Branchenmeldungen 29.01.2012

Fortbildung für Zahnärzte gegen "Häusliche Gewalt"

Zahnärzte wollen betroffenen Frauen Signale geben 

„Häusliche Gewalt“ stand am 25. Januar erstmalig im Mittelpunkt einer großen, gemeinsamen, zahnärztlichen Fortbildungsveranstaltung der Landeszahnärztekammer Hessen, des Zahnärztlichen Vereins zu Frankfurt am Main 1863, der Zahnärztlichen Gesellschaft in Hessen und des Hessischen Sozialministeriums. An dem Aktionsnachmittag, für den der Hessische Sozialminister Stefan Grüttner die Schirmherrschaft übernommen hatte, nahmen rund 120 interessierte Zahnärztinnen und Zahnärzte sowie deren Praxismitarbeiterinnen im Haus der Landeszahnärztekammer Hessen in Frankfurt-Niederrad teil.

Aufgrund der durch Häusliche Gewalt hervorgerufenen Verletzungen im Kopf-, Gesichts- und Mundbereich gehören Zahnärztin und Zahnarzt oft zur ersten Anlaufstelle betroffener Frauen. Daher ging es in der Veranstaltung darum, das gesamte Praxisteam nach der Devise „Erkennen – Ansprechen – Dokumentieren – Weiterhelfen“ an die vielfältigen Aspekte Häuslicher Gewalt heranzuführen.

„Gewalt ist ein in unserer Gesellschaft tief verwurzeltes Phänomen, das als solches oft im Focus der Wahrnehmung steht“, betonte Dr. Giesbert Schulz-Freywald, Vizepräsident der LZKH in seinem einleitenden Grußwort. Gezielte Wahrnehmung von Gewalt reiche von „Grimms Märchen über die Ikonografie des Kinos bis hin zur Institution Tatort am Sonntagabend“. Der Aktionsnachmittag richte sich jedoch auf eine Form der Gewalt, der auch von zahnärztlicher Seite noch mehr Aufmerksamkeit und Kenntnis zuteilwerden müsse. Viele Zahnmedizinerinnen und Zahnmediziner seien sicher, noch nie einen Fall von Häuslicher Gewalt auf dem Behandlungsstuhl gehabt zu haben; dies könne jedoch auch an einer Unkenntnis der spezifischen und doch subtilen Zeichen dieser Art von Gewaltanwendung liegen.

Auch Professor Dr. Dr. Dr. Robert Sader, der als Präsident des Zahnärztlichen Vereins zu Frankfurt am Main von 1863 moderierend durch die Veranstaltung führte sowie Nancy Gage-Lindner als Vertreterin des Hessischen Sozialministeriums verdeutlichten in ihren einleitenden Worten das Desiderat gemeinsamer Gewaltpräventionsmaßnahmen und akzentuierten den bisherigen Beitrag der eigenen Institutionen.

Die anschließenden Referate, warfen von je unterschiedlicher Perspektive ein Schlaglicht auf das Phänomen Häusliche Gewalt und die zahnmedizinischen, sozialen und juristischen Ansätze zu seiner Erkennung, Dokumentierung und zur Bereitstellung von Hilfe für die Betroffenen.

Karin und Dr. Sven Rinke vom Verein „Wieder Lachen e.V.“ gaben in ihrem Beitrag „Erkennen von Gewaltopfern, Erfahrungen aus der Praxis“ nicht nur anhand der eigenen Erfahrung aus langjähriger Vereinsarbeit und zahnärztlicher Praxis Hinweise zur besseren Diagnostizierung der Spuren von Gewaltanwendung, die von Zahnmediziner Dr. Sven Rinke mit zahlreichen klinischen Darstellungen veranschaulicht wurden; sie appellierten auch an die versammelten Zahnärztinnen und -ärzte sich in das Netzwerk von Praxen einzugliedern, die den Opfern eine Anlaufstelle bieten.

Welche kommunikativen Strategien beim Umgang mit möglichen Gewaltopfern im Rahmen einer zahnärztlichen Anamnese und auch beim Versuch, behutsam Hilfe anzubieten angeraten sind, war Thema des Referats „Kommunikation mit Betroffenen - wie spreche ich die Patientin an? von Gudrun Wörsdörfer von der Beratungsstelle Frauennotruf in Frankfurt.

Nach der Pause gab die Frankfurter Oberamtsanwältin Ulrica Hochstätter in ihrem Beitrag „Die richtige Dokumentation - was und wie viel?“ einen erschütternden Einblick in die Opferzahlen im Großraum Frankfurt, die Rückschlüsse auf die landesweite Fallzahl und Dunkelziffer möglich machten. Sie zeigte Rechte, Pflichten und Vorgehensweise mit der Zielsetzung einer gerichtssicheren Dokumentation von Gewaltspuren durch den Zahnmediziner auf und gab einen detaillierten Überblick der relevanten Normen des Kinder- und Gewaltschutzrechts sowie der einschlägigen Paragraphen der Strafprozessordnung. Wann müssen Zahnmediziner schweigen, wann dürfen oder müssen sie aussagen und welchen Status haben sie im Prozess: den des Mediziners als sachverständigem Zeugen mit bestimmten Verpflichtungen wie Verschwiegenheit oder den des Privatiers.

Rechtsanwältin Zümrüt Turan-Schnieders lenkte den Blick des Publikums auf „Juristische und kulturelle Aspekte bei der Begleitung von betroffenen Frauen“ und damit auch auf das Phänomen eines „strukturellen Rassismus“: gerade bei Paaren unterschiedlicher ethnischer und kultureller Herkunft zeige sich ein Ungleichgewicht der Macht, das auch das Anbieten von Hilfe für etwaige Gewaltopfer negativ beeinflusse. Gerade Frauen mit Migrationshintergrund, seien aufgrund fehlender Bleiberechte, mangelnder Sprachkenntnisse und ohne Perspektiven hinsichtlich des eigenen Lebensunterhalts und der Versorgung vorhandener Kinder kaum bereit, Hilfe und Schutz vor dem gewalttätigen Partner anzunehmen.

In diesen Beiträgen stand die Gewalt gegen Frauen im Fokus, was in der Diskussion auch kritische Stimmen hervorrief. Auch Männer werden Opfer Häuslicher Gewalt - nur macht die Offenlegung der Misshandlungen den Mann zum Gespött und Träger eines sozialen Schandmals, was die zu vermutende Dunkelziffer immens erhöht.

Den Abschluss des Aktionsnachmittags, der aufgrund der sehr regen Diskussion und der vielen Nachfragen den ursprünglich vorgegebenen Zeitrahmen deutlich ausdehnte, machte die Vorstellung des Dokumentationsbogens und der Dent-Doc-Card, die dem Zahnmediziner als Checkliste und zur gerichtssicheren  Feststellung der vorgefundenen Verletzungen dienen.

„Das große Interesse unserer Mitglieder an dieser brisanten Thematik zeigt uns, wie wichtig es ist, im Interesse aller von Gewalt Betroffenen weiter zu informieren und zu sensibilisieren“, betonte Antje Köster-Schmidt vom Vorstand der Landeszahnärztekammer Hessen.
Vonseiten der anwesenden Zahnärztinnen und Zahnärzte wurde auch der Wunsch laut, in den Praxen deutliche Hinweise zur Verfügung stellen zu können, die den Opfern unter den Patienten signalisieren, dass sie hier sachkundige Hilfe angeboten bekommen. Hessens Sozialminister Stefan Grüttner kündigte darüber hinaus die Erarbeitung eines detaillierten Praxisleitfadens für das zahnärztliche Fachpersonal an.

Quelle: Landeszahnärztekammer Hessen

Mehr News aus Branchenmeldungen

ePaper