Branchenmeldungen 15.10.2025

Teil 4: Generatives ­Design – wenn Algorithmen ­Zahnersatz entwerfen



Beyond Zahntechnik – reloaded: Die KI-Edition – In den ersten drei Teilen der Artikelserie haben wir die Transformation der Zahntechnik durch KI und die sich wandelnde Beziehung zwischen Mensch und Maschine betrachtet. Nun widmen wir uns einem spannenden Teil­aspekt: generative KI.

Teil 4: Generatives ­Design – wenn Algorithmen ­Zahnersatz entwerfen

Foto: Hintergrund: Kanisorn – stock.adobe.com/ Zahn: Shelley – stock.adobe.com

Dentale CAD-Software folgt bisher einem klaren Muster: Der Mensch entwirft, die Software unterstützt. Generative künstliche Intelligenz (Gen AI) verfolgt einen anderen Ansatz: Der Mensch definiert Ziele und Rahmenbedingungen – die KI erstellt das Design. Aber was genau ist Gen AI? Sie nutzt neuronale Netzwerke, um aus riesigen Datenmengen neue, eigenständige Inhalte zu erschaffen.

Populäre Beispiele

  • ChatGPT (Large Language Model), das auf der Basis riesiger Textmengen menschenähnliche Texte, Geschichten oder Codes erzeugt.
  • DALL-E (Diffusion Model), das aus Textbeschreibungen ­originäre Bilder und Grafiken visualisiert.

Konkretes Beispiel für solche generativen Ansätze in der Zahntechnik ist, dass Machine Learning-Systeme anatomische Parameter aus Scans analysieren und automatisch optimierte 3D-Kronengeometrien generieren.

Rollentausch: Automatisierung vs. Assistenz

Während klassische CAD-Software den Zahntechniker als Designer unterstützt, kehrt generative KI das Prinzip um: Algorithmen erzeugen vollautomatisch originäre Designs, oft binnen Sekunden.

Vollautomatisiertes generatives Design (oft cloudbasierte Plattformen)

  • Erzeugt Kronen-Designs eigenständig
  • Verändert die Rolle des Zahntechnikers zum „Supervisor“
  • Nutzt oft flexibles Pay-per-Use-Modell (keine Anfangsinvestitionen)
  • Geeignet für Standardrestaurationen, Dentallabore mit hohem Durchsatz, (Quer-)Einsteiger

Assistierende CAD-Software (Installierte Software-Programme):

  • Behält den Menschen im Zentrum des Designprozesses
  • Bietet KI-Unterstützung für Teilschritte (Margin-Erkennung, Vorschläge)
  • Folgt klassischen Lizenzmodellen
  • Geeignet für komplexe ästhetische Arbeiten, spezielle ­Indikationen

Beide Ansätze haben ihre Berechtigung – die Wahl hängt vom Anwendungsfall, der Art der Restauration und den Präferenzen des Labors ab.

Schichtwechsel: Generatives Design im Arbeitsalltag

Die Interaktion von KI-Designplattformen ist bemerkenswert intuitiv. Nach dem Upload analysiert die KI die Gesamtsituation ohne zusätzliche Eingaben. Sie erkennt präparierte Zähne, identifiziert die Präparationsgrenzen, entwirft das Design. Ein Reddit- Nutzer berichtet: „Notfall mit vier abgebrochenen Zähnen. Nach dem Präparieren wurden die STL-Dateien ins KI-Webportal hochgeladen. Das System erkannte automatisch die präparierten Zähne und analysierte die Präp.-Grenzen. Per Klick auf die Zähne entstanden nach 15 Sekunden KI-generierte Kronen­designs – ohne Vorkenntnisse oder Einarbeitung. Die gedruckten Provisorien passten zu den Nachbarzähnen, sahen natürlich aus und benötigten nur minimale Anpassungen. Zeitaufwand vom Log-in bis zum Download: 7 bis 8 Minuten.

© Unlimited – stock.adobe.com

Generatives Design: KI-gestützter Designprozess, bei dem Algorithmen basierend auf Zielvorgaben Designvorschläge erzeugen.

Convolutional Neural Networks (CNNs): Neuronale Netzwerke, die besonders für die Interpretation von 3D-Strukturen geeignet sind, z. B. Identifizieren der Präp.-Grenze.

Assistive KI: KI-Systeme, die den menschlichen Nutzer unterstützen, ohne dessen kreative Kontrolle zu übernehmen, z. B. Vorschlag für das Okklusionsdesign.

Neuronale Netzwerke: Rechenmodelle, inspiriert von der Funktionsweise des menschlichen Gehirns, die es KI-Systemen ermöglichen, aus Daten zu ­lernen und Muster zu erkennen. Sie sind die Grundlage vieler generativer KI-Anwendungen.

Die zwei Seiten der Medaille: Vor- und Nachteile generativer Systeme

Potenzielle Vorteile:

  • Zeiteffizienz: Reduzierte Designzeit
  • Reproduzierbarkeit: Konsistente Ergebnisse unabhängig von Tagesform, Müdigkeit etc.
  • Niedrigere Einstiegshürde: Intuitive Bedienung auch für (Quer-)Einsteiger

Zu beachtende Einschränkungen:

  • Eingeschränkte Individualität: Die Tendenz, Designvorschläge unverändert zu übernehmen, kann zulasten der individuellen Laborhandschrift gehen.
  • Infrastrukturabhängigkeit: Cloudbasierte Systeme erfordern stabile Internetverbindungen und schaffen technologische Abhängigkeiten von externen Dienstleistern.
  • Ästhetische Standardisierung: Das Training der KI an umfangreichen, aber dennoch begrenzten Datensätzen kann zu einer gewissen Vereinheitlichung führen.

Blick in die nahe Zukunft

Die Entwicklung der generativen KI in der Zahntechnik steht am Anfang. Für die kommenden Jahre zeichnen sich interessante Trends ab:

  • Lernende Designsysteme werden sich dem individuellen Stil und den Präferenzen des Labors anpassen – ähnlich einem neuen Mitarbeiter.
  • Sprachgesteuerte Interfaces könnten die Bedienung noch intuitiver machen: „Erstelle eine anatomische Krone mit ­reduzierter Höckerneigung und natürlicher Oberflächen­textur“.
  • Hybridlösungen werden generative Vorschläge und manuelle Eingriffe fließender verbinden, sodass der Übergang zwischen KI und menschlichem Input kaum noch spürbar ist.
  • Demokratisierung von Expertise: KI-Systeme bündeln weltweites zahntechnisches Wissen und machen es für alle zugänglich – unabhängig von Ausbildungsstand, Erfahrung oder Laborgröße.

Design-Lösungen im Vergleich

DentBird AI: Cloudbasierte Lösung für vollauto- matisches Kronendesign. Das Pay-per-Use-­Modell ermöglicht einen kostengünstigen Einstieg. Besonders interessant: die „Batch App“ für gleichzeitiges Bearbeiten mehrerer Fälle. In Deutschland exklusiv über Dental Direkt erhältlich. 
dentbird.com

3Shape Automate: KI-basierte Erweiterung des 3Shape Dental-Systems zeichnet sich durch eine ausgewogene Balance zwischen Automatisierung und manueller Kontrolle aus. Die Software kombiniert vortrainierte Algorithmen mit umfangreichen manuellen Anpassungsmöglichkeiten. 
3Shape.com

exocad DentalCAD AI: Kombiniert klassische CAD-Funktionen mit KI-Unterstützung für automatisierte Designvorschläge oder die Erkennung von Präparationsgrenzen für eine nahtlose Integration in bestehende Workflows. Besonders geeignet für erfahrene Zahntechniker, die KI als Assistenzsystem nutzen möchten. 
exocad AIDesign

In der nächsten Ausgabe: „Warum Vielfalt das beste Gegenmittel gegen Bias ist“ – wie die nächste Entwicklungsstufe der KI die Zahntechnik verändert, welche Rolle Datenqualität und Standards spielen – und warum Augmented Intelligence das realistischere Zukunftsbild liefert.

Fazit

Evolution statt Revolution

Generative KI transformiert die Rolle des Zahntechnikers subtil, aber tiefgreifend. Anstelle eines abrupten Umbruchs vollzieht sich eine schrittweise Neuausrichtung des Berufsbilds. Die Balance zwischen Automatisierung und menschlicher Expertise wird sich verschieben – mit offenem Ausgang. Niemand kann heute mit Sicherheit sagen, wie weit die Automatisierung gehen wird. Letztlich aber zählt eben mehr als der Algorithmus: das zahntechnische Auge, das den Menschen sieht; der Dialog, der Bedürfnisse jenseits starrer Datenfelder aufdeckt; der Verstand, der den Gesamtkontext erfasst; und die Hand, die dafür die Verantwortung übernimmt. Die nahe Zukunft dürfte von hybriden Ansätzen geprägt sein. Inwieweit diese Technologie unsere Branche verändern wird, bleibt abzuwarten. Sicher ist nur: Die Branche wird in zehn Jahren anders aussehen als heute.

 

ZTM Jacqueline Riebschläger


„Mein unverzichtbares KI-Tool im Labor­alltag? Ganz klar: ChatGPT. Es ist für mich wie ein zusätzlicher Kollege im Hintergrund – zuverlässig, schnell und immer verfügbar. Ich nutze es für Formulierungshilfen, Kundenbriefe, Konzeptentwürfe oder strategische Entscheidungen. Besonders schätze ich, dass ich nichts mehr tippen muss: Ich spreche meine Gedanken einfach ein – am Handy oder Rechner – und bekomme sofort klar strukturierte, ausformulierte Texte. Das spart Zeit, bringt Klarheit – und lässt mich als Unternehmerin schneller handeln.“ Foto © Privat

ZWL Zahntechnik Wirtschaft Labor 05/25

ZWL Zahntechnik Wirtschaft Labor


Dieser Beitrag ist in der ZWL Zahntechnik Wirtschaft Labor erschienen.

Seit über 25 Jahren erreicht die ZWL Zahntechnik Wirtschaft Labor mit einer Auflage von je 10.000 Exemplaren gewerbliche wie auch Praxislabore im gesamten Bundesgebiet und ist so eine der bevorzugten Informationsquellen und Ratgeber zu allen fachlichen und wirtschaftlichen Aspekten rund um das zahntechnische Labor. In sechs Ausgaben jährlich können sich die Leser über aktuelle Entwicklungen und Trends der Branche informieren.

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