Branchenmeldungen 09.04.2020
„Lingual and more“ – hohes Niveau bei DGLO-Jahrestagung
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Was will man mehr? Erstklassige Location, Top-Referenten, umfangreiche Industrieausstellung und zahlreich angereiste Fachzahnärzte – am 7. und 8. Februar 2020 tagte die Deutsche Gesellschaft für Linguale Orthodontie (DGLO) mit ca. 150 Teilnehmern und 16 Dentalausstellern im Düsseldorfer Medienhafen. Zwei Tage lang drehte sich alles um die Behandlung kieferorthopädischer Patienten mit der Lingualtechnik. Lingual and more. Die hohe Kunst der Lingualtechnik.
Zum ersten Mal in der Geschichte der DGLO nahmen sechs Hochschullehrer deutscher Universitäten als Referenten an der Jahrestagung teil. Dies zeigt die Wichtigkeit der Lingualtechnik als unverzichtbarer Teil des Behandlungsspektrums in der Kieferorthopädie, die auf jeden Fall in den Händen der Fachzahnärzte bleiben sollte.
Lingualtechnik und palatinale Miniimplantate
Gleich zu Beginn der Tagung unterrichtete Prof. Dr. Benedict Wilmes zusammen mit Dr. Martina Bräutigam (beide Düsseldorf) die interessierte Zuhörerschaft zum Thema „Lingualtechnik und palatinale Miniimplantate – wie, wann, wofür?“. In dem für Anwender in der täglichen Praxis abgestimmten Halbtageskurs wurden praktische Hinweise zur Verwendung der Miniimplantate im anterioren Gaumen und die neuesten Standards der digitalen Planung und Umsetzung der Minischrauben- und Slider-Insertion gegeben.
In dem wissenschaftlich fundierten Beitrag von Prof. Dr. Ariane Hohoff (Münster) wurden die Zusammenhänge zwischen konservativer und chirurgischer Behandlung des offenen Bisses in Zusammenhang mit der Lingualtechnik erläutert. Der Spike-Effekt der Lingualbrackets und die vertikalen Gummizüge zeigten einen positiven Zungengittereffekt bei der Behandlung des offenen Bisses und versprachen eine geringere Rezidivanfälligkeit.
Lingualbrackets vs. Aligner aus biomechanischer Sicht
Universitätsprofessor Dr. Dr. Bernd Lapatki aus Ulm ging in seiner Präsentation auf den biomechanischen Vergleich zwischen Lingualapparatur und Alignern ein. Dabei zeigte er die Möglichkeiten und Grenzen von Alignerbehandlungen auf. Er betonte, dass nach seinen Studien und klinischen Erfahrungen Torque- und Wurzelbewegungen nur in begrenztem Maße mit Alignern möglich seien. In solchen Fällen bevorzuge er die linguale Bracketapparatur.
Auf die in Münster digital geplanten und gefrästen gnathologischen Splints ging Prof. Dr. Thomas Stamm in seinem Vortrag über das richtige Management von Patienten mit lingualer Apparatur und orthognather Chirurgie in beeindruckender Weise ein. Überzeugend stellte Prof. Dr. Michael Wolf aus Aachen dar, dass für ein nachhaltig stabiles Behandlungsergebnis bereits bei der Planung Wachstum- und Aging-bedingte Faktoren einberechnet werden sollten. Die vollständig individualisierte linguale Apparatur (VILA) zeigte in seinen Studien gegenüber konventionellen, konfektionierten Apparaturen den Vorteil, dass individualisierte Bögen vorab geplant werden konnten. Durch eine adäquate Zahnbogenbreite konnte seiner Auffassung nach die Langzeitstabilität verbessert werden.
Lingualbehandlung im parodontal geschädigten Gebiss
Der an der Universität Göttingen lehrende Professor für Kieferorthopädie Dr. Philipp Meyer-Marcotty präsentierte sensationelle kieferorthopädische Behandlungsbeispiele im parodontal geschädigten Gebiss. Einen lingualen Kraftansatz entlang der Zahnlängsachse durch das Widerstandszentrum betrachtet er als Vorteil bei Intrusionsbewegungen von Frontzähnen mit parodontalem Knochenabbau.
Der in Düsseldorf ansässige Priv.-Doz. Dr. Manuel Nienkemper beeindruckte in seinem Vortrag mit einfallsreichen skelettal verankerten Teilmechaniken. Miniimplantate am Gaumen in Kombination mit individuellen Teilbögen schaffen eine gute Verankerungssituation für Lingual- und Alignertherapien, wenn der Behandler mögliche Nebenwirkungen und Kräfte berücksichtigt.
VILA-Behandlung bei Teenagern
Eine 26-stündige Anreise unternahm der aus Ägypten stammende australische Kieferorthopäde Dr. Nour Tarraf, um erstmalig der DGLO-Jahrestagung beizuwohnen. Sein hochaktuelles Thema zur Behandlung von Teenagern mit einer VILA überzeugte das Auditorium dahin gehend, dass die Lingualbrackets zu weniger White-Spot-Läsionen und mehr Komfort bei Sport und Blasinstrumenten führten. Zahnwechsel, kurze Zahnkronen, Bracketreparaturen und Kieferwachstum gelten bei Jugendlichen als besondere Aspekte, die bei der 3D-Planung und Behandlung in der täglichen Praxis Beachtung finden sollten.
Die bayrischen Kollegen Dr. Jürgen Roming aus Deggendorf und Dr. M.Sc.LO Gabriele Gündel aus München präsentieren dem Fachpublikum, wie es im täglichen Kieferorthopäden-Dasein abläuft. Die Flut an Alignern in einer mit Plastik verschmutzten Umwelt und der Wettbewerb der Anbieter in den sozialen Medien stellen die Fachzahnärzte für Kieferorthopädie vor neue Aufgaben. Sie müssen die Patienten für sich gewinnen und davon überzeugen, dass die Lingualtechnik durch die vollständige Individualisierung und Digitalisierung zu sehr guten, vorhersagbaren Ergebnissen führt. Die perfekt dokumentierten Behandlungsfälle des Kollegen Dr. Christian Thaller (München) zum Thema „Autotransplantation verlagerter Eckzähne“ ließen so manchen Zuschauer neidisch werden. Eine zwei- bis dreiwöchige Schienung nach transalveolärer Transplantation sei dabei ausreichend. Eine endodontische Behandlung dagegen nicht zwingend erforderlich.
Linguales Finishing nach Alignertherapie
Die beiden aus Paris angereisten Referenten Dr. Didier Fillion und Dr. Jessy Askar gelten als die besten Lingualbehandler Frankreichs. Die Französin erläuterte, dass in ihrer Praxis häufig Patienten nach einer Alignertherapie behandlungsmüde und noch nicht zufrieden mit ihrem Behandlungsergebnis seien. Deshalb müsste sie nicht selten eine linguale Nachbehandlung anschließen.
Vater Dr. Germain Becker und Sohn Dr. Jean-Philippe Becker aus Luxemburg präsentierten ihre interessanten und bestens dokumentierten Lingualfälle. Die für die DGLO-Zertifizierung notwendigen Unterlagen zweier Lingualbehandlungen können durch eine von Jean-Phillipe zur Verfügung gestellten Vorlage einfacher dargestellt werden.
Die Zuhörer erstarrten, als Dr. Steffen Decker die derzeitige Situation in London beschrieb. In einem Dschungel von Zahnärzten und Kieferorthopäden, die um jeden einzelnen Patienten buhlen, ist er der einzige Fachzahnarzt in seiner Stadt, der ausschließlich mit der Lingualapparatur behandelt. Neunzig Prozent der Patienten kämen in der Metropole London über Instragram und Influenzer in die Praxen. Diesen Konkurrenzkampf zu bestehen, schaffe er nur, indem er Aligning, Bleaching und Bonding zur schnellstmöglichen Verschönerung der Frontzähne anbiete.
Mehr Mut zur Klage bei abgelehnter Laborkostenerstattung
In Rechtsfragen der Lingualbehandlung beriet Rechtsanwalt Michael Zach zum Abschluss des wissenschaftlichen Programms das Publikum und ermutigte die DGLO dazu, mehr Prozesse zur Erstattung von Laborkosten gegen die privaten Krankenversicherungen (PKV) zu führen.
Wie zu erwarten war, erfreuten sich zahlreiche Teilnehmer bei den beiden Abendveranstaltungen der Tagung an gutem Essen und ausgelassener Partystimmung.
P.S.: Dass die Lingualtechnik den Alignern in vielerlei Hinsicht überlegen ist, wurde im Laufe der Tagung von zahlreichen Referenten unter Beweis gestellt. Das Motto der diesjährigen Tagung „Düsseldorf lacht schöner“ konnte daher durchaus auch als Anspielung auf die Alignerkongresse in Köln interpretiert werden.
Bleiben Sie der Lingualtechnik treu!
Ihre Dr. Claudia Obijou-Kohlhas
Die nächste Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Linguale Orthodontie (DGLO) findet am 5. und 6. Februar 2021 in der Hansestadt Hamburg statt.
Dieser Beitrag ist in KN Kieferorthopädie Nachrichten erschienen.
Foto: Dr. Peter Kohlhas, peter@dr-kohlhas.de