Branchenmeldungen 21.08.2012

Trends und Herausforderungen in der Implantologie



Trends und Herausforderungen in der Implantologie

Foto: © privat

Im Mai 2012 fand in Luzern/Schweiz der 4. Internationale CAMLOG Kongress statt. Im Rahmen der Pressekonferenz sprach Prof. Dr. Jürgen Becker, Präsident der CAMLOG Foundation, sowohl über den Forschungsstand als auch die aktuellen Trends und He­rausforderungen in der Implantologie. Die ZWP-Redaktion nutzte die Gelegenheit und interviewte Prof. Becker zu diesem Thema.

Herr Prof. Becker, in diesem Jahr fanden in Deutschland und in der Schweiz die wissenschaftlichen Kongresse der namhaften Implantatanbieter statt. Welchen Stellenwert haben diese Kongresse aus Sicht des Wissenschaftlers?

Sie sind für die Anwender ein wichtiges Forum des Erfahrungsaustausches, der Information über aktuelle wissenschaftliche Ergebnisse, der Vorstellung von neuen Therapiekonzepten und vor allem auch der kritischen Diskussion von etablierten Verfahren. Für die Hersteller bieten sie natürlich auch eine Möglichkeit, eigene Innovationen vorzustellen. Unterscheiden tun sich die jeweiligen Kongresse teilweise auch dadurch, inwieweit der jeweilige Hersteller Forschung fördert und unterstützt. Der Wissenschaftler legt mit seiner Arbeit eine wichtige Grundlage dafür, dass der „Praktiker“ erfolgreich ist. Von daher haben Wissenschaftler und Praktiker vor allem bei klinischer Forschung oftmals die gleichen Ziele. In Deutschland gibt es eine bedeutsame Entscheidung des Bundesgerichtshofes aus dem Jahr 2003 zur medizinischen Notwendigkeit. Medzinisch notwendig bedeutet dort, dass dies im Allgemeinen dann der Fall ist, wenn eine wissenschaftlich anerkannte Behandlungsmethode zur Verfügung steht, die geeignet ist, die Krankheit zu heilen oder zu lindern. Dieses Urteil hat für einige private Krankenkassen eine Bedeutung erlangt, da diese nach wissenschaftlichen Ergebnissen unserer Therapieverfahren und Materialien fragen können. Bei  den eigentlichen Implantaten wird heute noch in der Regel eine Analogbewertung akzeptiert, bei spezifischen Verfahren und Materialien jedoch oftmals nicht. Von daher wird die Forschung in der Implantologie auch zukünftig eine sehr wichtige Rolle haben. So ist es eine der zentralen Aufgaben der CAMLOG Foundation, wissenschaftliche Kongresse auszurichten, Forschungsprojekte zu fördern und Stipendien für junge Wissenschaftler zur Verfügung zu stellen. Ein Schwerpunkt der Kongresse der CAMLOG Foundation sind damit auch immer wissenschaftliche Poster-Ausstellungen, Vorträge aus den geförderten Arbeitsgruppen und wissenschaftliche Tagungspreise. Aber natürlich muss auf den Kongressen der Bezug zu den Fragen in der täglichen Praxis gewährleistet sein. Die CAMLOG Foundation fördert heute weltweit zahlreiche Arbeitsgruppen.

Wenn wir über Trends und Herausforderungen in der Implantologie sprechen, was bedeutet dies zunächst im Hinblick auf die Patienten, gibt es hier Veränderungen? 

Die Implantologie gehört zu den zahnme­dizinischen Fachdisziplinen, die durch eine hohe wissenschaftliche Forschungsaktivi­tät gekennzeichnet ist und wo es auch kontinuierlich viele Innovationen gibt. Dies betrifft die chirurgischen Konzepte, die Behandlung von Risikopatienten, Veränderungen im Bereich der Einheilzeiten und auch die Verbindungen zwischen Implantat und Abutment, wie z.B. konische Verbindungen oder das Platform Switching, das prinzipiell bisher nur Vorteile aufzeigt. Im Bereich der Prothetik gibt es einen Trend weg von den hochgoldhaltigen Abutments und Gerüsten, vor allem jetzt zur CAD/CAM-Technik, der Titanfrästechnik und keramischen Gerüsten. Ein ganz zentrales Thema ist natürlich das potenzielle Risiko, das in der Funktionsphase des implantatgetragenen Zahnersatzes periimplantäre Entzündungen auftreten. Hier sind risikoadaptierte Therapiekonzepte wichtig.

Welche Herausforderungen leiten sich hie­raus für den implantologisch tätigen Zahnarzt ab oder anders gefragt, was wurde erreicht und welche Probleme in der Chirurgie und Prothetik gilt es künftig noch besser zu beherrschen?

Die orale Implantologie hat einen exzellenten Standard mit sehr hochwertigen Versorgungsformen entwickelt. Die Forschung im Bereich der Chirurgie konzentriert sich deshalb u.a. auf Patienten mit reduziertem Knochenangebot und allgemeinmedizinischen Risikofaktoren. Die Therapie periimplantärer Erkrankungen gewinnt ebenfalls erheblich an Bedeutung. Die Einheilzeiten sind generell kürzer geworden und für führende Implantathersteller gibt es heute gut dokumentierte Konzepte z.B. zur Sofortbelastung, durch die u.a. die Einheilphase für den Patienten komfortabler gestaltet werden kann. Dies ist kein neues Konzept, Dr. Philipp Ledermann hat dies bereits vor über 30 Jahren vorgestellt und wissenschaftlich belegt. Wichtig ist heute sicherlich der Trend zu kürzeren Implantatlängen, in der Regel um ca. 11mm Länge. Vor zehn Jahren wurden im Seitenzahnbereich oftmals noch Implantate mit Längen von 13 – 16mm inseriert. Dies ist aufgrund der heutigen Datenlage nicht mehr notwendig. Die Prognose des implantatgetragenen Zahnersatzes wird entscheidend durch periimplantäre Entzündungen beeinflusst, und hier sind die oberen Millimeter des Implantates entscheidend. In Deutschland werden in der Regel heute zementierbare Lösungen bei Kronen und Brücken bevorzugt, in den Mittelmeerländern kommt verschraubten Rekonstruktionen eine größere Bedeutung zu.

Sie haben die Bedeutung besonders der klinische Studien hervorgehoben. Nach 40 Jahren Implantologie gibt es die vielfältigsten Erfahrungen. Warum sind Studien Ihrer Meinung nach so immens wichtig?

Klinische Forschung und vor allem klinische Langzeitergebnisse sind eine zentrale Basis unseres ärztlichen Handelns. Wenn nach zehn Jahren ca. 80 Prozent der prothetisch versorgten Implantate eine Mukositis, d.h. eine Blutung auf Sondierung aufweisen, gibt es hier einen Verbesserungsbedarf unserer Therapiekonzepte.

Eines der derzeit am meisten diskutierten Probleme in der Implantologie ist die Periimplantitis. Wie stellt sich hier die Faktenlage dar, welche Risikofaktoren sind bekannt und welche wissenschaftlich fundierten Therapieansätze stehen zur Verfügung? 

Patienten sollten heute vor einer Implantatversorgung generell über das Risiko periimplantärer Entzündungen aufgeklärt werden. Wissenschaftlich liegen gute Daten zur Häufigkeit der Mukositis und Periimplan­titis vor. Die Mukositis ist prinzipiell durch nichtchi­rurgische Verfahren der Biofilm­entfernung reversibel. Für die Periimplantitis muss heute davon ausgegangen werden, dass nichtchi­rurgische Verfahren nicht erfolgreich sind, sodass eine Periimplantitis immer durch ei­-ne offene Lappenbildung behandelt werden muss, was natürlich die Ästhetik nachteilig beeinflussen kann. Gerade in den letzten Jahren wurden auf europäischen Konsensuskonferenzen gute Therapiekonzepte verabschiedet, sodass die wissenschaftliche Datenlage viel besser geworden ist. Auf der Grundlage tierexperimenteller Studien muss heute eine Reosseointegration periimplantärer Knochendefekte nach Dekontamination und Augmentation als möglich angesehen werden. Sie zeigt sowohl innerhalb von Studien als auch im Vergleich untereinander große Unterschiede und ist nicht vorhersagbar und wurde bisher noch nicht für die gesamte kontaminierte Implantatoberfläche erreicht. Das Ausmaß der Reosseo­integration ist bisher nur schwer vorhersagbar und klinisch zu beurteilen. Deshalb kommt auch der Prävention der Peri­implantitis durch eine frühzeitige Behandlung einer Mukositis eine so große Bedeutung zu.

Wie wir sehen können, gibt es trotz hoher Erfolgsquoten in der Implantologie keinen Stillstand. Permanent wird daran gearbeitet, implantatgetragenen Zahnersatz unter funktionellen und ästhetischen Gesichtspunkten weiter zu optimieren sowie die Langzeitstabilität von Implantaten noch weiter zu verbessern. Wo sehen Sie angesichts einer zunehmenden Computerisierung die Implantologie in 20 Jahren und welche Rolle werden biologische Aspekte künftig spielen?

Ein Blick in die Zukunft über einen Zeitraum von 20 Jahren erscheint mir in Anbetracht der vielfältigen Innovationen in den vorangegangenen 20 Jahren schwer. Das DVT wird in der Implantologie sicherlich eine zentrale Bedeutung bekommen, sodass 3-D-basierte Planungen noch viel häufiger werden. Dünnere Implantate, einteilige Implantate werden bei schmalen Kieferkämmen mit augmentativen Verfahren konkurrieren. Ein hohes Innovationspotenzial sehe ich vor allem auch bei der prothetischen Versorgung. Dies betrifft optische Abformungen, CAD/CAM-basierte Restaurationen, sodass das Thema des „Auslandszahnersatzes“ sicherlich auch an Bedeutung verlieren wird. Eine Biologisierung von Implantaten sehe ich derzeit nicht als relevant an, die modernen Oberflächen von Titanimplantaten bieten faszinierende Möglichkeiten der schnelleren Osseointegration und Defektheilung, die vor einigen Jahren noch jenseits unserer Erwartungen lagen. Bei den regenerativen Verfahren kommt neuen Biomaterialien und sicherlich auch Wachstumsfaktoren zukünftig eine größere Bedeutung zu. Ein wichtiges Thema wird der Weichgewebekontakt im Durchtrittsbereich durch die Schleimhaut sein. Hier muss es das Ziel sein, eine dichtere Abdichtung (fibröse Integration im Gegensatz zur Osseointegration) und damit bessere Anheftung des Weichgewebes am Abutment zu erreichen.

Sehr geehrter Herr Prof. Becker, wir danken Ihnen für das sehr interessante Gespräch.

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