Branchenmeldungen 29.03.2018
Neu: Curriculum für Kieferorthopädie in Baden-Württemberg
Überwältigende Resonanz bei der Auftaktveranstaltung in Heidelberg.
Mit einer derartig hohen Teilnehmerzahl hatte der Gastgeber Prof. Dr. Christopher J. Lux nicht gerechnet: Gut 100 Teilnehmer – einschließlich der auf 15 limitierten Zahntechniker – hatten sich zur ersten Veranstaltung des baden-württembergischen Curriculums für Kieferorthopädie zum Thema „Update. Funktionsregler nach Fränkel“ am 23. und 24. Februar 2018 im Universitätsklinikum Heidelberg eingefunden. Besonders erfreut war Professor Lux hierbei über die große Resonanz, da der Kurs nicht über Baden-Württemberg hinaus angekündigt wurde und trotzdem neben Weiterbildungsassistenten auch viele „gestandene“ niedergelassene Kollegen angezogen hatte.
Es war seitens des Weiterbildungsausschusses Kieferorthopädie schon lange geplant, den in der Weiterbildung befindlichen Assistenten in Baden-Württemberg ein strukturiertes Fortbildungsprogramm anzubieten; jetzt haben die Hochschullehrer der vier kieferorthopädischen Universitätsstandorte in Heidelberg, Freiburg im Breisgau, Tübingen und Ulm gemeinsam ein freiwilliges Curriculum für Kieferorthopädie zusammengestellt, zu dem sich jeder Weiterbildungsassistent zu moderaten Gebühren anmelden kann. Die Kurse werden ab sofort quartalsweise in einem Turnus von drei Jahren stattfinden, wobei die nächsten Termine folgende sind: „Management von Nichtanlagen“ mit Prof. Dr. Dr. Bernd Lapatki in Ulm (20.07.2018), „Extraktions- versus Nichtextraktionstherapie“ mit Prof. Dr. Ingrid Rudzki und unter organisatorischer Leitung von Prof. Dr. Bernd Koos in Tübingen (01.09.2018), „Kinder- und Jugendzahnmedizin: Kieferorthopädie & Prävention im Kindesalter – was & wann ist sinnvoll?“ mit Prof. Dr. Britta A. Jung in Freiburg im Breisgau (26.10.2018) sowie „KFO multidisziplinär: Dysgnathieplanung, Frontzahntrauma, Präprothetik“ mit Prof. Dr. Christopher J. Lux in Heidelberg (22.02.2019). Informationen zu allen Veranstaltungen werden im Fortbildungskalendarium der LZK BW bereitgestellt bzw. sind auf den Homepages der jeweiligen KFO-Abteilungen verfügbar.
Abb. 1: Die beiden Referenten der großartigen Auftaktveranstaltung: Prof. Dr. Christopher J. Lux (re.) und Dr. Chris Köbel. © Dr. Claudia Obijou-Kohlhas
Den Beginn der Veranstaltung leitete am Freitagnachmittag zunächst Professor Lux mit einem Überblick über die Kieferentwicklung und das Wachstum des Kiefer- und Gesichtsschädels ein. Basierend auf den Erkenntnissen von Donald Enlow betonte er u. a., wie wichtig lokale epigenetische Faktoren für die Steuerung der Wachstumsvorgänge im Kiefer-/Gesichtsbereich sind. Kenntnisse zu den Hauptmechanismen der kraniofazialen Morphogenese – insbesondere Remodeling (Remodellierung) und Displacement (Verlagerung des Knochens als Ganzes) – sind wichtig für ein Grundverständnis des Funktionsreglers.
Professor Lux erläuterte das von Professor Rolf Fränkel und Dr. Christine Fränkel vielzitierte Prinzip „Working with growth“ einschließlich seiner Bedeutung im kieferorthopädischen Konzept der orofazialen Wachstumsbeeinflussung.
Abb. 2 und 3: Viele Behandlungsaufgaben lassen sich mit zwei Grundmodellen des Funktionsreglers bewältigen: Der abgebildete FR-2 (Abb. 2) ist für Klasse II-Anomalien mit eher horizontaler Morphologie geeignet; für vertikale Klasse II-Anomalien ist der Funktionsregler Typ 1, der sehr ähnlich ist (nicht abgebildet), indiziert. Für die Therapie von Anomalien des progenen Formenkreises kann der FR-3 (Abb. 3) verwendet werden. © Dr. Claudia Obijou-Kohlhas
In diesem Kontext dankte er Dr. Christine Fränkel, die sich vor einigen Jahren die Zeit genommen hatte, an ihn als Hochschullehrer die Prinzipien des klinischen Managements mit dem Funktionsregler weiterzugeben, und welche damit auch sein Interesse für diese faszinierende Thematik geweckt hatte.
Im Anschluss referierte der in Zwickau in der Praxisnachfolge von Dr. Christine Fränkel niedergelassene Kollege Dr. Chris Köbel über die Historie des Funktionsreglers, auch bekannt als sogenannte „Fränkel-Apparatur“. Der von Professor Rolf Fränkel erstmals Anfang der 60-er Jahre beschriebene Funktionsregler sollte als „Turngerät“ verstanden werden, um abwegige tonische Funktionsmuster zu beseitigen. Die Weitung des orofazialen Funktionsraumes und das Umtrainieren des neuromuskulären Funktionsmusters sind die Hauptziele des Funktionsreglers.
Im weiteren Verlauf der Fortbildung gab Dr. Chris Köbel genaue Anweisungen darüber, wie die Lippenpelotten und Wangenschilde des funktionskieferorthopädischen Gerätes gestaltet werden sollen. Anhand von illustrativen Fallbeispielen erläuterte Dr. Köbel die Wirkungsweise der Funktionsregler Typ FR-1 und FR-2. Hierbei betonte er, dass auch bei der orofazia-len Orthopädie die Grundprinzipien für das Muskeltraining berücksichtigt werden müssen. So darf der Unterkiefer initial nicht zu weit vorgestellt werden. Hierzu passt auch ein langsames Umtrainieren der orofazialen Muskulatur durch schrittweise Erhöhung der Tragezeit über mehrere Wochen.
Anschließend referierte Professor Lux in übersichtlicher Wei- se über die Herstellung und Anwendung des FR-3. Auch hier spielt die klinische Vorbereitung, wie z. B. Konstruktionsbissnahme und Abdruck, eine wichtige Rolle, um die Wirksamkeit des Funktionsreglers zu gewährleisten. Es ist darauf zu achten, dass ein suffizienter Mundschluss erreicht wird, und gezielte Lippenschlussübungen sollen die funktionskieferorthopädische Behandlung mit dem FR-3 im Sinne der orofazialen Orthopädie unterstützen. Auch wenn nicht jeder Patient für die Behandlung mit dem Funktionsregler geeignet ist, wird durch den freien Zungenraum der Funktionsregler von den Patienten meist gut akzeptiert, sodass auch hier eine entsprechend hohe Tragezeit erreicht werden kann, sobald das Sprechen mit dem Gerät gut möglich ist.
Den interessierten Zuhörern erläuterte der Referent zudem die exakten Herstellungskriterien des FR-3. Am Ende der Veranstaltung ging der Heidelberger Hochschullehrer auf die vor- oder nachgelagerte Kombination des Funktionsreglers mit anderen Klasse III-Apparaturen bzw. Therapieschritten, wie z. B. mit GNE auf Basis einer Kappenschiene oder einer skelettal verankerten Hybrid-Hyrax, Delairemaske bzw. Mentoplate, ein. Beeindruckend waren auch seine Fallbeispiele und die wissenschaftlichen Beiträge zur Klasse III-Behandlung.
Nicht nur für Weiterbildungsassistenten, sondern auch für routinierte Kieferorthopäden war der Fränkel-Kurs in Heidelberg eine äußerst gelungene praxisrelevante Veranstaltung. Parallel dazu wurde für Zahntechniker ein praktischer Kurs zur Herstellung des Funktionsreglers angeboten. Ein großer Dank hierfür gebührt den beiden Referenten Univ.-Prof. Dr. Christopher Lux und Dr. Chris Köbel. Die hohe Nachfrage sowie die vielen positiven Reaktionen nach dem Kurs zeigen, dass Fragen der Funktionskieferorthopädie und der orofazialen Orthopädie nach wie vor einen wichtigen Stellenwert in der Kieferorthopädie haben.
Autorin: Dr. Claudia Obijou-Kohlhas
Der Artikel ist in den Kieferorthopädie Nachrichten 4/2018 erschienen.