Praxismanagement 28.02.2011
Mit Patiententypologie die richtige Gesprächsstrategie finden
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Patiententypologien – braucht ein Kieferorthopäde so etwas überhaupt? Sicherlich nicht in jeder Situation und in jedem Patientengespräch. Es gibt jedoch Patientenkontakte, in denen es durchaus hilfreich ist, das mögliche Verhalten des Gegenübers einschätzen zu können – mithilfe der Menschenkenntnis, aber auch mit Unterstützung einer Typologie. Wer sich mit Patiententypologien beschäftigt, erarbeitet sich weitere Handlungsoptionen. Ein Beitrag von Doris Stempfle.
Ein klassischer Fall: Der Kieferorthopäde muss dem Patienten eine Diagnose mit teils unangenehmen Konsequenzen mitteilen – dem Patienten steht eine komplizierte längere Behandlung bevor. Hat der Kieferorthopäde es hier mit einem labilen Charakter zu tun, sollte er anders vorgehen als bei einem Menschen, von dem er weiß, dass er auch auf „schlimme“ Nachrichten sachlich und rational reagieren wird.
Ein anderes Beispiel: Im Beratungsgespräch ist es wichtig, patientenorientiert zu argumentieren und zu kommunizieren. Wenn die Patientin freundlich und offen reagiert, ist eine andere Gesprächsstrategie vonnöten als bei einem Patienten, der den Kieferorthopäden permanent unterbricht und auf diese Weise das Gespräch steuern will.
Selbst- und Menschenkenntnis aneignen
Wer Menschen gut einschätzen kann, hat es leichter, individuell auf den einzelnen Patienten einzugehen. Das ist der große Vorteil, der durch den Einsatz einer Patiententypologie entsteht. Bei der Einschätzung anderer Menschen stellt eine Typologie eine sinnvolle Ergänzung zum persönlich gewonnenen Eindruck dar. Hinzu kommt: Ein Kieferorthopäde muss als Führungskraft und medizinischer Dienstleister tagtäglich Entscheidungen fällen, deren wichtigste Grundlage die Wahrnehmung und Beurteilung von Patienten und Mitarbeitern ist. Er sollte aber nicht nur die Persönlichkeitsstruktur und Verhaltensweisen dieser Menschen verstehen lernen, sondern sich zudem Gedanken über die eigene Persönlichkeitsstruktur machen: Selbst- und Menschenkenntnis sind die zwei Seiten derselben Medaille.
Eigene Persönlichkeitsstruktur kennenlernen
Nehmen wir an, ein Kieferorthopäde ist sehr willensstark, dominant und zielstrebig. Eine seiner Stärken in der Gesprächsführung liegt im zielgerichteten Vorgehen. Er kommt schnell auf den Punkt und übernimmt gern die Verantwortung für die Gesprächsführung. Es sind zahlreiche Situationen denkbar, in denen diese Persönlichkeitsstruktur als eine Stärke bezeichnet werden darf: etwa in der Teamsitzung mit den Mitarbeitern, für die nur wenig Zeit zur Verfügung steht, oder in einem Gespräch mit einem Patienten, der klare Handlungsanweisungen benötigt, weil ein Notfall vorliegt.
Doch was geschieht, wenn dieser zielorientierte Kieferorthopäde auf einen zurückhaltenden Patienten trifft, der sich durch die dominante Art des Gesprächspartners verunsichern lässt und sich zurückzieht? Wahrscheinlich wird es sehr schwierig, ein Vertrauensverhältnis zu diesem Patienten aufzubauen.
Das Beispiel zeigt: Würde der Kieferorthopäde über mehr Selbst- und Menschenkenntnis verfügen und würde er eine Patiententypologie zur Einschätzung seiner eigenen Person und anderer Menschen nutzen, hätte er eine Grundlage, sich selbst etwas zurückzunehmen und auf die Vorstellungswelt des Patienten einzugehen.
Beste Voraussetzung zur Entwicklung von Menschenkenntnis hat derjenige, der den Mut zur menschlichen Kompetenz aufbringt und bereit ist, sich unbefangen auf den anderen Menschen einzulassen, ihm zuzuhören, das Gespräch mit ihm zu suchen und möglichst viel von ihm zu erfahren – kurz: der neugierig auf sein Gegenüber ist. Dazu ein Praxistipp: Ein Kieferorthopäde sollte bei der Einschätzung anderer Menschen seiner Intuition und seinem Bauchgefühl vertrauen und gleichzeitig die ihm bekannten Typologien nutzen.
Der offen-freundliche Patient: Persönliche Beziehung aufbauen
Ziel sollte es sein, für verschiedene Patientenpersönlichkeiten eine angemessene Gesprächsstrategie zu entwickeln. Beginnen wir mit dem offen-freundlichen Typ: Er ist auf Sicherheit, Harmonie und Stabilität bedacht. Dieser Patient möchte eine gute Beziehung zwischen sich und dem Kieferorthopäden aufbauen. Für ihn ist es wichtig, dass es auf der Beziehungsebene keine Störungen gibt. Er kann als geduldiger, umgänglicher und fast schon bescheidener Mensch beschrieben werden.
Die Herausforderung für den Kieferorthopäden – und natürlich gilt dieser Hinweis wie die folgenden auch für die Praxismitarbeiter – besteht darin, sich auf die Wellenlänge des Patienten einzuschwingen und eine persönliche Beziehung zuzulassen.
Dies erreicht er, indem er auch Privates und Persönliches von sich preisgibt, freundlich und herzlich reagiert und die Gemeinsamkeiten betont, die zwischen den Gesprächspartnern bestehen. Zudem sollte er mit – natürlich anonymen – Patientengeschichten arbeiten. „Viele meiner Patienten nutzen das Behandlungskonzept, das ich auch Ihnen empfehle, und haben gute Erfahrungen damit gemacht, nämlich …“ Der Patient fasst schneller Vertrauen zum Kieferorthopäden, weil dieser durch die authentischen Patientenbeispiele seinem Sicherheitsbedürfnis entgegenkommt.
Der offen-freundliche Typ
öffnet sich dem Kieferorthopäden, wenn der Arzt ihn in Entscheidungen einbezieht: „Was halten Sie denn von der Idee, die unterschiedlichen Kronenlängen gleich mit zu korrigieren? Wollen Sie sich vielleicht erst einmal mit Ihrem Partner abstimmen?“
Ein weiteres Merkmal des offen-freundlichen Patienten ist also, dass er häufig übervorsichtig agiert. Der Kieferorthopäde sollte dann sein Vorgehen der mentalen Verfasstheit anpassen, in der sich der Patient befindet. Dies gelingt, indem er Aussagen anderer Patienten in seine Argumentation integriert, denen der aktuelle Gesprächspartner mit einiger Wahrscheinlichkeit vertraut. Von Vorteil ist es, wenn er in besonders schwierigen Fällen den Kontakt zu einem Referenzpatienten herstellen könnte, also zu einem Patienten, der bereit ist, über seine positiven Erfahrungen mit der kieferorthopädischen Praxis zu berichten. Mit diesem ungewöhnlichen Vorgehen baut der Kieferorthopäde Vertrauen auf und zerstreut die Bedenken des übervorsichtigen Patienten.
Der dominante Patient: Dominanzstreben akzeptieren
Der nächste Kommunikationstyp beschreibt Patienten, die fordernd, dominant und willensstark auftreten. Dieser Patient weiß genau, was er will – und was nicht. Häufig ist er auch tatsächlich gut informiert, und darum versucht er, in ein Fachgespräch mit dem Kieferorthopäden einzusteigen. Er unterbricht den Arzt zuweilen und möchte das Gespräch sogar lenken und dominieren: Er will dem Kieferorthopäden beweisen, dass er mitreden kann und er es ist, der die Entscheidung trifft.
Der Kieferorthopäde wird mit dem dominanten Typ am besten zurechtkommen, wenn er kurz und bündig zum Thema kommt und zielstrebig den Nutzen anspricht, den etwa eine bestimmte Behandlungsmethode für den Patienten hat. Unklug ist es, das Dominanzstreben des Patienten brechen zu wollen – dieser wird dann aggressiv reagieren, der Kieferorthopäde wird nur schwer Zugang zu ihm finden. Besser ist es, dem Patienten zunächst einmal zuzustimmen und ihm dann eigene Argumente als wohl begründete Alternative darzustellen – wobei die Entscheidung natürlich immer beim Patienten liegt.
Ein Beispiel: Der dominante Patient lehnt die vom Kieferorthopäden empfohlene Behandlungsmethode strikt ab. Der Kieferorthopäde sagt: „Sie haben Recht, denn diese Methode hat durchaus auch ihre Nachteile.“ Dann aber fährt er fort: „Auf der anderen Seite berichten mir Patienten immer wieder, dass sie oft eine gute Lösung ist, nämlich wenn …“
Wichtig ist, dass der Kieferorthopäde die endgültige Entscheidung dem Patienten überlässt, um so dessen Dominanzstreben entgegenzukommen. Insbesondere bei den Mitarbeitern kommt hinzu: Sie sollen und dürfen im Umgang mit dem dominanten Patienten keinesfalls zu nachgiebig agieren – zuweilen blicken Menschen mit starker Dominanzstruktur auf diejenigen Gesprächspartner herab, die zu schnell aufgeben und ihnen die Gesprächsleitung „kampflos“ überlassen. Der kluge goldene Mittelweg: Sie überlassen dem Patienten vorsichtig die Gesprächsführung und geben ihm das Gefühl, dass er – der Patient – die Kommunikation dominiert. Zugleich aber versuchen Sie gerade über diesen Umweg, das Gespräch in Ihrem Sinn zu beeinflussen und zu lenken.
Der hinterfragende Patient: Sachlich informieren
Der hinterfragende Patiententyp kommuniziert sachlich – oft auch kühl und distanziert – und stellt sehr viele Fragen. Er hat ein außerordentlich hoch entwickeltes Informationsbedürfnis. Oft verbirgt sich dahinter ein profundes Misstrauen, dem der Kieferorthopäde begegnen sollte, indem er die belegbaren Fakten betont und auf Einwände des Patienten ebenfalls sachlich reagiert.
Da dieser Patient keinen großen Wert darauf legt, auf der Beziehungsebene zu kommunizieren, konzentriert sich der Kieferorthopäde auf die Inhalts- oder Sachebene und eine logisch einwandfreie Argumentation: „Schauen Sie mal, diese Statistik zeigt, dass in den meisten Fällen … Und vielleicht helfen Ihnen folgende Zahlen, Daten und Fakten weiter, eine Entscheidung zu fällen …“ Das bedeutet: Stellt der Kieferorthopäde fest, dass er es mit einem hinterfragenden Typ zu tun hat, liefert er bei der Darstellung der Behandlungsmethode so viele nachprüfbare Informationen wie möglich. Mit Präzisierungsfragen – „Was genau meinen Sie?“ – und zusammenfassenden Einschüben – „Wenn ich Sie richtig verstehe, sind Sie also der Meinung, dass …“ – verdeutlicht er, dass er bemüht ist, mit dem hinterfragenden Patienten eine Einigung zu erzielen.
Mischtypen beachten
Natürlich gibt es weitere Gesprächsstrategien, weil zahlreiche Mischtypen existieren. Die vorgestellten Persönlichkeitstypen in Reinkultur gibt es nicht, die Übergänge zwischen den Typen sind fließend. Wenn der Kieferorthopäde seine Selbst- und Menschenkenntnis mit einer genauen Beobachtungsgabe und den Erkenntnissen, die er mithilfe der Patiententypologie gewonnen hat, kombiniert, kann er die Persönlichkeit und den Charakter der Patienten gut einschätzen.
Ganz gleich aber, mit welchem Patiententyp der Kieferorthopäde kommuniziert: sprachliches Einfühlungsvermögen und kommunikative Kompetenz sind immer von Bedeutung. Dies soll noch einmal am Beispiel des überempfindlichen und ängstlichen Patienten veranschaulicht werden: Wie sollen sich der Kieferorthopäde und die Mitarbeiter verhalten, wenn sie es mit Patienten zu tun haben, die sich – aus ihrer subjektiven Sichtweise heraus – in einer Extremsituation befinden?
Wertschätzende Patientenkommunikation
Für den Kieferorthopäden sollte stets der Patient im Mittelpunkt stehen. Mit all seinen Ängsten und Befürchtungen, mit seinen Hoffnungen und Wünschen. Wichtig sind die Wertschätzung jedes Patienten und die Sensibilisierung des Kieferorthopäden für die Folgen, die (seine) Sprache im Patienten auslösen kann.
Nehmen wir an, bei einer schwangeren Patientin geht es um eine routinemäßige kieferorthopädische Untersuchung. Es drohen keine zusätzlichen Risiken aufgrund der Schwangerschaft. Nur: Die Patientin empfindet das ganz anders – vielleicht ist sie falsch informiert und befürchtet Nebenwirkungen für ihr Kind.
Wenn der Kieferorthopäde nun mit bagatellisierenden Floskeln wie „Ist doch alles nur halb so schlimm“ daherkommt, verunsichert er die Patientin. Er sollte in dieser Situation noch mehr als sonst auf seine Sprache achten und sogenannte Minuswörter oder Minussätze vermeiden.
Entscheidend ist die Körpersprache: Wenn jene Minussätze mit heftigem Kopfschütteln oder einer abwertenden Handbewegung einhergehen, ist die Patientin endgültig davon überzeugt, dass dieser Kieferorthopäde nicht ihr Vertrauen verdient. Besser ist es, positive Satzanfänge wie „Sie können sich darauf verlassen …“ zu wählen, dies mit einem leichten Kopfnicken zu begleiten und außerdem den intensiven Blickkontakt zur Patientin zu suchen.
Zudem sollte der Kieferorthopäde sie mit ihrem Namen ansprechen, um auch auf dieser Ebene Vertrauen aufzubauen. Ein sensibler Kieferorthopäde überlegt sich stets, was seine Äußerungen im Kopf des Patienten, zumal wenn er unter Druck steht, auslösen und bewirken können. Eine Aufforderung wie „Frau Müller, Sie müssen Folgendes tun …“ mag von ihm gar nicht besserwisserisch gemeint sein. Und es liegt selbstverständlich nicht in seiner Absicht, die Patientin zu verunsichern. Aber: In der hochsensiblen Wahrnehmung der ängstlichen schwangeren Frau läuft vielleicht folgendes Szenario ab: „Wieso muss ich das tun? Was passiert, wenn ich es nicht befolge? Warum betont er diese Notwendigkeit überhaupt so? Besteht etwa eine Gefahr – und er will mich nur nicht beunruhigen?“ Dies mag ein übertriebenes Beispiel sein, zeigt aber doch die sprachliche Sensibilität, ja Virtuosität, die Kieferorthopäden gerade im Umgang mit Patienten an den Tag le-gen müssen, die sich in einer schwierigen Situation befinden. Und dieses sprachliche Feingefühl sollte der Kieferorthopäde in möglichst je-dem Patientengespräch und im Umgang mit jedem Patiententypus an den Tag legen.