Patienten 20.09.2022

Kommunikation als Prävention: „Alt werden ist nichts für Feiglinge“



Kommunikation als Prävention: „Alt werden ist nichts für Feiglinge“

Foto: Peter Müller

Die aufsuchende Betreuung fordert von Behandlern komplexe Kommunikationsfähigkeiten. Welche Basistechnik für eine zielorientierte Gesprächsführung immer gelten kann und welche Rolle Professionalität und Empathie im Umgang mit Senioren spielen, erläutert Prof. Dr. med. Christine Schiessl, Fachärztin für Anästhesiologie und Psychotherapeutin in eigener Praxis aus München.

Frau Prof. Schiessl, als Psychotherapeutin reflektieren Sie in besonderer Weise das Thema Patientenkommunikation. Was sollten zahnärztliche Behandler in der Kommunikation mit Senioren beachten?

Die Verbindung von Zahnmedizin und Kommunikation ist per se schon schwierig. Die Praxissituation kennt jeder: Man sitzt bzw. liegt in nahezu unterwürfiger Position auf dem Behandlungsstuhl, die Kommunikation ist nonverbal aufgrund der Vermummung des Behandlers in Form eines Mundschutzes, der Handschuhe usw. kaum bis gar nicht möglich – von einem Gespräch auf Augenhöhe keine Spur. Mimik und Gestik auf der professionellen Seite sind nicht sichtbar, aber auch patientenseitig sind Fragen bzw. Antworten durch diverse Instrumente im geöffneten Mund unmöglich. Gute Kommunikation beinhaltet eigentlich Schlagworte wie „auf Augenhöhe“, „Gegenseitigkeit“, „Resonanzlandschaften“ – all das ist während einer Behandlung schwer bzw. nicht möglich.

Hinzu kommt, dass der Mund eine Intimzone ist, die für die Behandlung geöffnet werden muss. Das zahnärztliche Setting ist also grundsätzlich schon mal eine Herausforderung. Kollegen sollten sich daher immer selbst reflektieren. Es ist inder Rountine eher selten, dass man eine wirkliche Beziehung zum Zahnarzt aufbaut – das Setting ist rein medizinisch und dadurch eher unpersönlich, ebenfalls oft bedingt durch ein Rein- und Rausgehen der Mitarbeiter.

Die weitaus größere Herausforderung liegt meiner Meinung nach aber in der aufsuchenden zahnmedizinischen Betreuung – egal, ob daheim oder in Pflegeeinrichtungen. Nötig wird diese meist im fortgeschrittenen Alter, wobei sich die Definition und die Grenzen der Begriffe Senioren, alte und ältere Menschen in den letzten Jahren deutlich nach oben verschoben haben und weiter verschieben werden. Hierbei ist weniger das kalendarische Alter wichtig, sondern vielmehr das Funktionsniveau bzw. das Vorhandensein weiterer Erkrankungen (Stichwort: Multimorbidität). Da fokussiere ich neben den körperlichen Krankheiten auch auf psychosoziale Dimensionen, die ebenfalls eine große Rolle spielen. Einsamkeit spielt hier eine große Rolle, meist mobilitätsbedingt, psychisch bedingt oder durch die Coronamaßnahmen.

Ältere und alte Menschen sind zudem permanent mit Verlusterlebnissen konfrontiert. Damit ist nicht nur der Verlust von geliebten Menschen gemeint, sondern auch die Angst vor Verlust der Funktionalität, der Rolle in der Gesellschaft, des Status – Stichwort Altersarmut. Es gibt einen Spruch „Alt werden ist nichts für Feiglinge“ – da ist viel Wahres dran. Senioren verlieren über kurz oder lang ihre Funktionalität und in Teilen auch ihre Autonomie. Das ist eine belastende Erfahrung, die vielleicht gerade dann zutage tritt, wenn eine zahnärztliche Versorgung stattfindet. Hier braucht es Behandler, die den ganzen Menschen sehen und Verständnis für die Alterungsprozesse aufbringen.

Die Generation Ü80 hat im Kindesalter den Zweiten Weltkrieg erlebt, was vielfach nicht aufgearbeitet wurde. Nach meiner Erfahrung wird die Erinnerung daran im hohen Alter auch durch sehr kleine Trigger reaktiviert, beispielsweise weil man sich in der hilflosen Situation der Behandlung befindet.

Wir haben es vielfach auch mit kognitiven Einschränkungen zu tun. Das muss noch nicht mal die schwer ausgeprägte Demenz sein, sondern das ist ja ein fortwährender Prozess, der mit Gedächtnisschwierigkeiten und verminderten Merkfähigkeiten einhergeht. Daher sollten sich Behandler fragen: Kann ein älterer Patient die Tragweite eines Therapievorschlags in seiner Gesamtheit erfassen, ist er überhaupt einwilligungsfähig? All diese Aspekte spielen in das kommunikative Vorgehen rein.

Welche Kommunikationsansätze empfehlen Sie Behandlern?

Grundsätzlich gilt: langsam sprechen, kurze Sätze, keine Fachbegriffe. Man sollte sich immer bewusst machen: Gute Gesprächsführung gelingt nicht automatisch, man kann sie aber erlernen. Was als Basistechnik für zielführende, gute Gesprächsführung immer gelten kann, ist eine offene Fragestellung und ein aktives Zuhören.

Für den zahnärztlichen Bereich – sowohl für Behandler als auch Helferinnen – eignet sich besonders gut die sogenannte „Teach Back“-Methode, ein kostenloses Fortbildungsangebot der Bundeszahnärztekammer. Ein ähnliches Prinzip verfolgt das „Ask – Tell – Ask“- Model: Mit dem ersten Ask stellt man möglichst offene Fragen und hört dem Patienten genau zu, was seine Wünsche und Ängste sind. Im Anschluss schätzt man die Situation ein, gibt Informationen (Tell) und priorisiert das Vorgehen. Mit dem zweiten Ask fragt man zurück, ob alles verstanden wurde. So lassen sich deutlich effizientere Gespräche führen, die Zeit in der Interaktion mit dem Patienten sparen, aber ohne Qualitätsverlust.

In der Häuslichkeit findet ein solches Gespräch praktisch nie One-to-One statt, sondern es sind faktisch immer Pflegepersonal und/oder Angehörige anwesend. Dadurch wird die Gesprächsführung auf jeden Fall komplexer. Zum Teil sieht man sich als Behandler mit Konflikten konfrontiert, beispielsweise weil Uneinigkeit über die Behandlung herrscht. Dann eignet sich „Ask – Tell – Ask“ überhaupt nicht, dann geht es darum: Wie deeskaliert man, wie schafft man Verständnis untereinander, wie vereinbart man bestimmte Regeln?

Was raten Sie im Umgang mit Menschen mit Demenz?

Das ist sicher eine Herausforderung per se. Es gibt eine spziell für demente Menschen entwickelte Kommunikationsmethode, die „Validation“ nach Naomi Feil.

Behandler machen häufig den Fehler, demente Patienten korrigieren zu wollen und gehen ungenügend auf ihre Gefühle ein. Ein Beispiel: Erscheint ein kleines Mädchen zur Behandlung mit einer Krone auf dem Kopf, begrüßen aufmerksame Behandler die Prinzessin und bitten sie, auf dem Thron Platz zu nehmen.

Wenn dagegen ein dementer Mann im Pflegeheim gerade kleine Kügelchen aus einer Serviette formt, diese
hin- und herschiebt und meint, sein Geld zu zählen, verwirren unbedarfte Behandler diesen schnell mit der Berichtigung, dass es sich nur um eine Serviette handelt. Als aufsuchender Zahnarzt sollte man empathisch auf die verschiedensten Situationen eingehen und die Gefühlswelt des Gegenübers respektieren – etwa mit folgender Antwortmöglichkeit: „Prima, das machen Sie sehr gewissenhaft - naja, da geht's ja auch um was ...“.

Bei Kindern tun wir es fast automatisch, warum dann nicht auch bei Senioren?!

In welchem Verhältnis stehen Kommunikation und Zeit, und was bräuchte es Ihrer Meinung nach, um das Thema Kommunikation noch stärker in den Fokus zu rücken?

Es hat sich viel getan, z. B. die verbesserte Ausbildung an den Universitäten, und es gibt auch einiges an Strukturen, aber die Wertschätzung und Beachtung ist immer noch viel zu gering im Verhältnis zur Bedeutung, die eine „gute“ Kommunikation im Alltag für jede Form von Medizin, und letztlich auch das Behandlungsergebnis, hat. Ich wünsche mir eine Professionalität der Gesprächsführung und dafür braucht es eben immer auch den Raum und die Zeit – und letztlich wird das immer in Geld gewertet. Ich wünsche mir, dass trotz allen Strebens nach Effizienz auch eine gewisse Zeit bleibt, um diese Gespräche zu führen.

Ein gutes Gespräch muss nicht länger dauern als ein schlechtes – im Gegenteil: Durch Professionalität und eine trainierte, souveräne Gesprächsführung lässt sich sehr viel Zeit sparen. Diese Professionalität ist nicht jedem Mediziner gegeben, sondern kann und muss erlernt werden. Denn um ein wirklich guter (Zahn)Arzt zu sein, braucht es nicht nur in den medizinischen Disziplinen Expertise und Knowhow, sondern auch in der Kommunikation. Erst zusammen wird aus der Medizin eine runde Sache.

Vielen Dank für das interessante Gespräch!

Kontakt

Prof. Dr. med. Christine Schiessl
Rankestraße 14
80796 München
Tel.: +49 172 7134873
praxis@christineschiessl.de
www.christineschiessl.de 

Dieser Beitrag ist in der ZWP Zahnarzt Wirtschaft Praxis erschienen.

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