Praxismanagement 04.01.2017

Wenn jede Minute zählt: Notfall in der Zahnarztpraxis



Wenn jede Minute zählt: Notfall in der Zahnarztpraxis

Foto: © Syda Productions – shutterstock.com

Bei einem Herz-Kreislauf-Versagen spielt die Zeit eine entscheidende Rolle: Werden rechtzeitig die richtigen Maßnahmen ergriffen, hat der Patient eine Überlebenschance von etwa 50 bis 70 Prozent. Doch diese sinkt rapide: 
um etwa zehn Prozent pro Minute. Es geht also tatsächlich um Minuten: Drei, vier, fünf Minuten – mehr sind es nicht. 
Doch wenn es um das praxisinterne Notfallmanagement geht, herrscht vielerorts eine gefährliche Sorglosigkeit. Tobias Wilkomsfeld, Dozent für Notfallmedizin, stellt sich genau dieser Problematik und will aufklären, um zu retten.

In seinen Seminaren bekommt Tobias Wilkomsfeld einen Satz besonders 
häufig zu hören: „Eigentlich brauchen wir keine Auffrischung, bisher ist ja 
auch nie etwas passiert.“ Dabei ist es 
gar nicht so unwahrscheinlich, dass auch in einer Zahnarztpraxis plötzlich 
ein Patient mit akuten Herz-Kreislauf- Problemen zu kämpfen hat ...

Wie häufig kommt ein medizinischer Notfall in der Praxis eigentlich vor?
Statistiken zufolge kommt es in einer Zahnarztpraxis durchschnittlich zu 1,15 medizinischen Notfällen pro Jahr. Und der muss ja gar nicht zwingend in der eigenen Praxis passieren. Wenn unten auf der Straße ein Unfall geschieht, 
kann es gut sein, dass als erstes der Zahnarzt zu Hilfe gerufen wird. Für 
einen Laien ist ein Arzt eben ein Arzt, 
egal ob Zahnarzt oder Hautarzt auf 
seinem Türschild steht.

Wie kann das Praxispersonal eine solche Situation im Ernstfall am besten bewältigen?
Jeder Mitarbeiter sollte den organisatorischen Ablauf und den Standort der Notfallausstattung kennen. Klare Handlungsanweisungen durch den Chef erleichtern das Arbeiten im Team.

Was verstehen Sie unter dem „organisatorischen Ablauf“?
Es sollte eine Art „Drehbuch“ für den Notfall geben: Dieses muss eine klare Reihenfolge und feste Aufgabenbereiche für jeden Mitarbeiter beinhalten. Dabei geht es um Fragen wie: Wer 
informiert den Arzt? Wer holt die Notfallausstattung? Wer ruft die 112 an 
und nimmt den Rettungsdienst in 
Empfang? Wer kümmert sich um den Patienten? Wer um die Angehörigen und wartenden Patienten?

Wie kann sich das Praxisteam auf einen möglichen Notfall vorbereiten?
Neben einer guten Basisausstattung 
ist es sinnvoll, diese Akutsituation innerhalb der Praxis zu trainieren. Dafür gibt es ein interessantes Kurskonzept. Der Dozent kommt in Ihre eigenen Praxisräumlichkeiten. So ist es möglich, den Notfall mit dem eigenen Team, 
der eigenen Ausstattung und in den 
eigenen Räumlichkeiten zu trainieren.

Welche Fehler werden in Bezug auf die Unterbringung der Notfallausstattung gemacht?
Nach meiner Erfahrung haben viele Praxen das Material in Schubladen oder beispielsweise in zweckentfremdeten Werkzeugkoffern untergebracht. Dabei müssen doch alle benötigten Materialien innerhalb kürzester Zeit in der 
Praxis oder auch im Hausflur eingesetzt werden können. Der gesamte 
Inhalt sollte in einem System vorgehalten werden – übersichtlich und geordnet. So entfallen hektische Suchaktionen und die Situation wird entspannter.

Welche Ausstattung ist Ihrer Meinung sinnvoll?
Die Zahnärztekammer Nordrhein hat hier einen klaren Standpunkt. Sie hält sich an die Vorgaben der Berufsgenossenschaft, diese fordert einen Verbandskasten nach DIN 13157. Individuelle Risikoprofile der eigenen Praxis sollten jedoch berücksichtigt werden. Ich empfehle das Motto „Weniger ist mehr“. Ein gut sortierter Notfallrucksack mit einigen Hilfsmitteln wie 
Beatmungsbeutel und Sauerstoff etc. ergänzen die praktischen Fähigkeiten des Arztes hervorragend. Des Weiteren ist ein AED (Automatisierter Externer Defibrillator) absolut empfehlenswert.

Weshalb halten Sie den AED für so wichtig?
Die neuen ERC-Leitlinien betonen besonders den frühen Einsatz eines Defibrillators. Etwa 70 Prozent der kollabierten erwachsenen Patienten weisen ein Kammerflimmern auf. Bei dieser 
lebensbedrohlichen Herzrhythmusstörung kann man mit einer frühzeitigen Schockabgabe gute Erfolge erzielen. Pro Minute sinkt die Überlebenswahrscheinlichkeit ansonsten um zehn Prozent. Außerdem leitet der AED das 
Praxispersonal akustisch und teilweise auch visuell zu den erforderlichen 
Maßnahmen an. Dies bietet eine gute Unterstützung im Ernstfall.

Reicht es dann nicht aus, sich einfach einen AED zuzulegen und der Rest wird schon irgendwie klappen?
Mit dem AED als technische Komponente haben Sie erst 50 Prozent Handlungssicherheit erreicht, die weiteren 50 Prozent betreffen den geschulten Umgang mit der Gesamtsituation. Deshalb ist es auch so wichtig, die 
Gesamtsituation innerhalb der Praxis 
zu schulen, und zwar mit dem Defibrillator.

Sie führen seit mehreren Jahren interne Praxisseminare durch. Was ist Inhalt dieser Fortbildungen?
Neben der individuellen praxisorientierten Fortbildung wird die Notfallausstattung überprüft und bei Bedarf sinnvoll ergänzt. Sollte ein internes Notfallmanagement bestehen, wird dies beübt; ansonsten kann ein Konzept 
mit der Praxis erarbeitet werden.

Das Seminar wird praxisorientiert und lebendig nach aktuellen und erprobten Standards gestaltet. Der theoretische Anteil frischt das Wissen zu typischen Krankheitsbildern wie Herzinfarkt, Anaphylaxie et cetera auf. In der Praxis 
sorgt der Dozent für eine realitätsnahe 
Patientensimulation, das heißt, der Dozent wird zum Patienten. Herzinfarkt und Co. können in der Übung entsprechend dargestellt und erstversorgt werden. Wir trainieren also unter absolut realistischen Bedingungen.

Gibt es eigentlich eine Fortbildungspflicht?
Ja, die gibt es. Erstens muss im Rahmen des Qualitätsmanagements das notfallmedizinische Wissen regelmäßig aufgefrischt werden. Laut dem European Resuscitation Council geraten 
die erworbenen Kenntnisse bereits nach drei Monaten langsam in Vergessenheit. Mit einer jährlichen Auffrischung erlangt die Praxis die nötige Handlungssicherheit.

Zusätzlich müssen die benannten Ersthelfer, laut Berufsgenossenschaft, alle zwei Jahre an einen Auffrischungskurs teilnehmen. Aber mal abgesehen von der Pflicht: Am schwierigsten ist es vermutlich für die allermeisten, sich Wissenslücken und mangelnde Routine erst einmal einzugestehen. Doch dieser falsche Stolz sollte niemanden davon abhalten, Schulungen zu besuchen 
und in der Praxis gemeinsam mit dem Personal den Notfall zu Übungszwecken zu simulieren. Denn schließlich geht es doch darum, allen Patienten auch abseits der Zahnmedizin, in Situationen, in denen sie ihren Arzt am 
dringendsten brauchen, die bestmögliche Versorgung zukommen zu lassen. Um so womöglich ein Leben zu 
retten.

Notfallmanagement in der Zahnarztpraxis

TERMINE 2018

KURSINHALTE

Theorie:

  • Wiederholung der allgemeinen notfallmedizinischen Grundlagen 
  • Notfall-Algorithmen 
  • internes Ablaufmanagement: „wer macht was“ 
  • Vertiefung der häufigsten Notfall-Krankheitsbilder mit Fallbeispielen 
  • notfallmedizinische Ausstattung: „Was muss und was kann“ 

Praktische Übungen:

  • realitätsnahe Simulation von typischen Notfallsituationen in der Zahnarztpraxis 
  • Patientenversorgung z.B. im Behandlungsstuhl (wenn Seminar in Praxis) 
  • Notfalldiagnostik mit und ohne Hilfsmittel 
  • Anwendung notfallmedizinischer Techniken wie Reanimation, stabile Seitenlage, Atemwegsmanagement 
  • Umgang mit einem Automatisierten Externen Defibrillator (AED) 
  • Umgang mit dem eigenem Notfallmaterial 

Abschlussbesprechung:

  • Diskussion 
  • Beantwortung offener Fragen 
  • Evaluation von in der Vergangenheit stattgehabten Notfällen in Ihrer Praxis
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