Zahntechnik 14.08.2023
Digitaler Workflow: Gesichtsscan und digitaler Zwilling
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Um eine hochästhetische, funktionelle und gesichtsorientierte Restauration im Dentallabor herzustellen, benötigt die Zahntechnik ein exaktes Abbild des Patienten, raumorientiert in der jeweiligen CAD-Software. Im folgenden Fachbeitrag beschreibt Prof. Dr. Karsten Kamm die Vorteile eines „dentalen Avatars“ für die Zahntechnik.
Bessere Planung und Ästhetik
Gutes digitales Bildmaterial und eine präzise Analyse der Ausgangssituation sind immer dann besonders wichtig, wenn eine ästhetische Versorgung durch einen chirurgischen Eingriff ergänzt werden soll. Die Zusatzinformationen, die ein 3D-Gesichtsscan liefert, sind eine absolut notwendige Unterstützung bei der Vorbereitung und Planung von ästhetischem Zahnersatz. Für die digitale Modellierung von Zahnersatz benötigt der Zahntechniker möglichst exakte Daten über die Patientensituation. Diese notwendigen Daten liefert der digitale Zwilling als Abbild des realen Patienten (Intraoraler Scan + DICOM + Gesichtsscan + Funktion). Somit stellen der Gesichtsscan und die dazugehörige Software die zentralen Lösungstechnologien im Bereich Zahnmedizin dar, um virtuelle Patienten zu erzeugen, vergleichbar mit der CAD/CAM-Software (exocad, 3Shape, Cerec etc.) für die Zahntechnik.3, 4
Was benötigt die Zahnmedizin im digitalen Workflow heute?
Als erstes benötigen wir digitale Modelle (ply-Datei) des Ober- und Unterkiefers, welche mit Intraoralscannern heute sehr präzise hergestellt werden können. Laut Ender et al. erreichen Ganzkieferabformungen mit Polyether eine Präzision von 34,9 ± 8,8 μm1 und Intraoralscanner nach Pesca et al. eine Genauigkeit von < 30 μm.2 Das Oberkiefermodell muss dann schädelbezogen zugeordnet werden. Hierzu benötigt man die Natural Head Position (NHP), also einen stabilen Bezugsrahmen, von dem aus die Lage des Oberkiefers im Schädel und die Vermessung der individuellen Okklusionsebene entsprechend der Asymmetrien im Gesicht des Patienten erfolgen können.
Die Okklusionsebenen sind nach Plaster7 aufgrund von natürlichen Asymmetrien auf beiden Gesichtshälften unterschiedlich stark geneigt, was anhand der Ala-Tragus-Linie festgestellt werden kann. Für ein Smile Design benötigt man zudem die absolute Mitte im Gesicht, dies entspricht einer senkrechten Linie entlang des Nasion und dem Subnasalpunkt. Diese natürliche Mitte stimmt im Normalfall nicht mit der skelettalen Mitte überein. Analog hat ZTM Udo Plaster dazu das PlaneSystem® (Zirkonzahn) entwickelt. Die natürliche Kopfposition ist eine standardisierte und reproduzierbare Position, bei der der Kopf in aufrechter Haltung steht und die Augen auf einen Punkt in der Ferne auf Augenhöhe gerichtet sind, was impliziert, dass die Sehachse horizontal ist.
Unbeeinflusst von der skelettalen Klasse und möglichen Asymmetrien des Gesichtsschädels können über die Natural Head Position die dreidimensionale Lage des Oberkiefers erfasst und die Neigung der Okklusionsebene winkelgenau zur referenzierbaren Nullebene angegeben werden.
Vermessung und Registrierung
Für die Registrierung der Oberkieferstellung und zur Vermessung der Okklusionsebene benötigt man nach Kamm 3, 4 im digitalen Workflow die NHP. Dieser bildet dabei eine Nullebene, die parallel zum Boden verläuft. Der Patient nimmt nun die natürliche Kopfposition ein; dabei bildet das Gesicht zum Boden einen Null-Grad-Winkel, genau wie zum Artikulator. So erhält man eine von körperlichen Asymmetrien unabhängige Bezugsebene. Ein Transferbogen liefert diese Bezugsebene nicht, da der Bogen am asymmetrischen Schädel angebracht wird. Die Okklusionsebene wird durch die Ala-Tragus-Linie abgebildet, da diese Ebene parallel zur Okklusionsebene verläuft. Die Ala-Tragus-Linie wird vom unteren Rand der Nasenflügel (ala nasi) und vom Knorpel vor dem Gehöreingang (tragus) gebildet. Die Ala-Tragus-Linie kann auch hier wieder aufgrund von Asymmetrien auf jeder Gesichtshälfte unterschiedlich ausgeprägt sein.
Genau diese Vermessungen und Analysen werden bei uns digital mit einem One-Shot-Gesichtsscan von Ray Europe perfekt durchgeführt. Herkömmliche Transferbögen haben sich zwar bewährt, sind aber fehlerbehaftet und können die natürlichen Gesichtsasymmetrien nicht erfassen. Es kommt somit zu vielen Einproben und Korrekturen. Der analoge Weg war zudem sehr zeitintensiv und wurde im digitalen Workflow bei uns schon vor Jahren vom Gesichtsscan abgelöst.
Wie entsteht ein digitaler Zwilling?
Wir starten mit dem Intraoralscan beider Kiefer. Dies kann mit jedem Intraoralscanner erfolgen und weist mittlerweile eine hohe Genauigkeit auf.2 Die Software führt den Anwender nun durch den kompletten Prozess des Gesichtsscans und der 3D-Rekonstruktion mittels KI.
Dabei lassen sich sowohl die schädelbezogene Ausrichtung der Natural Head Position sowie die Okklusionsebene (Ala-Tragus-Ebene und Bipupillarlinie) automatisiert mithilfe der KI ermitteln. Zusätzlich kann auch die Oberkiefermitte mit der Gesichtsmitte abgeglichen werden. Eine virtuelle, schädelbezügliche Montage der Kiefer im digitalen Artikulator ist mittels Gesichtsscan ebenfalls in einfacher und schneller Weise exakt möglich.
Durch die reibungslose Integration von RayFace können wir Intraoralscans an den Ray-Gesichtsscans ausrichten. Das fertig ausgerichtete Ergebnis kann in einer entsprechenden Laborsoftware (z. B. exocad, 3Shape etc.) für das Design von gesichtsorientierten Restaurationen exportiert werden, sodass das individuelle Lächeln und die Lippenlinie des Patienten mitberücksichtigt werden. Auf diese Weise erzielen wir überdurchschnittliche Ergebnisse und eine bessere Patientenversorgung.Der One-Shot-3D-Gesichtsscanner kann ein natürliches Lächeln schnell sowie präzise aufzeichnen und ermöglicht eine klare Patientenberatung. Ein entscheidender Punkt wird in Zukunft die Software für den Zahnarzt spielen. In dieser werden mittels KI vollautomatisiert alle Daten (Intraoralscan, Gesichtsscan, DICOM, Funktionsdaten) fusioniert. Im Mittelpunkt steht der Gesichtsscan, welcher in nur 0,5 Sekunden für eine lebendige Aufnahme des Patienten sorgt und anschließend diese hochwertigen 3D-Daten in die Software überträgt – ein „dentaler Avatar“, ein virtueller Patient, wird erstellt. Durch das Matchen der DVT- und intraoralen Daten des Patienten schafft die RAY-Software die Voraussetzung zur Gestaltung patientengerechter Zähne und erlaubt eine sehr genaue und bildhafte Beratung bzw. Planung für Implantologie, ästhetische und kieferorthopädische Behandlungen sowie prothetische Versorgungen. Der Prozess zur Erstellung eines dentalen digitalen Zwillings dauert insgesamt nicht mehr als fünf Minuten.
Ganz praktisch können die Daten und Animationen über den aktuellen und gewünschten Stand der Behandlung zwischen (Fach-)Zahnarzt und Patient ausgetauscht werden. Der Patient bekommt einen QR-Code und kann somit alle Animationen in 3D ansehen. Zukünftig bieten Facescanner noch weitere Möglichkeiten in der Patientenberatung und Behandlungsplanung: Wenn die Gesichtsaufnahmen mit einem Bearbeitungsprogramm (Smile-App) kombiniert werden, kann die geplante Veränderung vorab digital visualisiert werden. Das erleichtert dem Patienten die Vorstellung des Behandlungsergebnisses und erhöht dadurch das Therapieverständnis. Die Software bietet eigene Tools/Apps für die Patientenberatung und Planung.
Bei Smile Design hilft wieder die KI. Anhand von anatomischen Landmarken und ästhetischen Regeln (z. B. Goldener Schnitt) optimiert die Software die spätere Zahnform, eine Zahnbibliothek unterstützt dabei. Mit wenigen Klicks können die Zahnform und Zahnfarbe dem Gesicht angepasst werden. Zukünftig bieten Facescanner noch weitere Möglichkeiten in der Patientenberatung und Behandlungsplanung: Ziel soll die Darstellung der endgültigen restaurativen Situation sein. Durch KI-Technologie findet ein schneller und einfacher automatischer Abgleich von IOS- und CT-Daten statt. Dazu werden die idealen Zahnformen in angestrebter Höhe und Breite in Abhängigkeit von Gesichtsmitte, Bipupillarlinie, Lachlinie etc. in das Gesicht projiziert. Es findet eine automatische Positionierung der Zahnbibliotheken durch diagnostische Standards und den zuvor ermittelten anatomischen Landmarken statt. Der virtuelle Artikulator kann dabei durch diagnostische Informationen verwendet werden.Auch die digitale Vermessung in metrischen Größen ist so möglich und kann an die Zahntechnik kommuniziert werden. Es ist hierbei wichtig, dass die Software einfach gehalten ist und man sich nicht wie bei einer Laborsoftware tagelang einarbeiten muss. Ziel ist es, dass die KI die optimale Zahnform mit ein paar Angaben automatisch erzeugen kann.
Eine Literaturliste steht hier zum Download für Sie bereit.
Dieser Artikel ist unter dem Originaltitel: „Gesichtsscan und digitaler Zwilling als entscheidende Faktoren im digitalen Workflow“ in der ZWL Zahntechnik Wirtschaft Labor 04/2023 erschienen.