Branchenmeldungen 22.06.2022
Moderne Endodontie: Was ist heute möglich, was künftig nötig?
share
Wärmebehandelte Feilen, biokeramische Sealer, 3D-Bildgebung u. v. m. – die Endodontie ist ein innovatives Feld, denn der Erhalt des eigenen Zahns wird für die Patienten immer wichtiger. Daher widmen auch immer mehr Praxen der Endodontie ihre Aufmerksamkeit und integrieren sie in ihr Leistungsspektrum. Was Zahnärzte heute bereits für moderne Therapiemöglichkeiten und Instrumentarium haben und was in Zukunft noch möglich sein wird, erläutert Prof. Dr. Kerstin Galler, Endodontie-Expertin der Deutschen Gesellschaft für Endodontologie und zahnärztliche Traumatologie e.V. (DGET) im nachfolgenden Interview.
Die Endodontie hat sich in den vergangenen Jahren stark verändert, nicht zuletzt dank der fortschreitenden Digitalisierung der Zahnmedizin. Eine Veränderung, die noch andauert. Welchen Herausforderungen steht die moderne Endodontie heute gegenüber?
Gerade in der Endodontie steht den Zahnärzten eine Fülle an Instrumenten, Gerätschaften und Materialien verschiedener Anbieter zur Verfügung. Am Markt findet zudem – gerade bei den Feilensystemen – ein schneller Wechsel statt. Aus der Ausbildung der Studierenden wissen wir, dass gerade die Endodontie ein komplexes Thema ist und uns zudem ein hohes Maß an Fertigkeiten abverlangt, ganz abgesehen vom hohen Zeitaufwand für eine kompliziertere Behandlung. Somit besteht eine gewisse Diskrepanz zwischen dem, was möglich ist, und dem, was im Routinebetrieb umgesetzt wird. Eine Herausforderung sehe ich darin, die Qualität der endodontischen Behandlung und damit einhergehend auch der Versorgung in der dentalen Traumatologie flächendeckend zu verbessern, nicht nur bei denjenigen, die interessiert sind und regelmäßig Weiterbildungsveranstaltungen zur Endodontie besuchen.
Aus der Parodontologie kam im vergangenen Jahr mit der neuen PAR-Leitlinie ein starkes Signal für die Wichtigkeit der Anamnese und Patientengespräche resp. -aufklärung. Gibt es für die Leitlinien der Endodontie hier ebenfalls Bestrebungen, diese Bereiche der Therapie herauszustellen?
Ja, diese gibt es in der Tat! Die ESE (European Society of Endodontology) erarbeitet mit einem Team an Wissenschaftlern und Endodontologen gerade ein großes Leitlinienpaket zur Behandlung der Pulpitis und der apikalen Parodontitis. Um evidenzbasierte Empfehlungen geben zu können, wurden im Rahmen dieses aufwendigen Prozesses zunächst von mehreren Arbeitsgruppen systematische Übersichtsarbeiten zu verschiedenen Fragestellungen erstellt. Wir sind mittlerweile so weit vorangekommen, dass diese Übersichtsarbeiten demnächst publiziert werden können. Sie bilden die Grundlage für die erste Version der Empfehlungen. Im Herbst findet ein Treffen aller Beteiligten statt, wobei auch Interessenvertreter anwesend sind, neben Kollegen aus anderen Fachgesellschaften auch Patientenvertreter. Die Verbesserung der Lebensqualität der Patienten durch unsere Behandlung nimmt somit einen zunehmenden Stellenwert bei der Erarbeitung neuer Leitlinien ein. Im Rahmen eines Konsensusprozesses sollen die Empfehlungen ausgearbeitet und abgestimmt werden. Voraussichtlich im Jahr 2023 wird die neue Leitlinie fertiggestellt, vonseiten der Deutschen Gesellschaft für Endodontologie und zahnärztliche Traumatologie e.V. (DGET) ist bereits geplant, diese zu übersetzen und auch in Deutschland den Kollegen zugänglich zu machen.
Bevor die Wurzelkanalbehandlung beginnen kann, muss der Kanal aufbereitet und desinziert werden. Hierbei bemühen sich Zahnärzte, möglichst wenig Zahnhartsubstanz zu opfern. Was ist diesbezüglich heute möglich und wohin wird die Reise in Zukunft gehen?
Wie im wirklichen Leben ist ein Mittelweg ein guter Ansatz. Der Grundsatz, „so viel Hartsubstanz opfern wie nötig, so viel schonen wie möglich“, hat immer noch seine Gültigkeit. Um Übersicht zu bekommen, muss Dentin entfernt werden, mit der Trepanation als „Schlüsselloch“ kann ich wenig anfangen. Bei der Wurzelkanalpräparation ist es sicherlich sinnvoll, substanzschonend zu arbeiten, solange die ausreichende Penetration der Spüllösung gewährleistet ist.
Welche Anforderungen werden dabei auf die Instrumente, vor allem die Feilen, zukommen?
Was die modernen Feilensysteme angeht, ist die Technologie bereits sehr weit fortgeschritten. Sieht man sich die Entwicklung der modernen NiTi-Feilen über die letzten Jahre an, hat dies die endodontische Behandlung wesentlich verändert. Ob hier noch deutliches Potenzial zur Optimierung besteht, ist fraglich. Es ist aber vorstellbar, dass wir neue Wege und Techniken finden – die SAF ist beispielsweise ein solch innovativer Ansatz – aber nicht nur für die Präparation, sondern Desinfektion. Letztlich ist ja die weitgehende Elimination von Bakterien aus dem Wurzelkanalsystem ein wesentlicher Punkt, der über Erfolg oder Misserfolg entscheidet, somit wären Ansätze, die die Desinfektion optimieren, wünschenswert.
Nach einer erfolgreichen Aufbereitung und Entfernung des entzündeten Gewebes aus dem Wurzelkanal muss dieser bakteriendicht verschlossen werden. Biokompatibilität ist dabei die große Vorgabe. Welche Entwicklungen sind bei den Versiegelungsmaterialien zu beobachten und was wird hier vielleicht auch in Zukunft möglich sein?
Da denkt man natürlich gleich an die neueren WurzelkanalSealer auf Basis von hydraulischen Kalziumsilikatzementen. Diese bringen in der Tat wesentliche interessante Eigenschaften mit: Gewebeverträglichkeit, Bioaktivität durch Abgabe von Kalziumhydroxid, antibakterielle Eigenschaften sowie Verbund und Haftung am Dentin. Ich könnte mir vorstellen, dass diese Materialien in nächster Zeit vermehrt auch im Wurzelkanal zum Einsatz kommen, hier sind Ergebnisse aus klinischen Studien wichtig, erste vielversprechende Daten werden nun publiziert.
Eine abschließende Frage: Welche Entwicklungen wird die Endodontie selbst und im Zusammenhang mit anderen zahnmedizinischen Disziplinen in den kommenden Jahren nehmen und was bedeutet das für die Zahnärzte?
Auch die Endodontie wird vermehrt im Gesamtkontext der Gesunderhaltung des Patienten gesehen werden. Somit rücken Fragen nach dem Einfluss der apikalen Parodontitis als meist chronische Entzündung auf Allgemeinerkrankungen und vice versa in den Vordergrund. Mit etwas Verzögerung im Vergleich zu den Parodontologen ist dieses Thema in den letzten Jahren vermehrt zum Gegenstand der Forschung geworden. Damit kommt dem Grundprinzip, dass keine (zahn)medizinische Disziplin isoliert zu betrachten ist, wieder vermehrt Bedeutung zu und fordert den interdisziplinären Austausch sowohl innerhalb der Zahnmedizin als auch mit den Kollegen in der Medizin.
Frau Prof. Galler, vielen Dank für das Gespräch.
Dieser Beitrag ist im Endodontie Journal erschienen.