Patienten 13.07.2023
Kinderzahnmedizin: There is NO glory in prevention
Zunehmend wurde die frühkindliche Karies (Early Childhood Caries, ECC) aus der Wahrnehmung der Zahnärzte durch Erkrankungen wie die Molaren-Inzisiven- Hypomineralisation verdrängt, welche in den Fokus von Zahnärzten und Wissenschaftlern rückte. Dabei ist die ECC weiterhin eine globale gesundheitliche Herausforderung – auch in Deutschland, wo die jüngsten Daten zwar eine generalisierte Kariesreduktion im jugendlichen Gebiss und weniger für das Milchgebiss aufzeigen, wobei bei den jüngsten Kindern sogar in einigen Regionen ein Kariesanstieg zu verzeichnen ist. Die erkrankten Kinder zeigen neben oralen Schmerzen auch allgemeinmedizinische Einschränkungen. Deshalb darf die ECC nicht als eine auf den Mundraum reduzierte Erkrankung banalisiert werden. Vielmehr ist die allgemeine Lebensqualität der Betroffenen im Vergleich zu den Gesunden eingeschränkt. Deshalb muss der ECC frühzeitig vorgebeugt werden, was in der Vergangenheit mittels der Vorstellung ab dem 33. Lebensmonat für Risikokinder ein zu später Zeitpunkt war.
Die neuen zahnärztlichen Frühuntersuchungen (FU) bieten nun die Möglichkeit, neue und vor allem frühe Wege in der Prävention einzuschlagen und ab dem ersten Milchzahn drei zusätzliche FU (1 a–c) durchzuführen. Durch eine Aufklärung der Eltern und die Befundung der Kinder, bevor die Karies entsteht, kann so eine ECC vermeiden helfen.
Neben den Risikogruppen aus sozioökonomisch geringer gestellten Familien müssen auch die Kinder mit allgemeinmedizinischen Erkrankungen wie Kinder mit Herzfehlern, onkologischen Erkrankungen sowie geistig-körperlichen Einschränkungen von diesen Möglichkeiten profitieren. Denn gerade jene Kinder zeigen ein zusätzlich erhöhtes Risiko für die Entstehung einer ECC. Erschwerend kommt hinzu, dass die zahnärztliche Therapie dieser Kinder nicht nur mit einem größeren Aufwand, sondern wenn eine Sanierung in Vollnarkose notwendig wird, auch mit einem erhöhten allgemeinmedizinischen Risiko verbunden ist.
Die neue FU bietet uns also die Chance, dass diese Risikogruppen frühzeitig den Weg zum Zahnarzt finden. Als eine besondere Innovation muss auch die Verweisung der Kinder zur FU durch die Pädiater angesehen werden. Die pädiatrischen Kollegen kennen ihre Patienten auf der allgemeinmedizinischen Ebene sehr gut und können so die Risiken der Kinder beurteilen. Ein engerer Austausch zwischen den Fachgruppen wird durch die gesteigerte Aufmerksamkeit auch der Wahrnehmung der FU durch die Eltern dienen. Keine Frage, die neuen gemeinsamen Fluoridempfehlungen von Zahnärzten und Pädiatern sind ein entscheidender Schritt in die richtige Richtung, jedoch sollten auch weitere Berufsgruppen wie Hebammen unbedingt mittelfristig miteingebunden werden. Gerade in den ersten Lebensmonaten können sie aufgrund ihres besonderen Vertrauensverhältnisses entscheidende Impulse beim Stillen und bei der Fluoridanwendung geben!
Ich denke, wir können heute aufgrund vielfältiger Erkenntnisse und Errungenschaften wie der FU oder fachübergreifenden Fluoridempfehlungen dem alten Motto „There is no glory in prevention‘‘ widersprechen, jedoch warten noch große Herausforderungen auf uns, bis der Gewinn in einer guten Prävention als entscheidende Aufgabe unseres zahnärztlichen Handels auch gesundheitspolitisch akzeptiert und honoriert wird. Helfen Sie mit, ECC und Karies im Kindesalter frühzeitig vorzubeugen, um nicht nur das Gesundheitssystem zu entlasten, sondern vor allem auch die Lebensqualität der Kinder entscheidend zu verbessern!
Autorin: Dr. Antje Geiken
Dieser Artikel ist unter dem Originaltitel „There is NO glory in prevention” in der ZWP Zahnarzt Wirtschaft Praxis 06/2023 erschienen.