Branchenmeldungen 12.12.2023
Wann sagen wir uns wieder, was wir wirklich meinen?
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Das nahende Jahresende dient immer auch einem kritischen Blick auf Phänomene und Befindlichkeiten, die uns derzeit prägen und bewegen. Angeregt durch den Online-Artikel einer Wochenzeitung1 resümiert die Redaktion den aktuellen Sprachgebrauch und plädiert für den guten alten Klartext.
Was zählt heutzutage im Umgang miteinander zu den größten Herausforderungen schlechthin? Wir behaupten: das vom Aussterben bedrohte Sagen, was man wirklich meint! Wann haben Sie das letzte Mal ein Anliegen, eine Bitte oder auch eine Einschätzung geäußert, die geradeaus das vermittelt hat, worauf Sie hinauswollten. Ohne Watte, Weichspüler oder Disclaimer? Wir befinden uns 2023 in einer Sprachgebrauchszone, die vor allem dadurch gekennzeichnet ist, dass das, was man zum Ausdruck bringen möchte – gegenüber Bekannten, Kollegen, Angestellten etc. –, derart eingepackt, mit Schleife verbunden und verziert wird, dass der eigentliche Sinn verloren geht oder nur mit Mühe vom Adressaten decodiert werden kann. Gesetzt den Fall, dass dieser überhaupt dazu bereit oder in der Lage ist. Bleibt die Frage: Wann sagen wir uns wieder, was wir wirklich meinen?
Sandwich-verpackt und Nettigkeitswolke
Ein kürzlich auf ZEIT Online erschienener Kommentar von Martin Hogger mit dem wunderbaren Titel „Grundsätzlich ist alles erst einmal ganz toll“ fasst mit zwei Begriffen das aktuelle Problem am Schopf: „Sandwich-Methode“ und „Bullshit-Netiquette“. In seinem Kommentar reflektiert Hogger unter anderem das Feedback einer ehemaligen Chefin als benannte Sandwich-Methode – unten und oben Lob, in der Mitte Kritik – die ihn irritiert zurückließ. War seine Arbeit nun gut, ausreichend oder verbesserungsbedürftig? Schwer zu sagen. Auch andere Beispiele, die Hogger heranzieht, zeigen auf, dass dort, wo früher Klartext gesprochen und Hierarchien oder Standpunkte auch sprachlich gelebt wurden, heute Sprache und Habitus in eine rosarote Welt abbiegen, auf deren Oberfläche wir uns alle gernhaben und das, was wir und andere tun, toll finden – ergo Bullshit-Netiquette –, unten drunter aber sammelt sich der Schmutz oder verstaubt zumindest das eigentlich Gemeinte. Scheinbar trauen wir uns und anderen nicht mehr zu, mit „geraden“ Aussagen, mit Klartext, Direktiven, Gegenmeinung oder sogar Kritik umzugehen, und verfallen in eine Vorsicht und Pseudo-Sanftheit, die auf Dauer ermüdend, irritierend und absolut kontraproduktiv ist.
Klare Kommunikation braucht Übung und Vertrauen
Dabei ist Klartext als konstruktive Ansage, Hinweis oder Aufforderung ein für alle Seiten produktives Tool, das Orientierung bietet, Missverständnisse vermeidet und Ziele einlösen lässt. Klartext muss aushaltbar sein und von allen Seiten wie ein Muskel trainiert werden, damit er so gesprochen und verstanden wird, wie er eben gemeint ist. Klartext setzt jedoch voraus, dass die Gesprächspartner sozial-kommunikative Grundregeln kennen, sich respektieren (und keine anderweitige Vermutung im Raum steht), alle grundsätzlich bereit sind, wohlwollend, sachlich und zielführend miteinander zu interagieren, sich nicht von vornherein angegriffen fühlen und jedes Wort auf die Befindlichkeits-Waagschale legen. Sind diese Voraussetzungen gegeben, wird klare und direkte Kommunikation endlich wieder zur Normalität und zum absoluten Performance-Treiber.
Fazit
Vielleicht nutzen Sie gleich das neue Jahr 2024 dazu, in Ihrer Praxis ein Kommunikations-Overhaul vorzunehmen und sich und Ihr Team in einem belastbaren Sprachgebrauch zu trainieren, der ohne Extras auskommt und dadurch eine vertrauensvolle Klarheit auf ganzer Linie erzeugt. Auch wir als Redaktion setzen uns diese Challenge!
1 Hogger, Martin. „Grundsätzlich ist alles erst einmal ganz toll.“, ZEITCAMPUS, 30. Oktober 2023 www.zeit.de/campus/2023-10/klare-kommunikation-anweisungen-kritik-sprache
Dieser Beitrag ist in der dentalfresh 4/2023 erschienen.