Branchenmeldungen 15.01.2024
Drei Fragen an Heike Werner zur Gesundheitspolitik
In einem exklusiven Interview mit Heike Werner, der Thüringer Ministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie, wird ein Blick auf brisante Themen der Gesundheitspolitik geworfen. Inmitten der Protestaktionen von Ärzten und einem stetigen Wandel in der Bürokratie sowie der Digitalisierung, bietet dieses Gespräch einen Einblick in die Perspektive einer führenden Politikerin. Die Ministerin gibt Auskunft über aktuelle Herausforderungen und diskutiert die Anliegen der Ärzteschaft.
EINS
Frau Ministerin Werner, am 1. November fand in Erfurt eine große Protestaktion von Ärzten, Zahnärzten, Psychotherapeuten und Apothekern gegen den Abbau der ambulanten Versorgung statt. Wie sieht Ihrer Kenntnis nach die ambulante Situation aus und können Sie die Forderung der Verbände nachvollziehen?
Wenn wir die ambulante Versorgung im Freistaat betrachten, sind hier mehrere Faktoren von Bedeutung. So nehmen im gesamten ambulanten Sektor die Anforderungen zu, während gleichzeitig finanzielle Ressourcen und personelle Kapazitäten knapp sind. Dies wird durch die Auswirkungen des demografischen Wandels verstärkt, der wiederum den bestehenden Fachkräftemangel verschärft. Zahlreiche Praxen und Einrichtungen in der ambulanten Versorgung arbeiten bereits an ihrer Belastungsgrenze. Neben den schon ergriffenen und weiterhin angestrebten Maßnahmen in Thüringen ist eine angemessene Finanzierung wichtig. Das ist eine wesentliche Forderung im Rahmen der Protestaktion gewesen. Hier sind bundesgesetzliche Veränderungen nötig, um die Niederlassung von Ärzten in ländlichen und strukturschwachen Gebieten wirklich attraktiv und auskömmlich zu gestalten. Daher setzen wir uns auf Bundesebene für eine Überarbeitung der Finanzierung ein, einschließlich der Abschaffung der Budgetierung im ambulanten Bereich.
ZWEI
Kritikpunkte der Heilberufler an der derzeitigen Situation sind unter anderem eine verschachtelte Bürokratie und ineffiziente Digitalisierung – was bedingt diese zwei „Baustellen“ und warum hat man das Gefühl, dass die Herausforderungen größer statt kleiner werden?
Entscheidungen zum Bürokratieabbau und zur Durchführung der Digitalisierung werden auf Bundesebene getroffen. Klar ist, dass es auch hier dringenden Handlungsbedarf gibt. Wichtig ist, dass entsprechende Regelungen machbar sein und wirklich zu Vereinfachungen führen müssen. Der Entwurf eines Gesetzes zur Beschleunigung der Digitalisierung des Gesundheitswesens (Digital-Gesetz – DigiG) wurde kürzlich als Beschlussvorschlag ins Bundeskabinett eingebracht. Sollten die Vorschläge in eine Gesetzesänderung münden, werden die Länder im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens beteiligt. Erst, wenn wir die konkreten Vorhaben kennen, werden wir sie im Detail bewerten können.
DREI
Eine wohnortnahe ambulante (zahn)medizinische Versorgung ist Teil einer wichtigen Infrastruktur, vor allem in Randregionen – was kann die Gesundheitspolitik, in Ihrem Fall vor Ort in Thüringen, konkret tun, um sie zu sichern und zu stärken?
Als Land ergreifen wir verschiedene Maßnahmen, um die Versorgung in Thüringen zu sichern. Dazu gehören beispielsweise das Hausärztesicherstellungsgesetz und die Niederlassungsförderung. Kurzfristig soll sich durch die Anhebung der Niederlassungsförderung auf maximal 40.000 Euro die Anzahl der niedergelassenen Ärzte vor allem in den ländlichen Regionen Thüringens erhöhen. Zusätzlich ist die Erweiterung der Niederlassungsförderung auf Zahnarztpraxen und Apotheken geplant. Ab dem Wintersemester 2024/25 ist mit dem Thüringer Hausärztesicherstellungsgesetz die Einführung einer sogenannten „Landarztquote“ an der Friedrich-Schiller-Universität Jena beabsichtigt. Das heißt, über eine Vorabquote werden unabhängig vom Numerus clausus Medizinstudienplätze an junge Leute vergeben, die sich dafür im Gegenzug verpflichten, sich nach dem Abschluss in einem sogenannten Bedarfsgebiet niederzulassen. Über die gemeinsame Stiftung des Landes zusammen mit der Kassenärztlichen Vereinigung Thüringen werden zusätzlich Stiftungspraxen, Famulaturen, Blockpraktika im ländlichen Raum und Mentorenprojekte gefördert.
Das sagen KZV und LZK Thüringen
Dr. Knut Karst, Vorsitzender Kassenzahnärztliche Vereinigung Thüringen und Dr. Christian Junge, Präsident Landeszahnärztekammer Thüringen
„In Thüringen ist die flächendeckende zahnärztliche Versorgung ernsthaft gefährdet. Jährlich gehen 50 bis 70 Zahnärzte ohne Nach folger aus der Versorgung. Bei einem Betreuungsschlüssel von 1.600 Patienten pro Zahnarzt betrifft dies bis zu 100.000 Patienten jedes Jahr, welche plötzlich keinen Zahnarzt mehr haben. Dies stellt kein einmaliges Ereignis dar, da schon mehr als 500 unserer 1.500 Kollegen das 60. Lebensjahr überschritten haben. Demgegen über stehen weniger als 600 unter 55 Jahren, welche die Versorgung in Zukunft allein stemmen sollen? Damit ist klar, dass es sich nicht mehr nur um wohnortnahe Versorgung in ländlichen Gebieten handelt. Das Praxissterben wird auch in den Städten ankommen. Zusätzlich schwächt das verantwortungslose Kaputt sparen sogar bei dringend notwendigen Behandlungen die Thüringer Zahnarztpraxen. Aber nur wenn unsere Praxen attraktive Arbeitgeber bleiben, hat unser gut ausgebildetes und motiviertes Assistenzpersonal eine sichere Zukunftsperspektive hier im Land.“
Quelle: LZKTh
Dieser Beitrag ist unter dem Originaltitel „Drei Fragen an Heike Werner“ in der ZWP Zahnarzt Wirtschaft Praxis 12/2023 erschienen.