Branchenmeldungen 18.07.2024
Mit Serious Games: Zahngesund von Anfang an
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Der Zahnputzfuchs e.V. ist ein gemeinnütziger Verein, der sich für die Prävention und Mundgesundheit von Kindern engagiert und inzwischen bundesweit agiert. Aktuell entwickelt der Verein ein sogenanntes Serious Game zur kindlichen Kariesprävention. Das Projekt „Spielend (zahn-)gesund“ unter der Leitung von Dr. Vera Thome wurde kürzlich mit dem Praktikerpreis der Deutschen Gesellschaft für Präventivzahnmedizin e.V. (DGPZM) ausgezeichnet. Im Beitrag erläutert die Zahnmedizinerin Anliegen und Ziel des Projekts genauer.
Kinder haben von Natur aus ein großes Interesse an ihrem eigenen Körper und auch daran, dass es diesem gut geht. Das Interesse geht jedoch mit negativen Erfahrungen verloren. Dazu gehören im schlimmsten Fall Schmerzerfahrungen in früher Kindheit, aber auch Druck und Stress, wie er oft beim alltäglichen Zähneputzen in der Familie entsteht.
Das Projekt möchte das Spiel im Sinne der Chancengleichheit kostenlos anbieten, um besonders Kindern in schwierigeren Verhältnissen Zugang zu Gesundheitsbildung zu ermöglichen.
Werden Neugier und Entdeckerfreude von Kindern angeregt, lässt sich das ursprüngliche Interesse zurückgewinnen und aufrechterhalten. Am besten funktioniert das über spielerische Ansätze. Kinder lernen mit Spaß deutlich effektiver als durch die Konfrontation mit Fakten. Ein Serious Game – damit ist ein Spiel mit ernsthaftem Hintergrund gemeint, das über den reinen Unterhaltungswert hinausgeht – kann hier ein kraftvolles Werkzeug sein: Serious Games können desinteressierte Zielgruppen reaktivieren, Spaß am Lernen bieten und sind als mobile Anwendung gerade für die Hauptrisikogruppe der Kinder niederschwellig erreichbar.
„Ich kann!“ Intrinsische Motivation zur Mundhygiene
Kinder werden im Alltag oft extrinsisch zur Mundhygiene angehalten: „Du musst dir die Zähne putzen, damit du keine Löcher und Schmerzen bekommst!“ So oder ähnlich findet die Aufforderung im Umfeld der Kinder statt. Wir hingegen verfolgen einen Ansatz, der wertschätzender und erwiesenermaßen effektiver ist: Jeder Mensch hat ein angeborenes Bedürfnis nach Autonomie, Kompetenz und Eigeninitiative. Wenn diese Bedürfnisse erfüllt werden, sind wir intrinsisch motiviert, also motiviert, um der Sache selbst willen. Aus der Mundhygiene als täglichem Reizthema und dem „Du sollst!“ wird ein „Ich kann!“. Wir möchten Kindern zu Wissen und Kompetenz verhelfen und sie so zu einem zahngesunden Lebensstil ermächtigen. Wissen ist dabei nur der erste Schritt: Prävention kann nur gelingen, wenn dieses Wissen in Form von festen Routinen in den Alltag integriert wird. Idealerweise lernen Kinder durch das Vorleben gesunder Routinen der Eltern. Oft fehlt aber den Eltern selbst das tiefere Wissen oder die Motivation. In unserem Spiel vermittelt die Spielfigur des Zahnputzfuchses als Role Model gute Gewohnheiten.
Flow, Immersion und zurück in die Realität
„Als Flow bezeichnet man einen Zustand höchster Konzentration und völliger Versunkenheit in eine Tätigkeit, als Immersion das völlige Eintauchen in eine virtuelle Welt. Kinder sind für beide Mechanismen äußerst empfänglich und genießen (wie Erwachsene) dieses Erleben. Wenn es gelingt, unsere Präventionsziele in diesem Aufmerksamkeitszustand „unterzubringen“, haben wir gute Chancen, dass die Kinder dauerhaft motiviert sind, diese Themen zu verinnerlichen und im Alltag umzusetzen. So identifiziert sich das Kind mit der Spielfigur und fühlt sich dadurch abgeholt. Die Spielwelt lädt außerdem zum Erkunden ein, es gibt Überraschungen und Challenges, um das Spiel abwechslungsreich zu halten und dadurch langfristig gesunde Routinen zu etablieren. Dieses Erlebnis ist mit Blick auf eine verantwortungsbewusste Suchtprävention sorgfältig dosiert und limitiert. Hierfür kooperieren wir mit Pädagogen und Psychologen und haben in der Spielmechanik bereits Vorkehrungen getroffen, damit Kinder den Sprung zurück in die Realität schaffen. Beispielsweise wird die Spielzeit altersgemäß dadurch begrenzt, dass die Spielfigur am Ende ihres Tages Schlaf braucht. Natürlich erst nach dem Zähneputzen bzw. Nachputzen durch Mama oder Papa Fuchs. So dauert ein Spielzyklus nur wenige Minuten und kann erst am nächsten Tag wiederholt werden.“
Dr. Vera Thome
Kompetenz durch praktisches Wissen
Wir Zahnärzte sind in der Lage, Nahrungsmittel hinsichtlich ihrer Wirkung auf die Zähne situativ und intuitiv zu bewerten und Negativhandlungen auszugleichen. Wir wägen ganz automatisch Kriterien ab, wie beispielsweise Kauaktivität, Säure- und Zuckergehalt. Für Kinder ist die Systematik immer noch sehr schwarz-weiß: Obst gut, Schokolade schlecht. Wir finden, dass diese Sichtweise nicht ausreicht. Kinder sind in der Lage, sich in ihrer Spielwelt und den dazugehörenden Figuren die kompliziertesten Zusammenhänge und Abläufe zu merken. Wir sollten ihnen zutrauen, mehr Hintergrundinformationen zu begreifen, denn nur dadurch werden sie im Alltag handlungsfähig. Sie putzen vielleicht morgens und abends ihre Zähne, konsumieren aber über den Tag verteilt immer wieder kariogene Lebensmittel und Getränke. Wenn wir ihnen ein intuitives Verständnis mit auf den Weg geben, sind sie in der Lage, Handlungsstrategien zu entwickeln, die sie im Alltag im Rahmen ihrer Mittel umsetzen können. Zum Beispiel, dass Süßigkeiten am besten nach dem Mittagessen gegessen werden sollten oder die neutralisierende Wirkung von einem Glas Wasser nach dem Konsum von Süßigkeiten oder Süßgetränken, wenn unterwegs gerade keine Zahnbürste parat ist. Außerdem möchten wir vermitteln, wie wichtig Remineralisationspausen zwischen den Mahlzeiten sind.
Mit dem Fuchs durch den Tag
Im Spiel sieht das konkret so aus: Das Kind begleitet die Spielfigur durch den Tag und gestaltet diesen möglichst (zahn-)gesund. Die Figur entscheidet sich für Handlungen oder Nahrungsmittel, wie z. B. Zutaten für ein gesundes Frühstück, Obst, Gemüse, aber auch Süßigkeiten oder Bewegungsaktivitäten. Sammelt sie Items, wie z. B. ein Bonbon, können negative Effekte auf Zahn und/oder Körper durch positive Handlungen ausgeglichen werden, wie das anschließende Sammeln einer Zahnbürste oder eines Wasserglases. Eingeblendet wird dabei über Symbole der Zustand des Körpers bzw. Zahns, der sich nach dem Sammeln des Items verbessert oder verschlechtert. Auf diese Weise sieht das Kind seine Handlungen oder vielmehr deren Ausgleichshandlungen unmittelbar bewertet.
Dies stärkt das intuitive Verständnis für De- und Remineralisation der Zahnsubstanz und zahn- bzw. allgemeingesundheitlich Zusammenhänge. Durch Bewegungs-Challenges schaffen wir eine Brücke zur Realität im Rahmen der Suchtprävention und Bewegungsförderung und leisten neben der Ernährung auch einen Beitrag zur Allgemeingesundheit.
Wanted: Finanzielle Unterstützung
Das Projekt „Spielend (zahn-)gesund“ steht noch ganz am Anfang. Zwar ist der Prototyp spielbar, es braucht jedoch weitere Features, um das Spiel für Kinder zu einem echten Erlebnis zu machen. Um das Spiel möglichst bald in den App Stores launchen zu können, benötigt der Verein finanzielle Unterstützung für die Entwicklungsarbeiten. Gleichzeitig hoffen die ehrenamtlich tätigen Projektmitwirkenden auf ein reges Interesse der Zahnarztpraxen, sodass die Kinder für ihr Lernen dort belohnt werden können und zur Prophylaxe gehen. Auch Kinderkliniken und Kindergärten sollen durch ein schon bestehendes Netzwerk miteinbezogen werden. Beispielsweise besucht der Verein die onko- logischen und kardiologischen Stationen und putzt dort mit den Kindern die Zähne, um Begleiterscheinungen der Krebstherapie zu reduzieren und für die Zusammenhänge von Zahn- und Allgemeingesundheit zu sensibilisieren. Für die Kinder auf Station kann das Spiel nicht nur wertvolles Wissen, sondern auch eine visuelle Pause vom zähen Therapiealltag bieten.
Spiel- und Lernerfolge in der Zahnarztpraxis vorzeigen
Serious Games sind ein wertvolles Tool, um komplexe und ernstere Zusammenhänge kindgerecht und einfach zu vermitteln. Dazu gehören in unserem Fall nicht nur die zahnmedizinischen Inhalte, sondern auch die generelle Haltung diesen Themen gegenüber. In unserer Hauptzielgruppe haben nicht nur die Kinder, sondern auch deren Eltern oft schon negative Erfahrungen gemacht. Häufig findet der Besuch in der Zahnarztpraxis nur statt, wenn es nicht mehr anders geht. Hier wieder ein stabiles Vertrauensverhältnis und eine positive Atmosphäre zu schaffen, kostet die Praxisteams nicht nur ein hohes Maß an Empathie und Geduld, sondern vor allem Zeit und damit Geld.
Unser Projekt adressiert dieses Problem unterschwellig. Kinder erleben im Spiel, dass sie plötzlich in diesem Thema kompetent sind. Das motiviert sie darin, besser zu werden und etwas für sich selbst bewegen zu können. Die freundliche Atmosphäre im Spiel nimmt Ängste und macht aufgeschlossen. Zur Spielfigur wird Vertrauen aufgebaut, der Zahnputzfuchs ist (wie Zahnärzte) keine Schreckensgestalt, sondern eine helfende Person. Allein dadurch wird der Zahnarztbesuch schon positiver bewertet.
Das allein reicht jedoch nicht. Wir müssen es schaffen, dass die Familien regelmäßig ihre Prophylaxetermine wahrnehmen, und wir müssen es schaffen, dass Prävention in der Praxis wirtschaftlicher wird. Die Idee hinter dem Spiel ist, dass Kinder ihre Spiel- und Lernerfolge in der Zahnarztpraxis vorzeigen können und dort dafür über unseren Verein eine Anerkennung bekommen, wie beispielsweise das Freischalten weiterer Inhalte oder reale „Abzeichen“. Mit diesen Anreizen fördern wir aktiv die Teilnahme am Prophylaxeprogramm und steigern für die Zahnärzteschaft die Patientenzahlen.
Dieser Artikel ist in der ZWP Zahnarzt Wirtschaft Praxis erschienen.