Prophylaxe 28.02.2011

Mit kleinen Maßnahmen viel erreichen



Mit kleinen Maßnahmen viel erreichen

Minimal Intervention Dentistry - Ein moderner Ansatz zum Umgang mit Karies

Die intensiven Forschungsbemühungen insbesondere der zurückliegenden Jahrzehnte haben das Verständnis der Karies auf eindrucksvolle Weise revolutioniert. Dies hat unzweifelhaft auch weitreichende Folgen für die Behandlung der Erkrankung. Das von Mount und Hume propagierte Konzept der Minimal Intervention Dentistry greift diese Erkenntnisse auf.

Die Zahnoberfläche wird unmittelbar nach einer Zahnreinigung von einem Speicheloberhäutchen bedeckt, auf dem nach kurzer Zeit erste Bakterien siedeln. Innerhalb von wenigen Tagen entsteht nun ein Biofilm, der zunächst kariogen (und später parodontopathogen) wird. Unter anhaltenden Bedingungen kommt es in der Folge zu einer fortschreitenden Demineralisation, die unter dem Einfluss bakterieller Aktivität zum Zahnhartsubstanzverlust führt. Mikroeinbrüche der Oberfläche führen zu einer bakteriellen Invasion in die zuvor entstandenen Poren; dies führt zum Fortschreiten der Demineralisation. Dieser Prozess erfordert mehrere Voraussetzungen, die modifiziert werden können, um eine fortschreitende Demineralisation zu unterbinden. Hierzu zählen:

– kariogene Bakterien
– nahrungsbedingte Zuckeraufnahme
– Häufigkeit der Zuckerzufuhr
– Speichel.

Karies ist eine bakteriell bedingte Erkrankung

Die Infektion erfolgt durch Übertragung über andere Personen (z.B. von Mutter zu Kind). Die Entwicklung einer Karies erfordert eine entsprechende Menge an Mutans-Streptokokken innerhalb des etablierten Biofilms. Diese kariogenen Bakterien haften sehr gut an der Zahnhartsubstanz und können große Säuremengen aus den angebotenen Zuckermolekülen produzieren. Dabei tolerieren sie eine saure Umgebung sehr gut und sind in der Lage, extrazelluläre Polysaccharide zu bilden. Bei einem hohen Mutans-Streptokokken-Anteil im Biofilm (2–10%) besteht ein hohes Kariesrisiko; bei deutlich geringerem Anteil (<0,1%) ist das Kariesrisiko gering. An dieser Stelle ist jedoch anzumerken, dass durchaus auch weitere Bakterien an der Kariesentstehung beteiligt sein können; deren Rolle ist zurzeit noch nicht ausreichend belegt.


Die Kariesentstehung ist abhängig von der ­nahrungsbedingten Zuckeraufnahme

Die nahrungsbedingte Aufnahme niedermolekularer Kohlenhydrate (Glukose und Fructose) beeinflusst das Wachstum des oralen Biofilms. Mithilfe der Aufspaltung der Zucker gewinnen Bakterien Energie und können extrazelluläre Polysaccharide aufbauen, wodurch der zunehmend gelartige Biofilm wiederum an Volumen gewinnt. Dieser Biofilm wiederum hat einen Einfluss auf den Ionenaustausch und stabilisiert den (sauren) pH-Wert, wodurch die Pufferwirkung des Speichels beeinträchtigt wird. Das Plaquewachstum ist insbesondere an den Prädilektionsstellen der Karies (okklusale Grübchen, Approximalraum, marginaler Gingivasaum bei vernachlässigter Mundhygiene) ungestört, weshalb diese Regionen einem besonderen Kariesrisiko ausgesetzt sind.

Die Kariesentstehung ist abhängig von der Frequenz der Nahrungsaufnahme

Die beschriebene Säureproduktion ist ein metabolisches Nebenprodukt der Energiegewinnung und findet (sofern ein Biofilm etabliert ist) bei jeder Aufnahme von einfachen Zuckern statt; wenn der Speichel die gebildeten Säuren nicht mehr ausreichend abpuffern kann, fällt der pH-Wert sehr schnell in einen sauren Bereich. Unter diesen Bedingungen, die ungestört bis zu zwei Stunden anhalten können, werden zwangsläufig die in unmittelbarer Nähe liegenden Kristalle der Schmelzprismen aufgelöst. Dieser Prozess wird als Demineralisation bezeichnet.
Wenn nun der pH-Wert wieder steigt, können die (teil-)
aufgelösten Apatitkristalle wieder repariert werden; dies wird durch die Anwesenheit von Kalzium, Phosphat und Fluorid begünstigt und entspricht dem Prozess der Remineralisation. Bereits unter normalen Bedingungen wechseln sich also De- und Remineralisationsprozesse ständig ab. Zur Kariesentstehung kommt es dann, wenn diese Balance aus dem Gleichgewicht gerät. Mit anderen Worten entsteht eine Karies immer dann, wenn Phasen der Demineralisation diejenigen der Remineralisation überwiegen; dies ist also immer im Falle einer hochfrequenten Aufnahme von einfachen Zuckern gegeben.

Die Kariesentstehung wird durch Speichel beeinflusst

Da der Speichel höchst effektive Puffersysteme beinhaltet und auf diese Weise einen sauren pH-Wert wirksam neutralisieren kann, sind zur Erhaltung des oben beschriebenen Gleichgewichts hohe Speichelfließraten vorteilhaft. Aus diesem Grunde wirken sich Erkrankungen der Speicheldrüsen negativ auf die Balance zwischen De- und Remineralisation aus; darüber hinaus wirken viele Medikamente speichelflussreduzierend.

Die Kariesentstehung wird durch Fluoride beeinflusst

Lokal applizierte Fluoride stellen bekanntlich einen hohen Kariesschutz dar. Die Wirkung beruht zum Teil auf dem Einbau der Fluoride in die karbonierten Apatitkris­talle und in der Hemmung des bakteriellen Stoffwechsels; die Hauptwirkung ist jedoch in der Bildung von Kalziumfluorid zu sehen, das auf den Zahnhartsubstanzen niederschlägt und auf diese Weise einen Säureschutz bietet.

Chlorhexidin beeinflusst das bakterielle Wachstum

Unter den zur Verfügung stehenden Mundspüllösungen stellt das Chlorhexidin ein sehr effektives Mittel zur ­Hemmung des Biofilms dar, auch wenn eine direkt kariesprotektive Wirkung bisher kontrovers diskutiert wird. Die hohe Substantivität des Chlorhexidins ist durch die ionische Bindung an Zahnhartsubstanzen und Schleimhäute bedingt und hält über mehrere Stunden an.

Beeinflussung der Kariesentstehung mit ­Casein-Phosphopeptiden

Einen vergleichsweise jungen Ansatz zur Beeinflussung der Kariesentstehung stellt die Verwendung von Casein-Phosphopeptiden (CPP) dar. Nach Anwendung von CPP werden Nanokomplexe aus amorphem Kalziumphosphat stabilisiert; diese Komplexe haben demineralisationshemmende Eigenschaften und reagieren mit Fluoriden, sodass auch remineralisierende Eigenschaften ­resultieren.

Die Infiltrationstherapie als Teil des Konzeptes

Mit niedrig viskösen Infiltrationskunststoffen kann das Porensystem einer initialen Karies aufgefüllt werden. Diese Therapieform kann insbesondere dann angewendet werden, wenn eine Läsion fortschreitet. Die Infiltration ist nicht als alleinige Maßnahme zu sehen, sondern sollte in das Konzept der Minimal Intervention Dentistry eingebettet sein.

Auswirkungen auf die Behandlungsstrategie

Die Erkenntnisse zur Kariesentstehung ermöglichen eine im Vergleich zu früheren Dekaden veränderte Strategie hinsichtlich der Kariesdiagnose und des Kariesmanagements (Prävention, Heilung und Reparatur). Diagnose bedeutet nicht „Löcher suchen“, und Therapie bedeutet nicht „Löcher stopfen“. Restaurative Therapie im Sinne der Reparatur bedeutet heute vielmehr die „Wiederherstellung von Putzbarkeit (und Funktion)“.

Diagnose

Karies ist ein dynamischer Prozess, der auf molekularer Ebene beginnt und zu einem Zeitpunkt diagnostiziert werden kann, zu dem noch kein irreversibler Zahnhartsubstanzverlust aufgetreten ist (Abb. 1). Kleinere (insbesondere der Hygiene zugängliche) Kavitationen können stabil bleiben; dies trifft insbesondere dann zu, wenn die Krankheit geheilt (oder der Krankheitsprozess gestoppt) ist. Unsere diagnostischen Bemühungen sollten daher auf das Kariesrisiko und die Kariesaktivität fokussieren.

Therapie (und Heilung)

Die primäre Behandlung sollte auf die Unterbrechung der biochemischen Prozesse abstellen, um einen weiteren Mineralverlust zu verhindern. Zu den Maßnahmen, die zur Heilung der Krankheit beitragen, zählen:

– die Beeinflussung der Mikroflora (z. B. durch mechanische Entfernung oder Chlorhexidin)
– die Reduktion der Menge aufgenommener niedermolekularer Zucker
– die Reduktion der Häufigkeit der Nahrungsaufnahme
– die tägliche Verwendung von fluoridhaltigen Zahnpasten
– die Erhöhung des Speichelflusses (z.B. durch kau­zwingende Kost oder Kaugummis und/oder Änderung der ggf. aus medizinischer Sicht erforderlichen Medikation).

Der Therapieerfolg hängt dabei stark von der Reduktion der Kariesaktivität und der Erniedrigung des Kariesrisikos ab.

Reparatur

Wie bereits beschrieben, stellt die restaurative Therapie keine Behandlung der Krankheit dar. Füllungen haben lediglich den Charakter einer Reparatur. Die eigentliche Behandlung zielt daher auf die Änderung des Verhaltens und auf die Beeinflussung der biochemischen Vorgänge ab. Eine rein mechanische Herangehensweise kann in der Regel nicht zum Therapie­erfolg führen, und ein Füllungsverlust sollte bei erfolgreicher Therapie nur noch durch Verschleiß oder Fraktur bedingt sein, nicht aber durch eine Sekundärkaries.

Literatur beim Verfasser erhältlich.



Mehr Fachartikel aus Prophylaxe

ePaper