Wissenschaft und Forschung 02.06.2011
Lithium im Trinkwasser soll Suizidrate senken
Eine von der MedUni Wien durchgeführte und soeben veröffentlichte
Studie zeigt, dass im Trinkwasser natürlich enthaltenes Lithium die
Suizidrate deutlich senkt. Den Forscher/-innen der MedUni Wien gelang
damit erstmals der wissenschaftlich zuverlässige Nachweis dieser
positiven Wirkung auf die menschliche Psyche.
Im Jahr 2009
sorgte eine japanische Studie weltweit für großes mediales Aufsehen: Im
Trinkwasser enthaltenes, natürliches Lithium würde das Risiko eines
Suizids senken. Wegen methodischer Mängel wurden die Ergebnisse der
Studie jedoch rasch in Zweifel gezogen. Dr. Nestor Kapusta von der
Universitätsklinik für Psychoanalyse und Psychotherapie der MedUni Wien
konnte nun gemeinsam mit seinem ForscherInnen-Team die damals
formulierte Vermutung erstmals auch wissenschaftlich zuverlässig
belegen.
Großangelegte, österreichweite Untersuchung
Die
kürzlich durchgeführte und soeben veröffentlichte Studie untersuchte
die Situation in Österreich. Dazu wurden die Lithiumwerte von 6460
Trinkwasserproben aus ganz Österreich mit den Suizidraten der jeweiligen
Bezirke (99) verglichen. Dabei fand sich ein signifikanter
Zusammenhang: Je höher der Lithiumwert im Trinkwasser ist, desto
niedriger ist die Suizidrate. Diese Korrelation bleibt auch dann
signifikant, wenn sozioökonomische Faktoren wie Einkommen oder
psychosoziale Versorgung – die die Suizidrate bekanntermaßen
beeinflussen – berücksichtigt werden. Der Schluss der
WissenschafterInnen: Lithium im Trinkwasser scheint neben anderen
Ursachen ein möglicher eigenständiger Einflussfaktor zu sein.
Positive Wirkung in kleinsten Mengen – Ursache noch unbekannt
Im
Kern konnte die Studie der MedUni Wien damit die Ergebnisse der
japanischen Studie bestätigen. Dass Lithium positiv auf die menschliche
Psyche wirkt, ist seit Jahrzehnten bekannt. Bei keiner anderen Substanz
ist die Evidenz für suizidprotektive Wirkung so gut belegt wie bei
Lithium. „Das Faszinierende und Neue an unseren Ergebnissen ist aber,
dass Lithium bereits in natürlichen Mengen als Spurenelement messbare
Effekte auf die Gesundheit haben könnte,“ so Kapusta. „Die Dosierung in
der Therapie ist rund 100 Mal höher als das natürliche Vorkommen im
Trinkwasser. Es ist somit noch vollkommen unklar, wie natürliches
Lithium im Trinkwasser eine solch starke physiologische Wirkung
entfaltet, obwohl es sozusagen 100-fach schwächer dosiert ist. Wie
dieser Mechanismus funktioniert, ist für uns WissenschafterInnen eine
neue, spannende Frage.“
Warnung vor künstlicher Beimengung ins Trinkwasser
Bei
der Diskussion der japanischen Studie 2009 wurde sehr rasch die Frage
gestellt, ob Trinkwasser mit Lithium angereichert werden soll, um auf
diese Weise Suizide zu verhindern. Lithium könnte ähnlich wie Fluor zu
Wasser (Prävention von Knochenerkrankungen) oder Jod zu Salz (Prävention
von Schilddrüsenerkrankungen) hinzugefügt werden, so das damals oft
gehörte Argument. Die AutorInnen der österreichischen Studie
distanzieren sich ausdrücklich von solchen Überlegungen und warnen vor
voreiligen Schlüssen. Weshalb, erklärt Kapusta: „Es bedarf klinischer
Studien und methodisch aufwendiger Kohortenstudien, um eine derartige
Empfehlung auszusprechen. Zum Beispiel ist die Frage möglicher
Nebenwirkungen ungeklärt. Eine aktuelle Studie zeigt etwa eine
geringfügige Erhöhung der Schilddrüsenwerte bei Menschen, die in
Regionen leben in denen Lithium im Trinkwasser zu höheren Blutspiegeln
führt. Höhere Lithiumwerte könnten sich somit zwar positiv auf die
Stimmung auswirken, aber gleichzeitig andere, negative Effekte haben.
Unsere Ergebnisse werden deshalb bestimmt zu zahlreichen weiteren
Untersuchungen anregen.“
Lithium kein Wundermittel
Die
ForscherInnen der MedUni Wien betonen außerdem, dass Lithium weder ein
Allheilmittel ist, noch ein solches sein kann. Dazu Kapusta: „Für eine
effektive Suizidprävention gilt es nach wie vor ein Bündel von Maßnahmen
einzusetzen. Für einen Menschen mit Suizidabsichten muss an erster
Stelle eine verfügbare Ansprechperson, Arzt oder Psychotherapeut stehen.
Das Spektrum wirksamer Präventionsmöglichkeiten reicht daher von der
Verbesserung der psychiatrischen und psychotherapeutischen Versorgung,
über die allgemeine sorgfältige mediale Berichterstattung und Aufklärung
der Bevölkerung, bis hin zur Restriktion von Suizidmitteln wie zum
Beispiel durch gezielte Schusswaffengesetze oder Verkleinerung von
Packungsgrößen bestimmter Medikamente.“ Die soeben beginnende politische
Diskussion um die Etablierung des bestehenden Suizidpräventionsplans
Austria (SUPRA) ist eine Chance um bekanntes wissenschaftliches Know-how
endlich flächendeckend umzusetzen.
Hintergrund: Ein chemisches Element als Medikament
Lithium
ist im therapeutischen Einsatz bei bestimmten psychischen Erkrankungen
seit rund 60 Jahren gut untersucht. Es eignet sich als
stimmungsstabilisierendes Medikament (Mood-Stabilizer) bei bipolaren
Erkrankungen (manisch-depressive Erkrankungen), da es die Gemütslage
stabilisiert und den Krankheitsschüben so die Spitzen nimmt. Ebenso
bekannt ist seine positive Wirkung bei Depressionen, wo es auch zur
Suizidprävention eingesetzt wird. Neuerdings werden protektive Wirkungen
gegen die Alzheimer-Erkrankung und andere neurodegenerative und
entzündliche Erkrankungen wie Multiple Sklerose erforscht. Obwohl die
therapeutische Wirkung von Lithium also gut dokumentiert ist, weiß die
internationale Wissenschaftsgemeinde noch relativ wenig darüber, wie es
eigentlich zu dieser Wirkung kommt. Derzeit wird zum Beispiel
untersucht, ob und wie Lithium Einfluss auf die das Wachstum von neuen
Gehirnzellen ausübt. Die Bedeutung von Lithium als wichtiger Faktor in
der Therapie und Prävention psychischer Erkrankungen ist unumstritten.
Das unterstreicht die Veröffentlichung der aktuellen Lithium-Studie der
MedUni Wien in der international anerkannten Fachzeitschrift „The
British Journal of Psychiatry“.
Studie „Lithium im Trinkwasser“ soeben erschienen in „BJPsych“:
Lithium in drinking water and suicide mortality
Nestor
D. Kapusta, Nilufar Mossaheb, Elmar Etzersdorfer, Gerald Hlavin,
Kenneth Thau, Matthäus Willeit, Nicole Praschak-Rieder, Gernot Sonneck
and Katharina Leithner-Dziubas
The British Journal of Psychiatry 2011 198: 346-350; doi:10.1192/bjp.bp.110.091041
Beteiligte WissenschafterInnen:
Dr. Nestor Kapusta, Erstautor, Universitätsklinik für Psychoanalyse und Psychotherapie, MedUni Wien
Univ. Prof. Dr. Gernot Sonneck, Studienleiter, Institut für Medizinische Psychologie, MedUni Wien
Ass.
Prof.in Priv. Doz.in Dr.in Katharina Leithner-Dziubas, Studienleiterin,
Universitätsklinik für Psychoanalyse und Psychotherapie, MedUni Wien
Quelle: Medizinische Universität Wien