Praxismanagement 03.11.2011
Misserfolge in der Zahnarztpraxis sind vermeidbar
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Untersuchungen (Kanning & Bergemann) und eigene Erfahrungen belegen, dass eine Zahnarztpraxis ein hochkomplexes System darstellt, in dem nicht alle Faktoren gleichzeitig optimiert werden können. Dennoch gibt es nach unserer Meinung eine Hauptregel, die im ersten Moment trivial klingen mag: Der Patient steht im Mittelpunkt der Praxis. Dazu ist es grundlegend, dessen Probleme und die eigenen Fähigkeiten zu erkennen, um gemeinsam mit dem Patienten die beste Lösung für ihn zu erreichen. Dazu sind Kommunikationsfähigkeit und soziale Kompetenz gefordert.
Es gibt eine Vielzahl von Einflussfaktoren für eine erfolgreiche Zahnarztpraxis. Jeder Zahnarzt hat darüber seine eigene Philosophie und organisiert entsprechend seine Praxis. Täglich ziehen Berater durch die Lande und wollen den Zahnarzt mit vielen hilfreichen Dingen unterstützen: Im Gepäck haben sie vor allem neue Technologien und Geräte, die höhere Qualität und Effektivität versprechen. Diese Investition gilt als Erfolg versprechendes Rezept für mehr Umsatz, zufriedenere Patienten, höhere Bindung an die Praxis, Vorteile gegenüber den Konkurrenten etc. Und der Verkauf von Geräten funktioniert besonders gut, da die Mehrheit der Zahnärzte eine Begeisterung für Mechanik, Handwerk und Technik haben. Neben den Vorteilen für die Patienten können sie durch den Kauf von neuen Geräten ihre Leidenschaft ausleben: Bohren, Schleifen, Anpassen und Zementieren. Präzise passende und optimal funktionierende Versorgungen sind ihr Ziel. Dies ist in Ordnung und hilft Patient und Arzt. So entsteht jedoch eine Praxisidentität, die nach kurzer Zeit als allein seligmachende Wahrheit angesehen wird. Leider kann dies langfristig zu Misserfolg bzw. Stagnation führen. Die Zeiten, die Strategien der Krankenkassen sowie die Patienten ändern sich und der Zahnarzt als Arzt und Unternehmer muss sich dem flexibel anpassen. Wir haben in vielen Gesprächen und Analysen festgestellt, dass die meisten Zahnärzte bei den Themen Ausrüstung, Technik und Organisation sehr gut aufgestellt sind, aber die zwischenmenschlichen Aspekte zu wenig beachten.
Unterschiede in den Erwartungen
In meiner jahrelangen Erfahrung als Gutachter und Sachverständiger konnte ich feststellen, dass sehr viele juristische Auseinandersetzungen in den unterschiedlichen Erwartungen von Patient und Zahnarzt begründet sind. Nachfolgend wird ein Kurztest beschrieben, der die Patientenauswahl und die Einschätzung der eigenen Fähigkeiten erleichtert und Misserfolge verhindert.
Die entscheidende Frage für den Zahnarzt bei Neu-Patienten lautet: Wie schätze ich das mitgebrachte Vertrauen/Misstrauen ein? Ich signalisiere meine „Zuwendungsbereitschaft“, da die ersten zehn Sekunden entscheiden, ob es möglich ist, den richtigen Draht zu finden: Ich hole den neuen Patienten persönlich im Wartezimmer ab und begrüße ihn mit Handschlag (ohne OP- Handschuhe). Meine Mitarbeiterinnen planen den Termin so, dass ich genügend Zeit habe – meist zum Ende der Sprechstunde.
Erster Test: Wie viel Vertrauen/ Misstrauen bringt der neue Patient mit?
Ich stelle drei Fragen und werte sie von -1 (Misstrauen) bis +1 (Vertrauen) aus. Eine Null bedeutet: Ich bin mir nicht
sicher.
Die Testfragen (Fallbeispiel):
1. Warum kommen Sie zu mir?
Wird diese Frage zum Beispiel mit einer Schimpfkanonade über vorherige Kollegen beantwortet, vergebe ich -1.
2. Wie viele Prothesen/Gebisse haben Sie sich schon anfertigen lassen?
Bei mehr als zwei Prothesen bei verschiedenen Kollegen in den vergangenen zwei Jahren vergebe ich ebenfalls -1.
3. War die Rechnung des Kollegen angemessen?
Beschwert sich der neue Patient, wieder -1.
Auswertung: Diesen Patienten, der mit dreimal -1 eingestuft wurde, behandle ich nicht, da ich davon ausgehe, dass er auch mir nicht ausreichend Vertrauen entgegenbringen wird, das heißt, ich behandle Patienten mit drei Minuspunkten prinzipiell nicht. In diesen Fällen teile ich dem Patienten höflich mit, dass ich nicht der richtige Zahnarzt für sein Problem bin. In allen anderen Fällen (zwei- oder einmal -1) gehe ich auf das Problem des Patienten näher ein und baue eine Vertrauensbasis auf. Ich nehme seine Bedürfnisse und Wünsche wahr und würdige seinen Zahnschmerz in all seinen Facetten.
Zweiter Test: Reicht meine eigene Fachkompetenz? Einschätzung meiner eigenen Fähigkeiten …
Testfragen:
1. Was stört Sie an Ihrem Gebiss am meisten?
Patientenantwort z.B.: Die Zähne sind zu lang, zu kurz, zu schief, zu dunkel …Die Prothesen wackeln, ich kann nicht kauen, habe ständig Schmerzen …
2. Was erwarten Sie von einem neuen Zahnersatz?
Patientenantwort z.B.: Niemand darf bemerken, dass ich ein Gebiss trage. Ich will keine Schmerzen mehr haben.
3. Wenn Sie frei wählen könnten, was wünschen Sie sich von Ihrem Zahnersatz?
Patientenantwort z.B.: Er solle so sein, als wären es meine eigenen. Ich will Zähne, mit denen ich alles kauen kann.
Weiteres Vorgehen: Ich stelle mir jetzt die Frage: „Kann ich alle Wünsche und Erwartungen erfüllen?“ Dies gilt insbesondere dann, wenn die geklagten Beschwerden nicht mit den erhobenen Befunden in Einklang gebracht werden können. Danach versuche ich festzustellen, inwieweit ich tatsächlich mit konventionellem (herausnehmbarem) Zahnersatz helfen kann. Wenn eine Verbesserung des vorhandenen Zahnersatzes möglich erscheint, versuche ich die vorhandene Prothese zu verbessern, zum Beispiel ändern der Kauflächen und/oder eine Unterfütterung. Wenn eine Verbesserung der vorhandenen Prothese nicht möglich erscheint, jedoch konventioneller Zahn-ersatz möglich ist, gliedere ich eine Interimsversorgung ein. Gleichzeitig bespreche ich die Möglichkeit einer Implantatversorgung einschließlich des Kostenrahmens (die meisten Patienten empfinden das als fair und ehrlich). Wenn die Erwartungen des Patienten unerfüllbar sind und ich den Patienten nicht weiterbehandeln kann oder will, gebe ich ihm ein positives Feedback, indem ich mich bei ihm für seine Offenheit und den Besuch bedanke und ihn höflich verabschiede.
Meine feste Überzeugung: Ein nicht behandelter Patient ist für den positiven Ruf und Erfolg einer Praxis genauso wichtig, wie zehn zufriedene Patienten. Ein unzufriedener Patient dagegen schadet dem Ruf der Praxis mehr als zehn zufriedene Patienten.
Hinweise zum Verhalten im Gespräch
1. Die „Zuwendungsbereitschaft“ zeigen wir mihilfe von:
– Körpersprache, Gestik, Mimik, Geschwindigkeit
– Sprache, Dialekt, Sprachebene, Stimme
– Werte, Einstellungen, Ziele
– Stimmung und Atmosphäre (Abholen in der Stimmung, in der sich der Patient befindet)
– aufrichtiges Interesse zeigen für das aktuelle Thema des Patienten.
2. Die Bedürfnisse nehmen wir wahr und berücksichtigen sie angemessen durch:
– Wahrnehmung einer Diskrepanz zwischen Schmerzschilderung und Befund
– das Stellen der richtigen Fragen und intensives Zuhören, z.B. das Informationsbedürfnis über Qualität, Kosten, Dauerhaftigkeit, neueste Verfahren, Ästhetik, Vorgehensweise, Risiken und Alternativen.
3. Positives und negatives Feedback:
– Positives: z.B. Anerkennung bei guter Zahnpflege
– Negatives: z.B. Beschwerden annehmen, prüfen und gegebenenfalls Fehler zugeben.
Fazit
Es gibt eine Unmenge von Einflussfaktoren für den Erfolg einer Praxis. Die Erfahrung zeigt, dass der Zahnarzt (und sein Team) die Fähigkeit haben sollte, mit dem Patienten auf seiner Ebene zu kommunizieren. Diese Kommunikationskompetenz wirkt sich positiv auf das Patient-Arzt-Verhältnis aus und wird auch nach außen bekannt. Die Vertrauensbasis ist der entscheidende Faktor bei jeder zahnärztlichen Behandlung. Daher sollte schon am Anfang geprüft werden, ob Patient und Behandler zusammenpassen. Dies kann durch den beschriebenen Test abgeprüft werden. Fühlt sich der Patient gut aufgehoben, ist er entspannter und Schmerzen u.ä. werden in höherem Maße toleriert beziehungsweise weniger wahrgenommen. Die Veränderung des Verhaltens erfordert das Wissen über den bestimmenden Einflussfaktor Kommunikation und die Entscheidung, ihr einen höheren Stellenwert zu geben. Daher sind wir der Meinung, dass die Investition in diese Richtung eine große Wirkung auf den Erfolg einer Praxis hat: Manchmal ist die Renovierung der Praxis sinnvoll, manchmal ist aber auch die Renovierung der eigenen Einstellungen und Vorgehensweisen wichtiger.
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