Branchenmeldungen 03.09.2025

Doktortitel auf Bestellung - Skandal um gefälschte Diplome

Gefälschte Abschlüsse, manipulierte Datenbanken: In der Türkei erschüttert ein Betrugsfall das Vertrauen in Institutionen. Wie weit reicht der Skandal?

 
Doktortitel auf Bestellung - Skandal um gefälschte Diplome

Foto: nat art; Generiert mit KI – stock.adobe.com

Ein Staudammprojekt betreuen ohne Abschluss als Bauingenieur oder ein Teppichwäscher, der als Psychologe praktiziert - was absurd klingt, wurde in der Türkei offenbar zur Realität. Zahlreiche Dokumente, darunter nach offiziellen Angaben Universitätsabschlüsse und Führerscheine wurden gefälscht und in Umlauf gebracht. Der Skandal erschüttert das Land seit Wochen - das Ausmaß ist bislang unklar.

Eine Betrügerbande verschaffte sich nach Angaben des Justizministeriums Zugangscodes von hochrangigen Beamten und konnte sich so Zugriff zu staatlichen Datenbanken verschaffen und diese manipulieren. Betroffen sind unter anderem die Kommunikationsbehörde BTK, das Bildungsministerium und zahlreiche Universitäten. Medien berichten von Hunderten gefälschten Diplomen, die im Umlauf sind. Die Regierung spricht lediglich von rund 60 und mehr als 100 gefälschten Führerscheinen.

Nur die Spitze des Eisbergs?

Justizminister Yilmaz Tunc erklärte, die Staatsanwaltschaft habe Anklage gegen 199 mutmaßliche Betrüger erhoben. Ihnen wird der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu zufolge etwa Fälschung elektronischer Zertifikate, Manipulation von Daten und unrechtmäßiger Zugriff auf personenbezogene Informationen vorgeworfen. Im September sollen die Fälle vor Gericht verhandelt werden.

Medienberichten zufolge gab es schon Ende 2024 die ersten Beschwerden an einer Universität in Ankara, darauf folgten Ermittlungen. «Die kriminelle Organisation wurde zerschlagen und ihre Mitglieder verhaftet», erklärte Innenminister Ali Yerlikaya Anfang August. Doch Beobachter gehen davon aus, dass dies nur die Spitze des Eisbergs ist.

Der Investigativjournalist Murat Agirel kritisierte, die Regierung wolle eine größere Lawine verhindern, aus Angst, dass auch wichtige Politiker involviert sein könnten. So geriet der stellvertretende Verkehrsminister Ömer Fatih Sayan in die Schlagzeilen, der zehn Abschlüsse und zwei Doktortitel vorzuweisen hat. Der wies Zweifel daran zurück. Er habe sein ganzes Leben lang studiert, verteidigte sich Sayan und werde sich nach wie vor weiterbilden.

Betrüger verwenden Daten von Erdbebenopfern

Der Vorfall sorgt für Spott - aber auch für Entsetzen und Frust. So wurde bekannt, dass die Täter die Daten von beim Erdbeben 2023 verstorbenen Rechtsanwälten gelöscht und für ihre Kunden verwendet haben. Der Informatikexperte und Professor an der Marmara-Universität in Istanbul, Murat Kirik, bezeichnet das Ganze als Skandal. Er gehe davon aus, dass die Betrüger sehr umfassend und organisiert vorgegangen seien, sagte er dem Sender Habertürk.

Veysel Ulusoy ehemaliger Vorsitzender des Instituts für Sozialwissenschaften an der Yeditepe Universität in Istanbul sagte der Deutschen Presse-Agentur, das Ausmaß gehe seiner Ansicht nach weit über das Bekannte hinaus. Schon vor Jahren habe er als Direktor seines Instituts ähnliche Probleme erlebt, der Hochschulrat habe aber auf seinen Hinweis hin nicht reagiert. «Das Problem ist weitaus komplexer, mit Politik und Institutionen verflochten und erstreckt sich auf Missbrauch bei Beförderungen, Ernennungen und sogar internationalen Transfers von Studenten», so Ulusoy, der inzwischen an der Harvard-Universität lehrt.

Bestellung per WhatsApp

Wie der Sender Halk TV berichtete, war es nicht schwer, die gefälschten Dokumente zu erwerben. So konnte man unkompliziert über WhatsApp ein Diplom bestellen, über soziale Medien sei Werbung gemacht worden. Je nach Dokument verlangten die Betrüger demnach tausende Euro. Die gefälschten Dokumente wurden im sogenannten elektronischen Staat gespeichert, in dem die Türken ihre gesamten Behördengänge erledigen können.

Ein Unternehmer, dessen Firma unter anderem vier Staudämme in der Türkei gebaut hat, wird nach Angaben des regierungskritischen Mediums Serbestiyet beschuldigt, ein gefälschtes Bauingenieursdiplom an der renommierten Technischen Universität Yildiz in Istanbul gekauft zu haben. Er sagte demnach aus, er habe nicht gewusst, dass ein solcher Abschluss im System hochgeladen wurde. Ein Teppichwäscher, der als Psychologe praktizierte, sagte Medien, er habe ein Psychologiestudium im Ausland absolviert und lediglich eine Firma beauftragt, um das Diplom in der Türkei anerkennen zu lassen. Diese Firma habe aber ohne seine Zustimmung ein neues Diplom von einer türkischen Universität erstellt.

Der Skandal hat trotz der Ermittlungen das Vertrauen in den Staat und die Institutionen in der Türkei weiter untergraben. Seit dem inhaftierten Istanbuler Bürgermeister Ekrem Imamoglu, ein Rivale des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, das Universitätsdiplom entzogen wurde, fragen sich viele, welchen Wert ihre Abschlüsse überhaupt noch haben. Im Juli zerriss ein Absolvent der renommierten Bosporus Universität in Istanbul aus Protest sein Abschlusszeugnis mit den Worten: «Dieses Diplom ist ungültig.» Er wurde dafür zwischenzeitlich festgenommen.

Quelle: dpa

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