Parodontologie 13.04.2017

Ganzheitliche parodontale Therapieunterstützung – Ernährung (Teil 2)



Ganzheitliche parodontale Therapieunterstützung – Ernährung (Teil 2)

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Aus der Artikelserie „Die parodontale Therapie ist überholt und braucht ein Update“

Der Autor geht davon aus, dass die lokal keimreduzierende Therapie am Parodontium eine lokal temporäre Therapie ist. Nach seiner Auffassung hat Parodontitis einen multifaktoriellen Ursachenkomplex.

Der professionelle Therapiebeginn stellt die Voraussetzung, die Grundlage dar, ist aber nicht die Therapie und somit auch nicht ausreichend zum Stopp des Knochenabbaus. Für einen aus­geglichenen Knochenstoffwechsel ist ein regelmäßiges, individuelles Recall notwendig, kontinuierlich mit drei Therapieschritten:

  • 1. Therapie der Entzündung durch Vermehrung positiver, regenerativer Mikroorganismen und Umstellung des Patienten auf effektive Mikro­organismen (EM) – Teil 1, 4
  • 2. Therapie des Bone Remodeling – Teil 2, 3, 4, 5
  • 3. Ganzheitliche Betrachtung, mit Blick auf den Knochenstoffwechsel, einen ausgeglichenen Flüssigkeitshaushalt und eine adäquate Ernährung – Teil 6, 7, 8, 9

Seit 1965 (Abb. 1) ist bekannt, dass es bei unterlassener Zahnpflege nach sieben Tagen zu einer Gingivitis kommt. Nach professioneller Reinigung und regelmäßiger Zahnpflege dauert es ebenfalls wieder sieben Tage und die provozierte Gingivitis ist ausgeheilt.4 Studien von Quirynen17 belegen: „[…] eine fast vollständige bakterielle Re­kolonisation einer Zahnfleischtasche innerhalb von sieben Tagen nach der Wurzelreinigung und Glättung. Verantwortlich dafür ist sowohl die Reinfek­tion aus benachbarten Taschen und dem gesamten Oropharynx als auch die Reinfektion durch Restablagerungen an Einziehungen, Furkationen, Vertiefungen, Nischen, Ecken und Kanten.“ Die Prädilektionsstellen der Parodontitis sind für den Patienten kaum händelbar.

Das Grundproblem der Prophylaxe besteht folglich:

  • 1. in den patienteneigenen individu­ellen Gegebenheiten mit dem daraus resultierenden Schwierigkeitsgrad für den Behandler.  
  • 2. der Perfektion des Behandlers und dem ständigen Kompromiss zwischen gründlicher Arbeit und dem dabei bewusst in Kauf genommenen, iatrogen provozierten Gewebeschaden.19, 23  
  • 3. der selbstständigen Reinfektion, die nach einer Woche bereits das gleiche Keimspektrum zeigt.17    

Prophylaxezeitfenster: 7 Tage

Andererseits bringt eine ungenügende Reinigung nicht den gewünschten Erfolg.3 In der Regel ist der parodontal erkrankte Patient nicht in der Lage, die Prädilektionsstellen ausreichend zu reinigen. Dies obliegt dem zahnärzt­lichen professionellen Part. Nach Quirynen et al.17 muss die Prophylaxe alle sieben Tage wiederholt werden, weil nach sieben Tagen das gleiche Keimspektrum an den Prädi­lektionsstellen auftritt wie vor der pro­fessionellen Reinigung. Erschwerend kommt hinzu, dass ein Expertensym­posium feststellte: „Plaquekontrolle war gestern, die komplette Entfernung des Biofilms ist nicht möglich und nicht sinnvoll. Der Biofilm ist nur zu managen.“2, 15 Eine vollständige Entfernung von Bakterien und Biofilmen ist nicht möglich. Wir müssen lernen, mit der Keimbelastung und den Biofilmen zu leben und dennoch therapeutisch wirksam zu sein.1, 5, 6, 20 Infolge unge­nügender  Mundhygiene und unzureichender professioneller Unterstützung wird sich eine Gingivitis entwickeln.16

Ob sich aus der Gingivitis eine Paro­dontitis entwickelt, hängt wesentlich von der individuellen Reaktion des Wirts und seiner sonstigen Belas­tung und nur zu einem kleineren Teil von den Mikroorganismen selber ab (Abb. 2).3, 23 Außerdem können auch viele gene­tische und nichtgenetische Faktoren Auslöser für parodontalen Knochen­abbau sein.3, 18, 21, 23

Durch diesen ne­gativen Knochenstoffwechsel und ungünstige statische Belastung können Zahnfleischtaschen entstehen, in de­nen die regenera­­ti­ven Mikroorganismen ungünstige Bedingungen haben.  

Milieuveränderung statt Keimreduktion

Prophylaxe kommt aus dem griechischen und heißt Vorbeugung. Der Pa­tient mit Parodontitis ist krank, für Vorbeugung ist es zu spät. Dieser Patient braucht keine Vorbeugung, sondern eine Therapie. Die uns be­kannten parodontalen Therapien sind auf Keimreduktion ausgelegt, und Keimreduktion ist Prophylaxe. Bereits vor mehr als 100 Jahren stellte Prof Dr. Antoine Bechamp (1816–1908) fest: „Die Mikrobe ist nichts, das Milieu ist alles“, folglich ist die Keimreduktion sekundär, es muss das Milieu verän­dert werden und dieses gibt der Patient individuell vor.

1.Tiefe Taschen haben ein anderes Milieu als flache Taschen. Mit der Therapie des Bone Remodeling werden regenerativ die Taschen vollständig verschwinden.8–10

2. Individuelle Situation des Patienten: a) Anatomische Gegebenheiten (genetisch, funktionell, iatrogen, Habit), b) Ernährung, Flüssigkeit, Bewegung, Atmung.12, 13, 14, 22

Die individuelle Reaktion ist entscheidend, ob es überhaupt zum Knochen­abbau und zur Parodontitis kommt, bzw. wie die Therapie vorangeht. Bedingt durch die hohe Keimbelas­tung in der Mundhöhle und die idealen Lebensbedingungen für die Mikro­organismen wird es immer wieder lokal ver­ein­zelt zu leichten Gingivitiden, besonders an den Prädilektionsstellen, kommen. Bis zu zehn Prozent BOP ist dies nicht besorgniserregend. Die dafür erforderliche immuno­logische Abwehr erreicht den Ort des Geschehens über die Blutbahn. Genau wie alle Materialien, die zum Turnover der Zellerneuerung benötigt werden. Blut ist unser Lebenselixier. Ist es gesund, geht es uns gut. Fehlen wich­tige Vitalstoffe, geht es uns schlecht und es kommt vermehrt zu Infekten, Krankheiten, die Lebenskraft und die Le­benslust schwinden.22 Ein Blutbild und selbst ein großes Blutbild sind hier wenig hilfreich.  

Knochenmark – Ort der Blutbildung

Das Knochenmark ist der Ort der Blutbildung. Bei einem Säugling wer­-den ab dem 7. Schwangerschafts­monat die Blutzellen im Knochen­mark des gesamten Skeletts gebildet. Im Laufe der weiteren Entwicklung verlagert sich dies nur noch auf das rote Knochenmark. Sämtliche Blutzelltypen werden ursprünglich aus den­selben Stammzellen im Knochenmark gebildet. Die Knochenmarksstammzelle entwickelt sich zur „Vorläuferzelle“, diese teilt sich. Die eine Hälfte wird wieder zur Stammzelle und steht für die nächste Reproduktion zur Ver­fügung. Aus der anderen Hälfte entwickelt sich eine Blutzelle (Abb. 3).  

Die Zellproduktion ist durch Rückkopplungsmechanismen reguliert. Wird zum Beispiel ein Sauerstoffmangel festgestellt, werden vermehrt Erythrozyten produziert. Bei Entzündungen hinge- gen mehr Lymphozyten. Die reifen Blutzellen haben eine kurze Lebensdauer. Bei Thrombozyten und Leuko­zyten beträgt diese lediglich acht bis zwölf Tage. Bei Erythrozyten 120 Tage. Der Verbrauch an Blutkörperchen ist da­her immens. Jede Sekunde gehen über zwei Millionen Blutzellen zu-grunde, pro Tag sind das mehrere Milliarden. Das Knochenmark muss also ständig Nachschub produzieren. Damit das Knochenmark diese lebenswich­­-tige Vitalfunktion erfüllen kann, werden Nährstoffe benötigt.

Nährstoffe sind Vitalstoffe

Hier unterscheiden wir zwischen Kohlenhydraten, Proteinen, Fetten, Mine­ralstoffen, Spurenelementen, Vitaminen und Wasser. Wobei unterschieden wird zwischen essenziellen Nährstoffen und solchen, die der Körper selber her­stel­len kann. In unserer heutigen Wohlstandsgesellschaft kämpfen wir mit dem Phänomen der gleichzeitigen Überernährung und Mangelernährung. Nach Dr. Strunz:22 „Die offiziellen Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Er­nährung (DGE) liegen meiner Einschätzung nach auf einem Level, der ge­rade eben so hoch ist, dass die Menschen nicht zugrunde gehen.“

Wir alle kennen den Begriff „Locus minoris resistentiae“. Das ist bei der Ernährung nicht anders und wird als Flaschenhalsphänomen bezeich- net. Der Einzelstoff, von dem am we­nigsten vorhanden ist, bestimmt das Leben, die Lebensfreude, Leistungs­fähigkeit, Gesundheit usw. Das was hingegen zu viel aufgenommen wurde, kann nicht genutzt werden, schafft Probleme in der Zwischenlagerung, im Abtransport und in der Ausscheidung, kurz, es macht uns krank und depressiv. Aus diesem Grund benöti­gen wir eine ausgewogene Ernährung, wobei es schwierig bis unmöglich ist, dieses beim wöchentlichen Einkauf im Discounter zu realisieren. Fehlen aber Vitalstoffe, hat die Zellbildung in der Hämatopoese ein Materialproblem und dieses zeigt sich wiederum auch in fehlender parodontaler Abwehrleis­tung. Wie im Teil 9 beschrieben, kommt Kalzium als Mengenelement eine wesentliche Bedeutung zu.14 Damit aber Kalzium überhaupt seine Aufgaben erfüllen kann, müssen andere essenzielle Stoffe vorhanden sein. Durch die Er­nährung haben wir hier den wesentlichsten Einflussfaktor.

In Teil 11 erfahren Sie mehr darüber, warum Phosphor beim Knochenstoffwechsel zwingend notwendig ist und welche Probleme bei einem Überan­gebot entstehen.

Eine vollständige Literaturliste finden Sie hier

Der Beitrag ist in der ZWP Zahnarzt Wirtschaft Praxis 04/2017 erschienen.

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