Wissenschaft und Forschung 13.03.2012
Präzisere Chirurgie dank Infrarot-Laserskalpell
Der Europäische Forschungsrat (European Research Council, ERC) hat Prof. Dr. R. J. Dwayne Miller, Professor für „Free-Electron Laser Science“ am Fachbereich Physik der Universität Hamburg, für ein gemeinsames Forschungsprojekt mit dem Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) 2,5 Millionen Euro Fördermittel für fünf Jahre bewilligt. Mit dem Forschungspreis „Advanced Investigator Grant“ werden weltweit herausragende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und ihre innovativen Forschungsvorhaben gefördert.
Gemeinsam
mit einem Team des UKE, das unter Leitung des Physikers Dr. Wolfgang
Wöllmer und des Dekanats steht, wird Prof. Miller sein neu entwickeltes
Laserskalpell testen.
Mit dem Picosekunden-Infrarot-Laser (PIRL) soll dank neuer Erkenntnisse
der Miller-Gruppe in der Lasertechnik zukünftig eine minimal-invasive
Chirurgie möglich sein, das bedeutet präzisere und gewebeschonendere
Operationen mit weniger Narbenbildung. Zudem kann das entnommene Gewebe,
z.B. Tumorzellen, in intaktem Zustand analysiert werden.
Prof. Dr. Dieter Lenzen, Präsident der Universität Hamburg: „Der ERC
Advanced Grant ist eine besondere Auszeichnung, die die internationale
Bedeutung der wissenschaftlichen Arbeit von Dwayne Miller bestätigt und
so auch die Leistungsfähigkeit unserer Forschung im Bereich Physik und
Medizin an der Universität Hamburg würdigt. Ich freue mich, dass sich
Professor Miller in diesem anspruchsvollen Verfahren im europäischen
Wettbewerb mit seinem Vorhaben durchsetzen konnte. Die Universität
Hamburg ist inzwischen mit acht Grants des ERC ausgezeichnet worden –
was die Leistungsfähigkeit der Arbeit unserer Wissenschaftler und
Wissenschaftlerinnen im internationalen Vergleich zeigt“
Prof. Dr. Dr. Uwe Koch-Gromus, Dekan der Medizinischen Fakultät und
UKE-Vorstandsmitglied: „Die Entwicklung eines solchen Lasers kann die
Chirurgie und die dabei notwendige Gewebediagnostik in den nächsten
Jahren maßgeblich voranbringen. Das UKE, das mit mehr als zehn Kliniken
und Instituten an dem Projekt beteiligt ist, sieht sich mit der
europäischen Förderung in seinem Kurs bestätigt. Innerhalb eines Jahres
ist dies bereits der vierte ERC Advanced Grant, an dem Mitarbeiter
unserer Klinik maßgeblich beteiligt sind.“
Laser können Gewebe präziser zerschneiden als Messer, theoretisch sogar
zellengenau. In der Praxis der Laserchirurgie war dies bisher nicht
möglich, denn während des Schneideprozesses überführt die Energie des
Laserlichts die Struktur einer Materie vom festen in einen gasförmigen
Zustand. Dabei entwickeln sich Druckwellen und Hitze, die die
angrenzenden Zellen schädigen und verbrennen. Geschädigte Zellen bilden
Narbengewebe, das die Funktion der angrenzenden Zellen, eventuell auch
der Nervenzellen, einschränkt.
Das neu konzipierte, ultrakurzgepulste Laserskalpell PIRL löst diese
Probleme. Die Grundlage für die Entwicklung des Laserskalpells bildete
die Entdeckung, dass Materie in einem bestimmten Zeitintervall direkt
von einem festen oder flüssigen in einen gasförmigen Zustand übergeht,
ohne dass andere Prozesse ablaufen. Durch Filmaufnahmen der
strukturellen Veränderungen in anorganischem Material, die die
Forschungsgruppe um Prof. Miller mit atomarer Auflösung gemacht hatte,
konnte dieses definierte Zeitintervall bestimmt werden. Der PIRL wurde
so programmiert, dass er mit lediglich einem Fünftel der Energie, die
gängige Laser brauchen, und einer pulsierenden Strahlung von 100
Pikosekunden (einem Zehntausendstel von einem Millionstel einer Sekunde)
das im Gewebe enthaltene Wasser anregt und wie ein Treibmittel die
Wassermoleküle in den Gaszustand versetzt. Damit ist der Schneidevorgang
so schnell und präzise auf einzelne Zellen ausgerichtet, dass keine
Druckwellen und keine Hitze schädigend auf benachbarte Zellen wirken
können. Ein weiterer Vorteil ist, dass das entnommene Gewebe, wie z.B.
Tumorzellen, besser erhalten ist und die Zusammensetzung auf molekularer
Ebene bestimmt werden kann.
Ziel ist es, auf eine Zelle genau zu schneiden und den Laser so zu
programmieren, dass er kritisches Gewebe wie Nervenzellen oder
Blutgefäße umgeht bzw. seine Arbeit bei zu großer Nähe selbstständig
unterbricht.
Das UKE hat im Campus Klinische Forschung ein Labor eingerichtet, in dem
der Prototyp des PIRL aufgebaut wurde. Hier werden die biomedizinischen
Untersuchungen beginnen, zur Vorbereitung des klinischen
Laser-Einsatzes. Eingebunden in das Projekt sind neben der HNO-Klinik
mehr als zehn weitere Institute und Kliniken aus dem UKE.
Der Titel des ERC-Projekts lautet „Picosecond Infrared Laser for Scar
Free Surgery with Preservation of Tissue Structure and Recognition of
Tissue Type and Boundaries" und wird mit SUREPIRL abgekürzt.
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Prof. Dr. R. J. Dwayne Miller ist Direktor an der
Max-Planck-Forschungsgruppe für Strukturelle Dynamik an der Universität
Hamburg und arbeitet am Center for Free-Electron Laser Science (CFEL),
einer Kooperation des Deutschen Elektronen-Synchrotron DESY, der
Max-Planck-Gesellschaft (MPG) und der Universität Hamburg.
Dr. Wolfgang Wöllmer ist Medizin-Physiker der Klinik für Hals-, Nasen-
und Ohrenheilkunde. Er hat über 30-jährige Erfahrung mit dem
medizinischen Lasereinsatz; ein weiterer Schwerpunkt seiner Tätigkeit
ist die Lasersicherheit.
Der 2007 eingerichtete Europäische Forschungsrat setzt sich für eine
Förderung der grundlagenorientierten Forschung ein, um visionäre
Projekte voranzutreiben und neue interdisziplinäre Wissensgebiete zu
erschließen. Zu den Förderlinien gehört der ERC Advanced Grant, der sich
an herausragende, bereits etablierte Forscher wendet und ihre bisherige
wissenschaftliche Leistung ehrt.
Quelle: Universität Hamburg