Personalmanagement 13.08.2024
Zu wenig Ärzte in einer Gesellschaft des langen Lebens
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Die aktuelle Gesundheitspolitik und die zunehmenden Hürden in der Berufsausübung lassen viele Zahnärzte in den öffentlichen Protest gehen. Da stellt sich die Frage: Geht es eigentlich anderen medizinischen Berufszweigen ähnlich? Ja, natürlich! Beispielsweise den Hausärzten unter den Medizinern. Auch sie sind jetzt schon, vor allem in kleinstädtischen wie ländlichen Kontexten, „Mangelware“. Laut Gesundheitsminister Karl Lauterbach wird sich daran gerade und zukünftig nichts ändern lassen. Wie die Vizepräsidentin der Bundesärztekammer, Dr. Ellen Lundershausen, das Ganze einschätzt, verrät unser exklusives ZWP-Interview mit ihr.
Frau Dr. Lundershausen, ein Hausarzttermin als Lottogewinn! Ist das die neue Wirklichkeit? Und was hat zu dieser gewissermaßen „Sackgasse“ geführt?
Die Gleichsetzung von Arzttermin und Lottogewinn kann ich so nicht stehenlassen. Deutschland steht bei den Wartezeiten im internationalen Vergleich gut da. Fast Dreiviertel der Patienten erhalten auf Anfrage noch am selben oder am kommenden Tag einen Arzttermin, das belegen internationale Studien. Davon können Menschen in vermeintlichen Musterländern wie der Schweiz oder Schweden nur träumen. Aber um auf Ihre Frage zurückzukommen: Ja, in Deutschland gibt es einen Ärztemangel, der uns vor erhebliche Probleme stellt. Das liegt unter anderem daran, dass wir seit Jahrzehnten zu wenige Ärztinnen und Ärzte ausbilden. Noch in den späten 1980er-Jahren wurden in Ost- und Westdeutschland zusammen rund 14.000 Studienplätze pro Jahr angeboten. Heute sind wir bei rund 12.000 Studienplätzen. Das ist zu wenig in Anbetracht des steigenden Behandlungsbedarfs in einer Gesellschaft des langen Lebens. Erschwerend hinzu kommen neben der mangelnden Digitalisierung des Gesundheitswesens immer neue bürokratische Hürden und Dokumentationspflichten. Dadurch geht wertvolle ärztliche Arbeitszeit verloren, die wird dringend für die Patientenversorgung benötigen.
Welche Rolle spielt in diesem Zusammenhang die Gesundheitskompetenz der Bürger?
Eine Stärkung der Gesundheitskompetenz und der Prävention kann ganz eindeutig einen Beitrag dazu leisten, die Versorgungssituation zu entschärfen. Die Menschen müssen in die Lage versetzt werden, fundierte Entscheidungen über ihre Gesundheit treffen zu können. Das erfordert eine umfassende Strategie, die sowohl die Aufklärung der Bevölkerung als auch strukturelle Anpassungen im Gesundheitssystem umfasst. Dazu gehört unter anderem der Zugang zu verlässlichen Informationen, Präventionsmaßnahmen am Arbeitsplatz oder die Förderung von Gesundheitsunterricht in Kitas und Schulen.
Wie viele Ärzte bräuchte es jetzt überhaupt in Zahlen, um den Mangel abzufedern?
Der Ärztemangel ist längst keine Prognose mehr, sondern vielerorts Realität, insbesondere in ländlichen Regionen. Seit dem Jahr 2018 hat sich die Zahl an niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten um nahezu acht Prozent verringert. Über 5.000 hausärztliche Kassensitze sind unbesetzt, hinzu kommen weitere 1.000 Sitze in der fachärztlichen Versorgung. Das Zentralinstitut für die Kassenärztliche Versorgung geht bis 2030 von einem Mehrbedarf von bis zu 9.000 Haus- und Fachärzten pro Jahr aus.
Welche Rolle spielen dabei Medizinerinnen und Mediziner aus dem Ausland?
Ärztinnen und Ärzte aus dem Ausland sind aus der Patientenversorgung nicht mehr wegzudenken. Ohne ihre Arbeit sähe es in vielen Krankenhäusern und Praxen düster aus. Es wäre aber falsch, sich zur Sicherstellung der medizinischen Versorgung auf den Zuzug aus dem Ausland zu verlassen. Wir müssen als moderne Wohlstandsgesellschaft schon in der Lage sein, unsere Ärztinnen und Ärzte selbst auszubilden.
Wie Zahnarztpraxen, so begeben sich auch vermehrt Hausarztpraxen in den öffentlichen Protest. Wobei der Tenor bei vielen Praxen lautet: Wir können nicht mehr! Wie empfinden Sie, auch als Fachärztin, die Lage und Befindlichkeiten der Hausärzte?
In den letzten Jahren hat sich in Anbetracht der ungelösten Probleme und der zahlreichen politischen Versäumnisse viel Frust in den Praxen aufgestaut. In Umfragen gibt jeder dritte niedergelassene Arzt an, dass er sich ausgebrannt fühlt. In den Krankenhäusern sieht es nicht besser aus. Die Politik muss diese Warnsignale endlich ernst nehmen. Ärztinnen und Ärzte haben die gesundheitliche Versorgung zusammen mit ihrem Praxispersonal seit vielen Jahren aufrechterhalten – häufig zu Lasten des eigenen Wohlergehens. Das kann nicht ewig so weitergehen. Wir sehen im Übrigen schon heute, dass die junge Ärztegeneration das nicht mehr so klaglos akzeptiert, sondern viel mehr Wert auf eine gute Work-Life-Balance legt. Ich finde, das ist auch ihr gutes Recht.
Dieser Beitrag ist in der ZWP Zahnarzt Wirtschaft Praxis erschienen.