Branchenmeldungen 23.05.2022
Ab August 2022: Neue Leitlinie zur Wurzelspitzenresektion
Im August dieses Jahres soll die neue Leitlinie zur Wurzelspitzenresektion veröffentlicht werden. Damit wird Endodontologen eine überarbeitete Hilfestellung für den Praxisalltag geboten, die nun auch über die reine Indikation für eine Wurzelspitzenresektion hinausgeht. Im folgenden Interview geht Dr. Bijan Vahedi, M.Sc., Präsident der Deutschen Gesellschaft für Endodontologie und zahnärztliche Traumatologie e.V. (DGET), auf die wichtigsten Neuerungen der Leitlinie ein.
Die Leitlinie Wurzelspitzenresektion steht vor ihrer Veröffentlichung, wurde aber bereits im Juli 2020 fertiggestellt. Warum kommt es zu so einer langen Verzögerung?
Die Erstellung einer Leitlinie ist in der Regel ein komplexer und manchmal langwieriger Prozess. Dazu gehören u. a. die Regelung der Verantwortung für die Leitlinienentwicklung, die Zusammensetzung der Leitliniengruppe, das Anwenden einer adäquaten Methodik hinsichtlich der Evidenzbasierung und strukturierten Konsensfindung sowie die Erklärung von Interessen, Bewertung und der Umgang mit Interessenskonflikten. Für die Verzögerung wird es vermutlich mehrere Gründe geben, über die ich nur mutmaßen kann. Es wäre schön gewesen, wenn die Leitlinie schon im vorletzten Jahr publiziert worden wäre. Aber lieber spät als nie.
Welche Neuerungen sind in die Überarbeitung der Leitlinie eingeflossen?
Als entscheidende Neuerung kann vermeldet werden, dass zum ersten Mal auch die Therapiedurchführung in die Leitlinie eingeflossen ist. Bisher ist lediglich die Indikation zur Wurzelspitzenresektion der Hauptbestandteil der Leitlinie gewesen. Die Berücksichtigung der Therapiedurchführung bietet nun Sicherheit für den durchführenden Kollegen und kann zu einer erfolgreicheren Behandlung und einer verbesserten Patientengesundheit führen.
Welche weiteren Teile der Leitlinie sind neben der Therapiedurchführung erwähnenswert?
Die gesamte Leitlinie wurde überarbeitet, darunter die Indikationen und die weiterführende Diagnostik. Alle hier aufgeführten Punkte sind relevant, jedoch möchte ich kurz die digitale Volumentomografie (DVT) bewusst erwähnen, welche eine exzellente Hilfestellung in der Diagnostik apikaler Parodontitiden und in der Therapieplanung bietet. Das gilt insbesondere in Bezug auf die chirurgische Endodontie. Weitere Indikationen für den Einsatz der DVT sind in der entsprechenden Leitlinie genauer beschrieben.
Immer wieder hört man, dass ein Zahn nach einer Wurzelspitzenresektion gezogen werden muss. Bietet sich die Wurzelspitzenresektion als Behandlungsform zum Zahnerhalt überhaupt noch an?
Selbstverständlich. Die aufgeführte Literatur in der Leitlinie weist eine sehr hohe Erfolgsquote auf, wenn spezifische technische Details im Rahmen der Therapie eingehalten werden. Es gibt einen Konsens für eine rechtwinklige Resektion der Wurzelspitze (Abb. 2), eine retrograde, achsgerechte Präparation von mindestens 3 mm (Abb. 3 und Abb. 4) und einen starken Konsens über den Einsatz von Vergrößerungshilfen und den Einsatz spezifischer retrograder Füllmaterialien. Neben diesen entscheidenden Behandlungsschritten sorgen einige weitere technische Details für die erwähnten hohen Erfolgsquoten. Die Autoren der Leitlinie haben bereits im April 2021 selbst auf die mögliche hohe Erfolgsquote im Vergleich zur orthograden Revisionsbehandlung hingewiesen.
Warum erscheint Ihnen und den meisten anderen teilgenommenen Fachgesellschaften die achsgerechte Resektion der Wurzelspitze in Verbindung mit einer ca. 3 mm tiefen retrograden Präparation und Obturation als essenziell, um die beschriebenen hohen Erfolgsquoten zu erreichen?
Die Wurzelspitzenresektion ist meistens dann indiziert, wenn eine periapikale Erkrankung vorliegt, obwohl eine orthograde endodontische Behandlung erfolgt ist. Hier besteht in den allermeisten Fällen die Problematik, dass die Infektion des Endodonts nicht behoben werden konnte oder das Endodont möglicherweise nachträglich wieder erneut infiziert wurde. Somit liegen in den allermeisten Fällen Entzündungen des periapikalen Gewebes vor, die infektionsbedingt sind.
Sollte nun die Revisionsbehandlung in Ausnahmefällen nicht die erste Therapieform sein, dann wird die alleinige Resektion der Wurzelspitze in diesen Fällen das eigentliche Problem nicht ausreichend adressieren. Die Hoffnung, dass sich die persistierende Infektion auf ein potenziell vorhandenes apikales Delta beschränkt, ist leider ein Irrglaube.
Die auch häufig gestellte Vermutung, dass es sich bei den radiologisch dargestellten periapikalen Aufhellungen um Zysten handeln würden, kann in den meisten Fällen verneint werden. Histologische Studien, bspw. von Nair et al. (1996) oder Love et al. (2009), haben gezeigt, dass es sich bei den allermeisten periapikalen Aufhellungen um reines Granulationsgewebe handelt, also granulomatöses fibröses Gewebe mit Zellinfiltraten. Diese sind ein diagnostischer Marker für die Bestimmung einer chronischen apikalen Parodontitis und folgen zeitlich in der Regel der Infektion des Endodonts. Es konnte zwar festgestellt werden, dass sich die Wahrscheinlichkeit für Zysten in Abhängigkeit der Defektgröße verändert, dennoch auch bei großen Defekten in weniger als 20 Prozent der Fälle eine Zyste vorliegt.
Die Leitlinie weist auch Arbeitsabläufe in Form von Entscheidungsbäumen auf. Hier fällt auf, dass die Möglichkeit eingeräumt wird, dass eine Wurzelspitzenresektion indiziert sein könnte, wenn keine orthograde endodontische Behandlung im Vorfeld erfolgt ist. Ist dies denn noch lege artis?
Hier muss klar unterschieden werden, ob eine orthograde endodontische Behandlung überhaupt erfolgen kann. In sehr seltenen Fällen besteht bspw. aufgrund von Obliterationen, zumeist durch Tertiärdentinbildung, eine ungünstige Möglichkeit, das Endodont von orthograd in toto zu therapieren. Dies sieht man in der Praxis meist bei Frontzähnen, die ein Trauma erlitten haben und bei denen Pulpa als Reaktion durch „Fehlregulierung“ wieder Zahnhartsubstanz in Form von Tertiärdentin bildet. Das ist jedoch eine physiologische Reaktion und braucht selbst keine weitergehende endodontische Therapie.
Jedoch gibt es eine Kohorte von ca. zehn Prozent dieser Zähne, die im Laufe ihres Lebens eine periapikale Pathologie ausbilden. Hier ist es in der allgemeinzahnärztlichen Praxis fast unmöglich, von orthograd die Erkrankung zu adressieren, wenn nicht auf neuartige technische Möglichkeiten zurückgegriffen wird. Mittlerweile sind diese Art von orthograden Behandlungen auch dann in der nicht spezialisierten Praxis möglich, wenn die Behandlung minimalinvasiv nach 3D-Planung navigiert durchgeführt wird (guided endodontics). Sollte dies nicht möglich sein, muss bedacht werden, dass in diesen speziellen Fällen die Wurzelspitzenresektion die vermeintlich minimalinvasivere und prognostisch günstigere Therapieform für die allgemeinzahnärztliche Praxis darstellen kann. Allerdings ist es in endodontisch spezialisierten Praxen aufgrund der technischen Ausstattung und Erfahrung bisweilen möglich, auch diese Fälle minimalinvasiv von orthograd mit einer sehr hohen Erfolgsaussicht zu therapieren, worüber Patienten informiert sein sollten.
Herr Dr. Vahedi, vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Clara Winkler.