTM |
Tabelle 1
Bei Anbietern von Minischrauben, deren eigentliches Kerngeschäft die Kieferorthopädie ist, findet man in der Regel die notwendigen Hilfsmittel im Lieferprogramm. Für den Anwender ist es sehr bequem und zeitsparend, wenn das vorhandene Zubehör der Minischraube entsprechend zusammengefasst oder gar als Set angeboten wird. So erhält man beispielsweise mit dem tomas®-auxiliary kit von DENTAURUM eine Box, die die wichtigsten Hilfsmittel für die Therapie mit Minischrauben enthält und auch noch Raum für Ergänzungen bietet.
Hilfsmittel für die direkte Anwendung am Stuhl
Diese Hilfsmittel lassen sich in drei Gruppen einteilen. Die Einteilung ergibt sich aus dem notwendigen Aufwand, den der Anwender hat, bevor er das jeweilige Hilfsmittel nutzen kann:
• Rohteile
• Halbfertigteile und
• Fertigteile.
Rohteile
Es handelt sich dabei ausschließlich um Drähte (rund und vor allem vierkant) in unterschiedlichen Dimensionen und Materialarten. Aus diesen Drähten fertigt man sich individuelle Hilfsmittel, was – je nach Art der gewünschten Apparatur – mehr oder weniger zeitaufwendig sein kann. Die Drähte sind, insbesondere wenn es sich um Edelstahl handelt, sehr preiswert.
Runde Drähte nutzt man i.d.R. im Sinne von Ligaturen, also für reine Befestigungs- bzw. Fixierungsaufgaben. Durch entsprechendes Verdrillen können sie aber auch Zugkräfte ausüben (Abb. 1). Runde Drähte lassen keine 3-D-Kontrolle zu und bieten nur einen geringen Widerstand gegen Verwindung. Vierkantdrähte hingegen ermöglichen durch ihre Verwindungssteifheit eine 3-D-Kontrolle sowie eine sehr stabile und in Abhängigkeit von der Drahtdimension rigide Kopplung zwischen Minischraube und Apparatur (Abb. 2). Ein slotfüllender Draht ist zu empfehlen.
Abb. 1 Die Drahtligatur wird entsprechend aktiviert und übt den für die Bewegung des Eckzahns notwendigen Druck aus. (Foto: Dr. Morea, São Paulo) Abb. 2 Der Einsatz von Vierkantdrähten ermöglicht eine sehr rigide (indirekte) Kopplung. (Foto: Dr. Böhm, Obertshausen)
In manchen Fällen kann es erforderlich sein, den Vierkantdraht abzuwinkeln. Zum Beispiel ist es bei der Mesialisation von Vorteil, wenn man am Pin einen Haken zum Einhängen einer Feder oder Elastikkette hat und zum anderen eine Ankopplung zum Hauptbogen anbringt. Dazu sollte der Draht im rechten Winkel abgebogen werden. Es gibt noch eine weitere Anwendung für einen abgewinkelten Draht. Das Fixieren von Vierkantdrähten im Slot der Minischraube erfolgt durch Ligaturen oder einen Tropfen Adhäsiv. In Abhängigkeit von den reziproken Kräften und der Qualität dieser beiden Fixierungsmöglichkeiten könnte der Draht (vierkant, aber auch rund!) unter Umständen im Slot gleiten. Dies kann zumindest bei den Pins mit Kreuzslot sehr einfach verhindert werden, indem der Draht abgewinkelt wird (Abb. 3a). In beiden genannten Fällen lassen sich slotfüllende Vierkantdrähte allerdings nur in den Kopf einsetzen, wenn die Slotkanten am Kreuzungspunkt gebrochen sind. Von allen 16 Minischrauben mit Kreuzslot verfügen derzeit nur der Ortho Easy® von FORESTADENT (Abb. 3b) und der tomas®-pin von DENTAURUM (Abb. 3c) über dieses hilfreiche Detail.
Abb. 3a-c Sollen Vierkantdrähte rechtwinkelig im Slot liegen, müssen die Kanten am Kreuzungspunkt der Slots gebrochen sein. Dieses hilfreiche Detail gibt es zurzeit nur bei Ortho Easy® von FORESTADENT (b) und beim tomas®-pin von DENTAURUM (c).
Halbfertigteile
Solche Hilfsmittel sind i.d.R. Teile, die funktionstüchtig vom Hersteller geliefert werden, aber noch individuell angepasst werden müssen (Tabelle 2). Je nach Art und Material des Hilfsmittels sind die Preise moderat und der Zeitaufwand für die Applikation ist gering. Zum Beispiel ist die Aufrichtefeder (Abb. 4a) mit wenigen Handgriffen einsatzbereit. Je nach Einstellung der Feder können untere Molaren nicht nur aufgerichtet, sondern auch gleichzeitig intrudiert oder extrudiert werden. Insbesondere für die präprothetische Behandlung ist dieses Hilfsmittel sehr interessant, um Zähne für die spätere Versorgung in eine bessere Ausgangslage zu bringen (Abb. 4b).
Klemmröhrchen mit angeschweißtem Vierkantdraht (Abb. 5) dienen zur Kopplung von Minischrauben mit einer vorhandenen MB-Apparatur. Falls während der Behandlung temporär eine absolute Verankerung erforderlich ist, kann dies mit solchen Drahtelementen sehr einfach realisiert werden, ohne die gesamte Apparatur oder Teile davon entfernen zu müssen.
Im Rahmen einer „En masse“-Retraktion können mithilfe von Klemmröhrchen und angeschweißtem Runddraht individuelle Häkchen gebogen werden (Abb. 6). Auf diese Weise kann das Zugelement (Feder oder elastische Kette) in der Nähe des Widerstandszentrums wirken.
Abb. 4a und b Aufrichten eines gekippten Molaren mit der tomas®-uprighting spring (a), um eine günstigere Ausgangslage für die prothetischene Versorgung zu haben (b). (Foto 4b: Dr. Morea, São Paolo) Abb. 5 Mit einem an einem krimpbaren Röhrchen angeschweißten Vierkantdraht lässt sich mit wenigen Handgriffen eine Verbindung zum Haupt- oder Segmentbogen herstellen. Abb. 6 An einem krimpbaren Röhrchen befestigter Runddraht.
Drei Firmen bieten vorgefertigte Drahtelemente an, wie z.B. der L- und U-Draht (FORESTADENT) oder der tomas®-T wire (DENTAURUM). Mithilfe dieser Drähte kann man sehr einfach eine Kopplung zu Bändern oder Brackets herstellen (Abb. 7a). Der tomas®-T wire (Abb. 7b) bietet durch seine drei Arme eine Vielzahl von Kombinationen bei der Anwendung. Im Rahmen einer Mesialisation lässt sich zum Beispiel ein Arm zu einem Häkchen biegen. Ein anderer Arm kann über ein Kreuzröhrchen mit dem Hauptbogen verbunden werden. Eine weitere Variante nach Dr. S. Baumgärtel ist die Fixierung der Frontzähne an einer paramedian gesetzten Minischraube (Abb. 7c).
Abb. 7a Der L-Draht (FORESTADENT) ermöglicht eine schnelle Verbidnung von der Minischraube zu einem Bracket oder Band. Abb. 7b Der tomas®-T wire (DENTAURUM)... Abb. 7c ...ermöglicht durch seine drei Arme eine Vielzahl von Verbindungen zwischen der Schraube, einer MB-Apparatur oder den Zähnen. (Foto: Dr. S. Baumgärtel, Cleveland)
Fertigteile
Diese Gruppe umfasst eine ganze Reihe von Hilfsteilen für die unterschiedlichsten Anwendungszwecke (Tabelle 3). Allen gemeinsam ist, dass sie praktisch ohne Zeitaufwand und ohne vorherige Adaptation/Veränderung sofort benutzt werden können. Dieser Komfort hat je nach Art und Ausführung jedoch seinen Preis.
Krimpbare Häkchen
Im Rahmen einer „En masse“-Retraktion ist es oftmals günstig, wenn sich der Kraftansatz der Zugfeder oder Elastikkette auf Höhe des Widerstandszentrums befindet. Sehr einfach lässt sich dies mit vorgefertigten Häkchen realisieren. Sie werden auf den Bogen aufgekrimpt (Abb. 8).
Druckfedern
In die Gruppe der konfektionierten Hilfsteile gehören auch Druckfedern. Diese werden als Meterware geliefert. Mit diesen Federn kann man distalisieren oder mesialisieren. Ein Problem ist die Aktivierung bei nachlassender Federwirkung. Damit dafür nicht jedes Mal die gesamte Apparatur ausgebaut werden muss, kann man Stopps verwenden (siehe Tabelle 3). Diese gibt es zum Aufkrimpen oder als Stopp-Schrauben. Letztere habe den Vorteil, dass sie mit wenigen Handgriffen den unterschiedlichen Gegebenheiten angepasst werden können. Der Arbeitsaufwand zur wiederholten Aktivierung der Feder sinkt durch solche Stopps enorm.
Zugelemente
Zugfedern sind auch keine Neuheit in der KFO. Jedoch bei den herkömmlichen Federn (coil springs) sind meist die Eyelets für eine Kopplung an der Minischraube zu klein. Eine sichere Verbindung zum Kopf ist nur durch Ligaturen oder vorgefertigte Häkchen zum Einhängen der Federn am Kopf gewährleistet. Darum bieten einige Firmen Zugfedern an (Tab. 3), bei denen mindestens ein Eyelet auf den Kopf ihrer Minischrauben abgestimmt ist (Abb. 8). Diese Federn sind i.d.R. aus NiTi gefertigt und können für viele Aufgaben genutzt werden.
Neu sind Nikodem-Federn (Abb. 9a). Diese flachen Zugfedern aus NiTi wurden ursprünglich zur Einordnung verlagerter Eckzähne konzipiert. Aber auch bei der Intrusion und „En masse“-Retraktion (Abb. 9b) haben sie sich inzwischen bewährt.
Elastische Ketten sind ein beliebtes Zugelement. Im Gegensatz zu NiTi-Federn verlieren sie jedoch sehr schnell ihre Wirkung. Aus diesem Grund hängt man die Kette nur am Kopf der Minischraube ein, damit sie später leichter zu entfernen ist. In Abhängigkeit vom Kopfdesign und der Zugrichtung kann es jedoch vorkommen, dass sich die Kette unbeabsichtigt vom Kopf löst. Durch den Einsatz vorgefertigter Häkchen (Tab. 3), die am Kopf der Schraube befestigt werden, kann man dieses Problem umgehen.
Abb. 8 Der Einsatz von vorgefertigten Häkchen (tomas®-crimp hook, DENTAURUM) ermöglicht eine Verlagerung des Kraftansatzpunktes auf die Höhe des Widerstandszentrums. Das Eyelet der Zugfeder passt exakt auf den Kopf der Minischraube. (Foto: Dr. Morea, São Paulo) Abb. 9a Die Nikodem-Federn gibt es mit einer unterschiedlichen Anzahl von Windungen. Abb. 9b Einsatz einer Nikodem-Feder zur "En masse"-Retraktion. (Foto: Dr. Nikodem, St. Louis)
Sliding hook
Diese Gleitröhrchen mit angeschweißtem Arm zum Einhängen von Federn (Tab. 3) sind ebenfalls keine neue Erfindung. Sie erleben im Zusammenhang mit dem Einsatz von Minischrauben eine gewisse Renaissance. Das Einsatzgebiet sind „En masse“-Retraktion, Mesialisation und Distalisation. Der Erfolg bzw. die Wirkung der Sliding hooks ist abhängig von zahlreichen Faktoren. Darum ist das Konzept eines am Bogen gleitenden Hakens umstritten.
Hilfsmittel für die indirekte Anwendung im Labor
Alle zuvor dargestellten Hilfsteile können mit mehr oder weniger geringem Zeitaufwand direkt am Stuhl vorbereitet und inseriert werden. In den letzten Jahren wurde das Indikationsspektrum für Minischrauben auch auf skelettale Veränderungen, wie z.B. die Erweiterung der Gaumennaht ausgedehnt. Solche Apparaturen erfordern in der Vorbereitung einen erhöhten Aufwand. Aus diesem Grund verlegt man diese Arbeiten ins Labor. Der prinzipielle Arbeitsablauf besteht in der Insertion der Minischraube(n) und der anschließenden Abformung. Auf dem Arbeitsmodell erfolgt die Anfertigung bzw. das Anpassen der Apparatur. Für die Kopplung zur Minischraube ist ein entsprechendes Abutment erforderlich. Bei der „Hybrid-GNE“ werden z. B. zwei Arme der Expansionsschraube an das Abutment geschweißt. Die Labor-Abutments von FORESTADENT passen über den Kopf der Ortho Easy®-Schraube. Die Befestigung bei der Insertion erfolgt mit einem Adhäsiv.
Ein anderes Konzept wird mit der BENEFIT-Schraube (Mondeal) verfolgt. Analog zu prothetischen Implantaten gibt es einen im Knochen verankerten Teil, also die eigentliche Minischraube. Anstelle des bisher bekannten, fest mit dem Gewindeteil verbundenen Kopfes, stehen verschiedene Abutments (Tab. 3) zur Verfügung. Diese verschraubt man mit dem enossalen Anteil. Auf diese Weise lassen sich viele Apparaturen, z. B. zur Distalisation, Verankerung, Retention und Gaumennahterweiterung, im Labor vorbereiten. Dies spart ohne Frage Zeit am Stuhl. Dieses hohe Maß an Flexibilität birgt aber den Nachteil einer Vielzahl von Teilen, ggf. mit der entsprechenden Lagerhaltung. Je nach Insertionsregion ist das Festschrauben der Apparatur unter Umständen nicht ganz so einfach, da die enossale Anteile der BENEFIT-Schrauben Durchmesser von 1,5 mm bzw. 2,0 mm haben. Entsprechend grazil sind die Verbindungsschrauben.
Zusammenfassung
Je nach Aufgabenstellung sind unterschiedliche Hilfsteile erforderlich. Die meisten der vorgestellten Kopplungselemente sind nicht neu und werden schon lange und erfolgreich in der Kieferorthopädie benutzt. Darum sind sie größtenteils auch in jeder Praxis vorhanden, aber leider oft nicht an einem Platz. Damit man nicht lange suchen muss, ist es aus Gründen der Effizienz zu empfehlen, die wichtigsten Hilfsteile in einem Tray zusammenzufassen. Diesen kann man selber kreieren oder man greift auf eine konfektionierte Box zurück.
Autoren: Drs. Ludwig, Glasl, Lietz und Prof. Lisson