Psychologie 10.05.2011

Aufschieberitis: Wie Laborleiter die richtigen Prioritäten setzen



Aufschieberitis: Wie Laborleiter die richtigen Prioritäten setzen

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Doris Stempfle zeigt, wie Laborleiter die richtigen Prioritäten setzen, ohne sich zu verzetteln.

„Die Kundenakten kann ich morgen durchsehen, dann lese ich endlich auch den wichtigen Fachartikel in der Dentalzeitschrift“ – im Büro des Laborleiters türmen sich ungelesene Bücher und Fachzeitschriften, Telefonnotizzettel, unbeantwortete Briefe und Mails und andere unerledigte Aufgaben. Anscheinend leidet er unter der „Aufschieberitis“-Krankheit. Unsere Autorin Doris Stempfle weiß Abhilfe.

Beim Kampf gegen die „Aufschieberitis“ hilft zunächst einmal die Unterscheidung zwischen Unwichtigem, Dringlichem und Wichtigem:
• So manches, was der Laborleiter aufschiebt, kann, ja muss aufgeschoben und in der Ablage „P“, dem Papierkorb, entsorgt werden.
• Dringliche Aufgaben sollte er rasch angehen; sie sind aber nicht immer so wichtig, als dass sie nicht von einem Mitarbeiter erledigt werden könnten. Dazu zählen Verwaltungsaufgaben, die er delegieren kann.
• Wichtige Dinge hingegen, die nicht eilig sind, terminiert er, etwa das Gespräch mit dem wichtigen Kunden aus der zahnärztlichen Gemeinschaftspraxis.
• Aber Achtung: Die wichtigen und dringlichen Aufgaben erledigt er sofort: Dazu zählen  Führungsaufgaben und alles, was zur Kundenzufriedenheit und zum reibungslosen Ablauf im Dentallabor beiträgt.

Die Werteskala des Laborleiters

Mit welchen Entscheidungskriterien lässt sich beurteilen, was dringlich und was wichtig ist? Relevant ist die Werteskala des Laborleiters: In aller Regel wird die Kundenorientierung eine dominierende Rolle spielen – deshalb sollte er alle Aufgaben, die damit in einem Zusammenhang stehen, bevorzugt erledigen.


Ähnliches gilt für die Mitarbeiterführung: Die Antwort auf die Frage nach der Dringlich- und Wichtigkeit hängt davon ab, ob eine Aktivität seinen Führungsverpflichtungen dient. So kann die Lektüre des Fachartikels durchaus dringlich und wichtig sein – wenn der Beitrag eine Information enthält, die der Laborleiter am nächsten Tag für  das Unterstützungsgespräch mit dem demotivierten Mitarbeiter benötigt. Und wenn das Betriebsklima verdüstert ist, weil zwei Mitarbeiter einen heftigen Konflikt austragen, genießt natürlich die Konfliktlösung Priorität – der Artikel bleibt erst einmal ungelesen.

Die Bedeutung der Ziele

Der Kampf gegen die Aufschieberitis lässt sich gewinnen, wenn der Laborleiter weiß, welchen Sinn seine Aktivitäten – beruflich wie persönlich – überhaupt haben. „Wer nicht weiß, in welchen Hafen er segeln will, für den ist kein Wind der richtige“, so der Philosoph Seneca vor fast 2.000 Jahren. Ziele sind Wegweiser zum Erfolg, denn sie sind der Maßstab, an dem sich jede Aktivität messen lassen muss. Fehlen sie, hat die Aufschieberitis leichtes Spiel.


Der erste Schritt in Richtung eines effektiven Zeitmanagement besteht in der Festlegung beruflicher und persönlicher Ziele,   die der Laborleiter für die wichtigsten hält. Diese Ziele sollte er am besten schriftlich in einer „To-do-Liste“ festhalten. Und dann verpflichtet er sich selbst gegenüber, konsequent an die Abarbeitung dieser Liste zu gehen. Wer sich konkrete Ziele setzt, wird feststellen, dass sich sein Leben wie automatisch an diesen Zielen orientiert. Hilfreich ist es, wenn sich der Laborleiter zunächst ein übergreifendes Lebensziel setzt, aus dem er die beruflichen und privaten Jahres-, Monats-, Wochen- und Tagesziele ableitet.

Das „Tue-es-gleich“-Prinzip

Wer seine Ziele und Prioritäten definiert hat, kann die entsprechenden Zeitmanagementmethoden und Arbeitstechniken einsetzen. Das Problem bei der Aufschieberitis ist aber leider: Die „Krankheit“ hindert uns, diese Arbeitsmethoden tatsächlich anzuwenden, es fehlt oft an der richtigen Einstellung. Und ohne die richtige Einstellung nutzt die Kenntnis der tollsten Arbeitstechniken nichts. Wer sich dem „inneren Schweinehund“, der uns suggeriert, diese Aufgabe könne „doch eigentlich auch morgen erledigt“ werden, ausliefert, hat kaum eine Chance, die Aufschieberitis zu besiegen. Der Laborleiter muss an seiner Einstellung arbeiten und sich klar machen, dass es Energie und Kraft kostet und es ihm schadet, wenn er Dinge aufschiebt. Darum sollte er das „Tue-es-gleich“-Prinzip anwenden. Das gilt vor allem für überschaubare Aufgaben, die in wenigen Minuten erledigt werden können. Dabei helfen die folgenden Prinzipien:
• Alle Aufgaben, die nicht mehr als fünf Minuten in Anspruch nehmen, geht der Laborleiter zeitnah an: Mails sofort beantworten, Anrufe direkt erledigen, Entscheidungen hier und heute treffen. Mithilfe der erwähnten Unterscheidung zwischen Dringlichem und Wichtigem prüft er, welche dieser „kleinen“ Aufgaben er delegieren oder in der Ablage „Papierkorb“ entsorgen kann. Diese Entscheidungen müssen rasch getroffen werden.
• Der Laborleiter bündelt diese Aufgaben zu einem Paket und bearbeitet sie im Block. Dazu reserviert er eine halbe Stunde Zeit, in der er mindestens sechs Aufgaben (je 5 Minuten) angeht.
• Er verdeutlicht sich die Vorteile des „Tue-es-gleich“-Prinzips: Er spart natürlich Zeit; die Gefahr, etwas zu vergessen, weil er es auf „irgendwann“ verschiebt, verringert sich. Zudem befreit er sich von der Blockade, die entsteht, wenn er sich andauernd daran erinnern muss, doch unbedingt noch den Brief der Krankenkasse zu beantworten, die zahnärztliche Gemeinschaftspraxis anzurufen, mit dem Zahntechniker das Mitarbeitergespräch zu führen etc.
• Der Laborleiter entwickelt eine individuelle, auf seinen Charakter und seine Arbeitsmentalität abgestimmte Vorgehensweise, zum Beispiel: 1. Problem schriftlich formulieren, 2. Aufgabe in Teilschritte zerlegen, 3. Teilaufgaben nach Priorität ordnen, 4. Arbeit erledigen und 5. Ergebnis kontrollieren, Erfolge feststellen und schriftlich zur späteren Motivation festhalten, nach dem Motto: „Wenn ich das damals geschafft habe, schaffe ich es jetzt auch wieder.“

Aufschieberitis-Persönlichkeit feststellen

Laborleiter, die sogar Probleme haben, die wichtig-dringlichen, also eigentlich unaufschiebbaren Aufgaben in den Griff zu bekommen, sollten ihrer Aufschieberitis-Persönlichkeit auf die Spur, um geeignete Gegenmaßnahmen zu ergreifen:
• Der Perfektionist kommt einfach nicht dazu, sich um das Wichtig-Dringliche zu kümmern, weil er sich detailverliebt und planungsbesessen verzettelt. Er stellt zu hohe Ansprüche an sich selbst.
• Beim Unorganisierten bleibt Wichtiges liegen, weil er im Chaos ertrinkt und den Anfang nicht findet.
• Der Entscheidungsschwache schiebt die Dinge lieber vor sich her, weil er Angst vor dem Handeln hat: „Wer nicht handelt, kann keine Fehler machen“, so seine Haltung.
• Der Analytiker will Dinge erst hundertprozentig durchdenken, bevor er ins Handeln kommt. Er verschiebt sie, weil er „bei Gelegenheit“ erst noch einmal gründlich über sie nachdenken will.
• Der Stress-„Liebhaber“ glaubt, er gewinne Autorität durch  permanente Überbeschäftigung. So kümmert er sich um alles – und damit um nichts.
• Der kreative Ideensammler sprudelt geradezu über vor guten Ideen – nur: Er ist nicht in der Lage, sie umzusetzen.
• Der Jasager kann nicht „Nein“ sagen – etwa zu Mitarbeitern, die andauernd mit neuen Anliegen an ihn herantreten. Die Überbelastung lässt ihm gar nichts anderes übrig, als Dinge permanent aufzuschieben.
• Der Pedant glaubt, nur er allein könne eine Aufgabe lösen. Und darum verschiebt er sie lieber als sie zu delegieren.
• Laborleiter schließlich, die Handlungsdruck brauchen, schieben etwas vor sich her, bis es zu spät ist: Die Vorbereitung des Meetings mit den Mitarbeitern ist nicht mehr möglich, der Abgabetermin für die Steuererklärung nicht einzuhalten.

Nach der Diagnose die individuelle Therapie

Die gewiss nicht vollständige Übersicht zeigt: Laborleiter können aus unterschiedlichen Gründen an „Aufschieberitis“ leiden. Wer analysiert, zu welchem Typ er gehört und sich notiert, welche Dinge er warum ganz besonders gern verschiebt, kann nach der Diagnose die Therapie einleiten und sich von behindernden Überzeugungssätzen verabschieden – der Perfektionist etwa von dem, immer perfekt sein zu müssen. Er muss sich die Einstellung erarbeiten, auch einmal „fünf gerade sein zu lassen“. Der Unorganisierte räumt seinen Schreibtisch auf und erstellt sich eine Liste mit seinen wichtigen Aktivitäten, die er Punkt für Punkt abarbeitet. Der Analytiker schließlich muss lernen, Handlungsorientierung groß zu schreiben. Und der Jasager entwickelt einen gesunden Egoismus und verdeutlicht sich, dass er selbst sich manchmal der Nächste sein muss, und erprobt sich so im „Neinsagen“. Und dem Pedanten gelingt es durch ein professionelles Delegationsmanagement, Mitarbeitern zu vertrauen und sie Aufgaben selbstständig erledigen zu lassen. Bei allen Persönlichkeitstypen gilt: Der Laborleiter entwickelt eine persönliche und punktgenau auf seinen Typus abgestimmte Arbeitsmethode, die es ihm erlaubt, Aufgaben, die er gerne  verschiebt, konsequent und effektiv anzugehen.

Umfangreich, zeitintensiv und unangenehm

Welche Eigenschaften haben eigentlich diejenigen Aufgaben, die der Aufschieberitis zum Opfer fallen? Zumeist sind sie umfangreich, zeitintensiv und daher unangenehm. Je nachdem, welche dieser Eigenschaft eine Aufgabe hat, stehen dem Laborleiter unterschiedliche Techniken zur Verfügung:
• Salami-Taktik: Bei umfangreichen Aufgaben hilft die Zergliederung in mehrere Teilschritte sowie die Konzentration auf den ersten Schritt. Mit der Salami-Taktik beispielsweise lässt sich das Riesenpaket „Verwaltung und Organisation“ in die Teilaspekte „Belege für Steuererklärung sammeln“, „Rechnungsunterlagen bearbeiten“ und „Angebote einholen“ zerlegen – der Laborleiter beginnt mit der Zusammenstellung der Sozialversicherungsunterlagen.
• Pareto-Prinzip: Bei zeitintensiven Aufgaben hilft das Pareto-Prinzip – die 80:20-Regel –, nach dem bereits 20 Prozent der strategisch richtig eingesetzten Zeit und Kraft 80 Prozent der Ergebnisse erbringen. Mit dem Grundsatz des Volkswirtschaftlers Vilfredo Pareto (1848–1923) stellt der Laborleiter fest, welches seine „Ergebnisverursacher“, also jene 20 Prozent sind. Er verleiht diesen Aspekten absolute Priorität – der „Rest“ wird terminiert und delegiert.
• Stille Stunde für Unangenehmes: Eine Methode, unangenehme Aufgaben zu bewältigen, besteht darin, sie als notwendig zu definieren, zu bündeln und jeden Tag zu einem festgelegten Zeitpunkt in einer eigens dafür vorgesehenen „stillen Stunde“ zu bearbeiten: Organisatorisches etwa erledigt der Laborleiter gleich zu Beginn seines Arbeitstages – das „Unangenehme“ ist vom Tisch, der Kopf frei für Kunden und Mitarbeiter.

Bewährt hat sich zudem der Einsatz von Checklisten: Dort notiert der Laborleiter wichtige Aufgaben und den Zeitpunkt, wann er sie sich vornimmt – und den Erledigungsvermerk. Augenfällig verkürzt sich die Liste mit „aufgeschobenen Aufgaben“ – das sorgt für zusätzliche Motivation.

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