Branchenmeldungen 13.07.2023
Sommerfest 2023: ZFZ-Sommer-Akademie und DGDH-Jahrestagung
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„Das Zahnweh, subjektiv genommen, ist ohne Zweifel unwillkommen. Doch hat's die gute Eigenschaft, dass sich dabei die Lebenskraft, die man nach außen oft verschwendet, auf einen Punkt nach innen wendet und hier energisch konzentriert. Kaum wird der erste Stich verspürt, kaum fühlt man das bekannte Bohren, das Rucken, Zucken und Rumoren, und aus ist's mit der Weltgeschichte. Vergessen sind die Kursberichte, die Steuern und das Einmaleins. Kurz, jede Form gewohnten Seins, die sonst real erscheint und wichtig, wird plötzlich wesenlos und nichtig. Ja, selbst die alte Liebe rostet. Man weiß nicht, was die Butter kostet. Denn einzig in der engen Höhle des Backenzahnes weilt die Seele, und unter Toben und Gesaus reift der Entschluss: Der Zahn muss heraus.“
Mit dem Gedicht „Zahnweh“ von Wilhelm Busch eröffnete am 7. Juli dieses Jahres Frau Priv.-Doz. Dr. Yvonne Wagner, Direktorin des Zahnmedizinischen Fortbildungszentrums Stuttgart, die diesjährige Sommerakademie des Zentrums für Fort- und Weiterbildung Stuttgart. Im schönen Forum am Schlosspark in Ludwigsburg hat erneut die beliebte ZFZ-Sommerakademie stattgefunden, welche sich in diesem Jahr hauptsächlich mit der Materie „Schmerzpatienten in der Zahnarztpraxis – die häufigsten Diagnosen und ihre Behandlung“ auseinandersetzte. Fachleute aus verschiedenen Bereichen der Zahn- und Humanmedizin kamen zusammen, um ihr Wissen zu teilen und gleichfalls zu erweitern, sich auszutauschen und neue Erkenntnisse zu gewinnen. Das Programm bot eine breite Palette an Vorträgen, Workshops und Fallstudien, die sich mit den spezifischen Herausforderungen bei der Behandlung von Schmerzpatienten und Notfällen befassten.
Zunächst legte im Vorprogramm Dr. Dr. Alexander Raff, Fachzahnarzt Für Oralchirurgie in Stuttgart, Grundlagen zur (PAR-) Abrechnung innerhalb der Gebührenordnung für Zahnärzte dar, wohingegen sich Diplom-Psychologe Dr. Martin Simmel aus Regensburg zum Umgang mit Patienten in anspruchsvollen Situationen befasste.
Zur gleichfalls stattfindenden DGDH-Jahrestagung trafen sich u. a. Prof. Dr. Dirk Ziebolz und Priv.-Doz. Dr. Gerhard Schmalz, beide vom Universitätsklinikum Leipzig, Dr. Catherine Kempf, Fachärztin für Anästhesiologie, Dr. Elmar Ludwig, Referent für Alterszahnheilkunde der Landeszahnärztekammer Baden-Württemberg und Prof. Dr. Annett Horn vom Fachbereich Gesundheit an der FH Münster. Begutachtet wurden dabei Beispiele zur Tobacco Harm Reduction und Rauchstopp, unerwünschte Arzneimittelwirkungen in der Zahnmedizin, Bestrahlung, Chemotherapie und Operation bei Tumoren im Kopf-Hals-Bereich sowie die Bedeutung von Diabetes und Rheuma im zahnärztlichen Kontext. In den darauffolgenden Vorträgen wurden Best Practices der verschiedenen zahnmedizinischen Fachbereiche vorgestellt. Zahnarzt, Kommunikations-Coach und Hypnose-Experte Dr. Christian Bittner aus Salzgitter teilte so z. B. sein kommunikationstheoretisches Fachwissen und unterstrich, dass gerade bei – in Deutschland immerhin ca. 14 Millionen – Angst- und Schmerzpatienten empathische Kommunikationsstrategien unumgänglich seien. Jeder sechste Patient, so Bittner, empfinde sich nicht nur als zahnarztängstlich, sondern bisweilen mit diesem Problem auch alleingelassen.
Prof. Dr. David Sonntag, Spezialist für Endodontie in Düsseldorf, präsentierte den Teilnehmern seine Erfahrungen mit endodontischen Schmerzpatienten in der Notaufnahme. Allein der Fakt eines Notfallkontaktes sorgt laut Sonntag bereits für Ängste, denn Patienten kommen in Akutsituationen und dadurch bedingt auch zumeist im Erstkontakt. Eine vertrauensvolle Basis kann also nicht bereits vorhanden sein und muss zunächst aufgebaut werden. Er besprach verschiedene Behandlungsansätze einzelner Fälle und wies eindrücklich daraufhin, dass akribische Arbeit, unabhängig von Expertise und Erfahrung, immer oberste Priorität sein muss. Offenbar, so Sonntag, verschreiben noch immer viele Zahnärzte Antibiotika zu diagnostischen Zwecken, jedoch: „Die Diagnose Antibiotika gibt es nicht!“
Prof. Dr. Dr. med. dent. Marco Kesting, Klinikdirektor der Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgischen Klinik in Erlangen legte wiederum den Fokus auf chirurgische Notfallbehandlungen und bat zunächst alle Teilnehmer eindringlich, das eigene Fachwissen immer auf dem neuesten Stand zu halten, sowie leitliniengetreu zu handeln. Ein chirurgischer Notfalleingriff, so Kesting, solle möglichst nur bei bereits knöchernem morphologischem Korrelat vorgenommen werden. Zudem wies er deutlich auf die Vorteile der interdisziplinären Verständigung innerhalb eines Kliniksettings hin. Falle einem Zahnmediziner in der eigenen Praxis auf, dass Erkrankungen vorliegen könnten, die den eigenen Wissensstand überschreiten, sei es keineswegs förderlich zu experimentieren. Eine Überweisung zum adäquaten Fachmediziner sei dann obligat. Zur Veranschaulichung präsentierte auch Prof. Kesting mehrere Fallberichte im Rahmen seines Referates.
Eine optimale Patientenversorgung im Endo-Paro-Kontext lag im Fokus des Vortrages von Prof. Dr. Henrik Dommisch, stellvertretender Wissenschaftlicher Direktor der Charité – Universitätsmedizin in Berlin/Abteilung für Parodontologie und Synoptische Zahnmedizin. Im Vordergrund stünde, so Dommisch, zunächst immer eine Reinigung des betroffenen Umfeldes, denn oftmals sei bei Schmerzpatienten keine reguläre Mundhygiene mehr möglich. Erst dann kann mit der eigentlichen strukturierten parodontologischen Therapie begonnen werden, welche u. U. durch eine antibiotische Begleittherapie ergänzt wird.
Ein weiterer Schwerpunkt lag auf dem Umgang mit Notfällen bei Kindern, besonders in Zusammenhang mit Ängsten und Schmerz. Durch Frau Prof. Dr. Katrin Bekes, Leiterin des Fachbereiches Kinderzahnheilkunde der Universitätszahnklinik Wien, wurden hier verschiedene Szenarien und Fallstudien präsentiert, um den Teilnehmern zu zeigen, wie sie in akuten Situationen mit kleinen Patienten angemessen reagieren und die richtigen Maßnahmen ergreifen können. Grundsätzlich müsse künftig verstärkt darauf geachtet werden, dass das Bewusstsein für frühestmögliche Zahnarztbesuche – bereits im ersten Lebensjahr – unbedingt weiter etabliert wird. Leider sei häufig der Schmerzdienst der Erstkontakt zwischen Kind und Zahnarzt, was eine ohnehin schwierige Behandlungssituation nur noch komplizierter gestalte. Psychologische Aspekte sind demnach hier noch stärker in Betracht zu ziehen als bei erwachsenen Notfallpatienten. Weitere Referate ermöglichten den Teilnehmern ihre Fähigkeiten sowohl im zahnärztlichen Notfallmanagement als auch fachübergreifend zu verbessern. Akutsituationen aus Sicht der Kieferorthopädie wurden so von Dr. Christoph-Ludwig Hennig, Oberarzt und Leiter der Dysgnathie-Sprechstunde Universitätsklinikum Jena besprochen. Auf Schmerzpatienten aus prothetischer Sicht wiederum blickte Prof. Dr. Nicole Passia, Direktorin der Poliklinik für Zahnärztliche Prothetik am Universitätsklinikum Carl Gustav Carus in Dresden.
Ergänzt wurden alle Vorträge durch eine sehr anschaulich dargestellte Auffrischung aller maßgeblichen Erste-Hilfe-Maßnahmen – in- und außerhalb der zahnärztlichen Praxis – durch Dr. Jens Reichel, Oberarzt am Uniklinikum Jena, Lehrbeauftragter der Notfallmedizin und Katastrophenschutzbeauftragter.
Die ZFZ-Sommerakademie 2023 bot den Teilnehmern natürlich auch die Möglichkeit, sich mit Kollegen auszutauschen und ihr berufliches Netzwerk zu erweitern. Ziel dieses (interdisziplinären) Austausches soll das Verständnis für die verschiedenen Perspektiven und Herangehensweisen einzelner Fachdisziplinen, besonders bei der Behandlung von Schmerzpatienten und Notfällen sein.
Grundtenor aller Darstellungen an diesem Wochenende war zweifelsohne: WIR bekommen das ZUSAMMEN hin.