Praxishygiene 09.08.2013
Latex & Co. auf dem Prüfstand
Kontaktallergie durch Handschuhe wird ein immer größeres Problem. In den 1980er-Jahren hielt der Handschuh Einzug in die Zahnmedizin. Anlass war die wachsende Infektionsgefahr mit HIV/Aids und Hepatitis. Damals wurden alle Handschuhe aus Naturlatex (Natural Rubber Latex, NRL) hergestellt.
Die Gefahren, die mit der Unwissenheit bezüglich der Herstellung von NRL zusammenhingen, kamen erst in den 1990er-Jahren ans Licht. In alarmierender Zahl traten allergische Reaktionen bei medizinischem Fachpersonal auf. Manche bekamen eine lokale Kontaktallergie, doch vor allem fielen die wesentlich gefährlicheren sogenannten Typ-I-Reaktionen auf, die mit Symptomen wie tränenden Augen und Asthmaanfällen bis hin zum anaphylaktischen Schock einhergehen. Besonders überraschend waren diese Probleme im Nachhinein nicht: Heute wissen wir, dass Naturlatex mehr als zweihundert Proteine enthält, von denen die WHO 14 als Allergene eingestuft hat.
Durch den Ausbruch der Latexallergie und die daraus resultierenden strengen neuen europäischen Normen für Latexhandschuhe für den medizinischen Sektor bemühten sich die Hersteller in den 1990er-Jahren um ein besseres Angebot an medizinischen Handschuhen. Die Produktionsanlagen für Latexhandschuhe wurden erweitert, die Handschuhe wurden chloriert und es wurden bessere Grundstoffe verwendet. Zudem wurden die synthetischen Alternativen Nitril und Vinyl entwickelt. Das medizinische Fachpersonal stieg nach und nach auf diese Alternativprodukte um. Das Image von Latex als Grundstoff für Handschuhe ist seither mit einem Makel behaftet.
Kontaktallergien (Typ IV) sind meist an einem Ausschlag rings um die Berührungsstelle zu erkennen (Abb. 1): trockene Haut, Juckreiz, rote Flecken, Bläschen etc. Die an der Universität Leuven (UZKU) arbeitende Expertin im Bereich Kontaktallergie, Prof. Dr. An Goossens, erklärt, dass durch Handschuhe verursachte Kontaktekzeme vor allem auf dem Handrücken auftreten, weil die Haut dort am dünnsten ist.
Abb. 1: Typischer Fall einer Typ-IV-Kontaktallergie bei einer jungen Krankenschwester. Die Allergie entstand durch das Tragen von Latexhandschuhen, verschlimmerte sich jedoch noch, als ihr eine synthetische Alternative angeboten wurde. Die Frau musste inzwischen ihren Beruf als Krankenschwester aufgeben.
Latexallergie
Michiel Paping, Leiter des Forschungs- und Entwicklungsunternehmens BUDEV BV, bedauert, dass es Missverständnisse bezüglich der Latexallergie gibt. Er erläutert, dass man zwischen Typ-I- und Typ-IV-Reaktionen unterscheiden muss. „Typ I ist eine unmittelbare Reaktion auf die Allergene im Naturprodukt, Typ IV eine verzögerte Reaktion auf die Chemikalien, die im Produktionsprozess eingesetzt werden. Wenn derzeit von einer Latexallergie, oder besser gesagt, einer Kautschukallergie die Rede ist, ist meist eine Typ-IV-Allergie gemeint. Neue Typ-I-Fälle kommen dank der Verbesserung der Qualität, der Produktionsprozesse und der Normen nämlich kaum mehr vor. Eine Typ-IV-Reaktion kann man jedoch auch von Nitril oder Vinyl bekommen. Ich glaube sogar, dass die synthetischen Kautschukarten heute mehr Kontaktallergien verursachen als NRL.“
Prof. Goossens bestätigt dies. „Nicht der unbearbeitete Rohkautschuk ist die Ursache des allergischen Kontaktekzems vom Typ IV, sondern die Hilfsstoffe, die während der Herstellung hinzugefügt werden, wie Vulkanisierungsbeschleuniger, Weichmacher, Füllstoffe, Antioxidanzien und Farbstoffe. Hilfsstoffe kommen in Handschuhen aus Natur- und aus Synthesekautschuk gleichermaßen vor.“
Nitrilhandschuhe wurden schnell zum meist verwendeten Handschuh, obwohl sie spürbar weniger Komfort bieten als Latex. „Latex schmiegt sich komplett an den Körper an, dehnt sich mit und fühlt sich dadurch wie eine zweite Haut an. Nitril ist im Vergleich dazu doch ein plastikartiges Material“, so M. Paping. Die kostengünstige Alternative Vinyl schneidet in puncto Komfort und Elastizität noch schlechter ab und ist für die Zahnmedizin eigentlich nicht geeignet. Außerdem sind Kunststoffhandschuhe durchlässiger für Chemikalien, so Prof. Goossens.
Wie die Verkaufszahlen zeigen, nahm das medizinische Fachpersonal diese Nachteile in Kauf und war sich der Konsequenz seiner Entscheidung nicht hinreichend bewusst. Der Verkauf von Latexhandschuhen ging zugunsten von Nitril und in geringerem Maße auch Vinyl zurück. Die Diskussion um die Latexallergie verstummte und eine Zeitlang schien alles in Ordnung zu sein.
Dünner und billiger
Vor einigen Jahren kam eine Reihe wichtiger Veränderungen in Gang. Unter anderem durch das Wirtschaftswachstum in den Schwellenländern und die Schweinegrippe stieg die Nachfrage nach medizinischen Handschuhen und die Produktion wurde massiv erhöht. Durch die Finanzkrise und den glimpflichen Verlauf der Schweinegrippe entstanden jedoch Überkapazitäten – die Hersteller suchten nach Möglichkeiten der Kosteneinsparung. Dies führte 2010 zur Einführung eines fast 50 Prozent leichteren Nitrilhandschuhs, meist als „Soft Nitril“ bezeichnet.
Gleichzeitig wurden die Produktionsanlagen verkürzt und das sogenannte Vulkanisieren bei niedrigeren Temperaturen durchgeführt, um Energiekosten zu sparen. Auch das Abtropfen wurde reduziert oder komplett eingespart. Händler äußern sich positiv über die neue Generation von Nitrilhandschuhen, die wegen des dünneren Materials „mehr Tragekomfort“ bieten. Skeptiker sehen dies kritisch: „Es macht einen Unterschied für die Grundstoff- und Transportkosten, wenn man dünnere Handschuhe herstellt. Aber bei einem dermaßen dünnen Produkt und zur Vulkanisierung bei niedrigeren Temperaturen braucht man unweigerlich zusätzliche und neue Chemikalien“, merkt M. Paping an. „Außerdem ist unvermeidlich, dass dünnere Handschuhe hinsichtlich Stabilität und Durchlässigkeit schlechter abschneiden.“
Zur Prüfung seiner Hypothese untersuchte BUDEV mehrere häufig verwendete Handschuhe. Nach der Laboruntersuchung wurden unheilverkündende gelbe Flecken sichtbar (Abb. 2). „Vergessen Sie nicht, dass der Zahnarzt damit im Mund der Patienten arbeitet“, warnt M. Paping. Hautkontakt mit Acrylaten, die häufig in Füllungsmaterial vorkommen, kann gesundheitsschädlich sein. In Tests, die BUDEV mit seinem eigenen Cleantexx–MPXX-Handschuh durchführte, wurde eine wesentlich geringere Penetration, u. a. von Acrylat, beobachtet als bei der neuen Generation von Nitrilhandschuhen. Und dies, obwohl Nitril ursprünglich angepriesen wurde, weil es die Hand gut vor Chemikalien schützt. Die dünnere Ausführung macht diesen Vorteil zunichte.
Abb. 2: Einer der derzeit meistgekauften Nitrilhandschuhe im zahnmedizinischen Bereich. Die gelben Flecken sind Chemikalienrückstände, die durch intensives Tragen der Handschuhe nach außen treten.
Ein anderer Aspekt, bei dem der dickere Nitrilhandschuh früher besser abschnitt, ist das Verhalten von Abdruckmaterial beim Kontakt mit dem Handschuh. Verschiedene Lieferanten empfehlen die Verwendung von Nitrilhandschuhen, weil Latex die Aushärtung beeinträchtigt. Die Untersuchung von BUDEV ergab, dass durch den Zusatz weiterer Chemikalien die Vorteile der meisten Nitrilhandschuhe wegfielen und manche Latexhandschuhe bei der Aushärtung nun sogar besser abschneiden.
Die Forschungsergebnisse von BUDEV werden durch neue Zahlen gestützt. „In den letzten Jahren stellen wir fest, dass die Zahl der Kontaktallergien gegen Kautschukadditive auch bei Nitrilhandschuhen merklich zunimmt“, so Prof. Goossens. Sie kann jedoch noch nicht mit Gewissheit sagen, worauf dieser Anstieg der Kontaktallergien zurückzuführen ist. „Möglicherweise liegt es an einer höheren Konzentration der zugesetzten Chemikalien oder am Vorhandensein keimtötender Mittel, die durch die Okklusion im Handschuh zu Hautreizungen führen. Allergene Chemikalien können so leichter in die Haut eindringen, sodass eine Sensibilisierung auftreten kann.“
Der Bericht Berufskrankheiten in Zahlen von 2011 besagt, dass die Zahl der Fälle mit „echter“ Latexallergie zwischen 2000 und 2010 von 31 auf vier Fälle pro Jahr zurückgegangen ist. Im selben Bericht heißt es, dass bei latexfreien Handschuhen neben neuen Kontaktallergenen die Undichtigkeit doppelt so hoch ist (21,6 Prozent). Fazit: „Latexfreie Handschuhe sind kein Allheilmittel für die Haut.“ Dem steht gegenüber, dass Nitrosamine aus Latexhandschuhen möglicherweise gesundheitsgefährdend sind. Manche Latexhandschuhe werden übrigens nitrosaminfrei produziert.
Das Comeback von Latex
In der Zwischenzeit entwickelte man den Latexhandschuh weiter und die Proteine, die eine Latexallergie verursachen können, sind in den meisten Ausführungen kaum noch enthalten und eine Typ-I-Kontaktallergie ist nahezu ausgeschlossen. Diese Ergebnisse in Kombination mit den benutzerfreundlichen Eigenschaften von Latex zu Kosten, die auch nicht höher sind als bei Nitril, machen den Umstieg auf Latex noch attraktiver. Prof. Goossens hält sich mit einer Empfehlung in diese Richtung allerdings zurück: „Derzeit ist eine definitive Beurteilung von Handschuhen aus Naturlatex, aus dem bestimmte Proteine eliminiert wurden, noch nicht möglich, da keine ausreichenden Erfahrungen vorliegen.“ Die Zeit wird zeigen, ob die neue Generation von Latexhandschuhen das Problem tatsächlich lösen kann, aber die Zeichen stehen gut.
Bewusstsein schaffen
Die Verbreitung neutraler Informationen ist diesbezüglich sehr wichtig. Diese Aufgabe könnten die Berufsverbände übernehmen. Prof. Goossens empfiehlt, so weit wie möglich auf No-Touch-Techniken wie die Anbringung von Abdruckmaterial mit einer Sprühpistole zurückzugreifen. M. Paping hält ein generelles Umdenken für erforderlich. „In der Ausbildung wird der Nitrilhandschuh als DER Handschuh präsentiert. In der Praxis arbeitet das zahnmedizinische Fachpersonal dann aus Gewohnheit mit demselben Handschuh.“
„In Europa dürfen nur Handschuhe verkauft werden, die eine CE-Kennzeichnung haben. Diese Kennzeichnung darf bei Handschuhen für medizinische Zwecke jedoch auf der Grundlage einer Selbstbewertung angebracht werden. Diese Praxis ist natürlich fragwürdig. Auch die Empfehlungen unabhängiger Stellen sind nicht per se vertrauenswürdig“, so M. Paping. Am besten ist es, selbst Testergebnisse zu studieren und beim Lieferanten nachzufragen.
Was wäre der ideale Handschuh?
„Wichtig ist eine möglichst geringe Durchlässigkeit gegenüber Produkten, mit denen man in Berührung kommt, wie Acrylate und Methacrylate. Außerdem muss der Handschuh flexibel sein und bleiben und so wenig sensibilisierend wirken wie möglich“, so Prof. Goossens. M. Paping schwebt ein Handschuh vor, der den Komfort von Latex mit Allergenfreiheit kombiniert und zudem pulverfrei ist. „Pulver beeinträchtigt nämlich die Wundheilung und kann über die Haut oder die Atemwege Allergene übertragen.“
Erstveröffentlichung (ungekürzt): DT Nederland 7/12
Autor: Ben Adriaanse