Branchenmeldungen 28.02.2011
Abschieds-Symposium für Prof. Ulrich Saxer
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Ein Visionär und leidenschaftlicher Zahnarzt tritt kürzer und gibt seine Ämter ab. Dass er sich ganz zurückzieht, können sich die Wenigsten vorstellen. Darauf angesprochen, antwortet Prof. Ulrich Saxer auf seinem letzten, von ihm organisierten Symposium, mit einem „verschmitzten“ Lächeln – man wird also weiterhin von ihm hören und lesen. Dem stark wachsenden Problem der Periimplantitis gehört sein Interesse. Die Parodontaltherapie ist durch Studien belegt, bei der Periimplantitis-Therapie herrscht aber noch grosse Unklarheit. Von den über 250 Zuhörern waren die Hälfte Dentalhygienikerinnen, welche von Prof. Saxer ausgebildet wurden und sich seine letzte Veranstaltung nicht entgehen lassen wollten.
Keramikimplantat – ist die Zukunft weiss?
Schon seit langer Zeit sind verschiedene Keramiken als Werkstoffe erhältlich, ersetzen aber Metall nicht, sondern bilden eine mögliche Alternative mit ihren eigenen Regeln und Eigenschaften. Bei einer hohen Lachlinie ist ein grau durchschimmerndes Abutment oft ein Problem, Keramik stellt hier eine gute Lösung dar.
Dr. Urs Brodbeck präsentierte in seinem spannenden Vortrag verschiedenste Studien über die Vor- und Nachteile von Keramikabutments:
– bessere Ästhetik bei dünner Schleimhaut
– kein dunkler Rand bei Rezessionen
– Plaqueabweisung, gute Gewebetoleranz
– keine Gewebeüberhitzung bei intraoraler Präparation
– keine metallischen Tatoos beim Präparieren
– konventionelles und kosteneffektives Vorgehen
– in Studien so stabil wie Titanabutments
– Vorsicht vor Schraubenlockerung und darauf folgender Abnutzung des Implantatkopfes
– erhöhtes Fraktur-, reduziertes Ästhetik-Risiko
Was man von der Blumenvase auf dem Glastisch kennt, gibt es auch beim Keramikabutment: Kratzer ohne wirkliche Bewegung – „fretting“ genannt. Durch eine gelockerte Schraube kann sich das Abutment auf dem Implantat leicht bewegen, Titan auf Titan ist kein Problem, Keramik auf Titan führt aber zu starken Abreibungen am Titan. Dr. Brodbeck zeigt eindrückliche Videos, in denen man sehen konnte, wie das Abutment sich bereits bei 200 Newton Belastung auf dem Implantat bewegt, sich ein Spalt bildet und Flüssigkeit eintreten kann. 99 % der verschraubten Implantate sind undicht und somit innen bakterienbesiedelt, deshalb auch der schlechte Geruch, wenn ein Abutment entfernt wird. Früher dachte man, dass die Knochenresorption um ein Implantat herum einfach bis zur ersten Windung geht, heutzutage weiss man aber mehr: Das Bindegewebe zieht sich einen Millimeter nach apikal zurück, um den Knochen vor Reizen zu schützen. Dieses Bindegewebe bedeckt sich mit ca. einem Millimeter Epithel – zusammen zwei Millimeter biologische Breite. Werden zwei Implantate nebeneinander gesetzt, sollen diese mindestens 3–5 mm voneinander entfernt gesetzt werden, ansonsten hat der Knochen in der Mitte keine Chance und wird von beiden Seiten resorbiert. Als Folge kollabiert die Papille. Für Dr. Brodbeck ist es vorstellbar, dass in zehn Jahren ca. 10–15 % aller Implantate aus Keramik sein werden. Mit Vollkeramik sinken die Misserfolge aufgrund besserer Ästhetik und besserer Biokompatibilität. Keramik ist ausserdem die Wahl des Patienten. Ohne genaue Kenntnisse der Unterschiede zwischen Metall und Keramik ist aber der Misserfolg programmiert. Dies ist der Grund, warum viele Konzepte und Produkte in der Vergangenheit zu hohe klinische Misserfolgsraten hatten. Keramik ist nie ein Ersatz für Metall, sie ist immer eine mögliche Alternative mit ihren eigenen Spielregeln und Gesetzen.
Beim Küssen nicht saugen!
Prof. Marc Quirynen aus Belgien führte auf Englisch sehr amüsant durch seinen Vortrag und zeigte, dass Parodontopathogene nicht nur in Taschen zu finden sind, sondern u.a. auch auf Mukosa und Zunge. Eine Extraktion aller Zähne bringt nichts, die Pathogene bleiben erhalten. Frisch gesetzte Implantate werden innert einer Woche vom Biofilm und dessen darin enthaltenen Pathogenen besiedelt. Raue Implantatoberflächen neigen vermehrt zu Periimplantititis, glatte und mittelrauhe Oberflächen zeigen gleiche Plaquebesiedlungen. Parodontitis-Patienten haben kein erhöhtes Risiko für Periimplantitis, wenn raue Implantate vermieden werden und eine Erhaltungstherapie (SPT) organisiert wird.
Was mache ich bei Periimplantitis?
„Durch Studien belegt weiss man genau, was in der Parodontaltherapie gemacht wird, aber nicht in der Periimplantitis-Therapie“, so Prof. Dr. Nicola U. Zitzmann. Eine Parodontaltherapie bei einem natürlichen Zahn ist viel einfacher im Vergleich zu einem Implantat mit seinem Gewinde und rauen Oberfläche. Eine Entzündung um ein Implantat manifestiert sich oft erst nach Überschreiten der 5-Jahres-Kontrolle, aufgrund folgender Ursachen:
– Implantat zu weit apikal inseriert
– Implantat zu nah nebeneinander
– geschlossene Approximalräume oder Überkonturen
– submukosale Zementreste.
Reinigungsmöglichkeiten bei Periimplantitis:
– Mechanisch: Handinstrumente, Ultraschall, Pulverstrahl
– Chemisch: CHX, Betadine, Tetracyclin, Zitronen-/Phosphorsäure, H2O2, Unterstützung mit Laser
– Fotodynamisch: Photosensitizer und Laseraktivierung
Wird ein Implantat mit Ultraschall oder von Hand mit Scalern gereinigt, muss danach die Oberfläche unbedingt poliert werden, bei Titan-Drahtbürstchen besteht die Gefahr, dass kontaminierte Partikel verschleppt werden. Mit verschiedenen Studien zeigte Prof. Zitzmann, dass in der Periimplantitis-Therapie noch viel Unklarheit herrscht und noch einiger Forschungsbedarf besteht.
Computerverliebtheit tut der Zahnmedizin nicht gut
Bevor Dr. René Sanderink zu seinen Erläuterungen zum Virulenzmechanismus beim oralen Biofilm kam, betonte er, wie wichtig es ist, die Biologie in der Zahnmedizin nicht zu vergessen. Die Implantologie sei nur ein Gebiet und sollte nicht die ganze Zahnmedizin beherrschen. Der orale Biofilm ist mehr als eine Ansammlung einzelner Mikroorganismen. Es handelt sich um eine organisierte Gemeinschaft, wie bei einem Mehrzeller. Dr. Sanderink zeigte, dass das „high-sensitivity C-Reaktive Protein“ (hsCRP) mit den neuesten Geräten direkt am Behandlungsstuhl gemessen und als Entzündungsmarker dienen kann. Die systemische Belastung durch Parodontitis oder Periimplantitis lässt sich so auf einfache Weise überwachen. Zum Schluss seines Vortrages betonte Dr. Sanderink nochmals, dass das Setzen von Implantaten nicht die bessere Alternative zur konsequenten Anwendung oralpräventiver Massnahmen sei. Bei entzündungsgefährdeten Patienten ist das Setzen von Implantaten auf Kernindikationen zu beschränken, als Alternative kann eine verkürzte Zahnreihe oder eine Klebebrücke dienen.
Der Zahnarzt als Lebensretter
Immerhin 33 % der Schweizer Bevölkerung sterben wegen Gefässerkrankungen. Durch regelmässige Recalls ist der Zahnarzt in der Lage, Patienten wesentlich früher zu erfassen als der Hausarzt. Prof. Saxer überweist seine Patienten mit Risiko einer Atherosklerose (z.B. aufgrund einer sichtbaren Verengung der Halsschlagader auf dem OPT) bevorzugt ans Kantonsspital Aarau zu Dr. Ernst Gröchenig, dem Chefarzt der Abteilung für Angiologie. Prof. Saxer kann so dem Patienten umfassend helfen, Dr. Gröchenig wiederum ist froh den Patienten möglichst früh zu sehen, denn im Anfangsstadium ist ein Umbau der Gefässarchitektur noch potenziell reversibel. Als optimales Mittel zur Früherkennung und quantitativen Verlaufsmessung einer Atherosklerose dient die Pulswellengeschwindigkeit.
Der Schweizer „DH-Vater“ tritt in Rente
Per Ende Oktober hat Prof. Ulrich P. Saxer seine Ämter abgegeben, bleibt aber, wie es sich für einen Visionär gehört, nach wie vor aktiv. Gerade als Prof. Saxer zu seinen Schluss- und Dankesworten anheben wollte, übernahm Dentalhygienikerin Barbara Stahel im Auftrag des Swiss Dental Hygienist-Vorstandes das Wort und fasste kurz die Entstehungsgeschichte der Schweizer Dentalhygienikerin zusammen: Prof. Saxer erhielt von der SSO 1972 den Auftrag, ein Curriculum für die Dentalhygienikerin zu erstellen. Nach einigem Hin und Her und mittels eines Spezialauftrags erreichte Prof. Saxer, dass auch das Deepscaling ins Ausbildungsprogramm aufgenommen wurde. So konnte der erste zweijährige Ausbildungsgang 1973 starten. Seit 40 Jahren unterstützt Prof. Saxer den DH-Beruf unermüdlich, mutig, vorwärtstreibend, visionär und proaktiv mit zukunftsweisenden Strategien. Prof. Saxer war sichtlich gerührt von diesen persönlichen Worten. Trix Saxer, als eine der ersten Dentalhygienikerinnen von 1973, übergab mit der aktuell jüngsten Dentalhygienikerin einen grossen Rosenstrauss als Dankeschön. Rosen deshalb, weil bei der Antrittsvorlesung 1973 jede seiner Schülerinnen ebenfalls eine Rose übergeben musste.