Psychologie 19.05.2014
Redebedarf der Patienten
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Die langjährige ZWP-Autorin Dr. Lea Höfel beantwortet regelmäßig Leserfragen im Bereich Psychologie – in Bezug auf Patienten, das Team und sich selbst. Die Fragen und Antworten finden Sie hier redaktionell aufbereitet wieder. Diesmal geht es um die Frage, wie mit dem unterschiedlichen Mitteilungsbedürfnis der Patienten umgegangen werden sollte. Psychologin Dr. Lea Höfel antwortet.
Anfrage: Am schwierigsten am Beruf des Zahnarztes finde ich ehrlich gesagt die Patientengespräche. Meist laufen sie gut, aber manchmal habe ich das Gefühl, vom Redeschwall meiner Patienten überrollt zu werden. Das andere Extrem sind die Patienten, denen ich jeden einzelnen Wurm aus der Nase ziehen muss. In keinem der Fälle habe ich wirklich das Gefühl, etwas gemeinsam besprochen und geklärt zu haben.
Ein Zahnarzt im Seminar begann eine ähnliche Frage einmal mit dem Satz: „Mein Beruf ist ja wirklich schön, wenn nur nicht die Patienten wären.“ Damit meinte er genau Ihr Dilemma, dass die Behandlung noch das geringste Problem ist, mit dem man sich bei manchen Patienten konfrontiert sieht. Einige Personen haben eher Schwierigkeiten mit Patienten, die ständig widersprechen. Andere wiederum mit denen, die keine eigene Meinung zu haben scheinen. Und bei Ihnen sind es die Viel- oder Wenigredner.
Sie beschreiben die Gesprächssituationen sehr bildhaft, indem sie überrollt werden oder Würmer aus der Nase ziehen müssen. Da Sie auch zweimal das Wort „Gefühl“ verwenden, gehe ich davon aus, dass sie die Welt eher emotional-bildhaft wahrnehmen und selbst zum Typ der mittleren Redemenge gehören – weder zu viel noch zu wenig. Sowohl der Vielredner mit seinem ununterbrochenen Redefluss noch der Wenigredner mit seinen kaum vorhandenen Einblicken in sein Seelenleben ermöglicht es Ihnen, ein klares Bild der Wünsche zu erhalten. Diese Unsicherheit bringt nun wiederum Sie aus dem Gleichgewicht, was zu Stress führt. Es gibt hier zwei Wege, an die Situation heranzugehen: Zum einen können Sie sich emotional distanzieren und zum anderen können Sie den Redebedarf Ihres Gegenübers reduzieren beziehungsweise erhöhen.
Emotionale Distanz
Bezogen auf Ihre gefühlsmäßige Involviertheit in das Geschehen ist etwas Distanz geboten. Beobachten Sie in Zukunft einmal genauer, welche inneren Bilder in Ihrem Kopf erscheinen, wenn Sie mit angenehmen oder eher unangenehmen Patienten kommunizieren. Ist es möglich, dass die Bilder realer und lebhafter wahrgenommen werden, sobald es ein eher negativ verlaufendes Gespräch ist? Beginnen Sie damit, sich von diesen Bildern zu distanzieren. Stellen Sie sich vor, Sie schauen sich selbst beim Gespräch zu, dadurch wird die persönliche Betroffenheit reduziert. Oder Sie atmen ein paarmal tief durch. Denken Sie kurz an das letzte positive Ereignis, das Sie erlebt haben. Welche Form der Stressreduktionstechnik Sie bevorzugen, ist vollkommen Ihnen überlassen. Der erste Gedanke, sich selbst emotional aus dem Geschehen zurückzuziehen, ist nun schon einmal gepflanzt und kann ab jetzt dem Redeschwall entgegengesetzt werden.
Redebedarf regulieren
Der Vielredner tut vor allem eines gern: sich selbst reden hören. Je nach Typ kann er dabei jedes Detail ausschmücken oder von einem Thema zum nächsten springen. In den ersten Minuten ist es durchaus richtig, ihn reden zu lassen, damit er sich angenommen fühlt. Nach kurzer Zeit jedoch sollten Sie ihn mit geschlossenen Fragen zu knapperen Aussagen verleiten. Auf geschlossene Fragen kann man üblicherweise nur mit Ja oder Nein antworten. Der Vielredner schafft es zwar meist, von dort aus weiterzusprechen, doch das können Sie mit der nächsten geschlossenen Frage verhindern. Auf die Frage „Wann möchten Sie den nächsten Termin?“ kann ausgiebig geantwortet werden. Auf die Frage „Ist Ihnen Montag recht?“ oder „Passt es Montag oder Dienstag besser?“ ist schon weniger Antwortspielraum gegeben. Der Vielredner ist es übrigens gewohnt, unterbrochen zu werden. Sollten Sie also Bedenken haben, unhöflich zu wirken: Er kennt das.
Der Wenigredner möchte am liebsten gar nichts sagen. Das kann daher rühren, dass er ungern redet, dass er keine eigene Meinung hat oder dass er einfach nicht bei der Sache ist. Woher es auch immer kommt, er muss ins Gespräch eingebunden werden. Geschlossene Fragen liebt er, deshalb werden offene Fragen gestellt. Jede Antwort ist möglich, nur kein simples Ja oder Nein. Bleiben Sie hartnäckig und tappen Sie nicht in die Falle, Pausen füllen zu müssen. Darauf spekuliert der Wenigredner, er ist es gewohnt, dass andere weiterreden, wenn er nur lange genug schweigt. Mit einem Wenigredner lässt es sich bis zu zwei Minuten wunderbar schweigen, dann beginnt auch er zu reden. Sie können das Verhalten auch ruhig direkt ansprechen im Sinne von „Ich kann Ihnen besser helfen, sobald Sie mir sagen, was Ihre Vorstellungen sind“. Manchmal bevorzugt der Patient es auch, seine Gedanken zu verschriftlichen und sie dann mit Ihnen durchzusprechen.
Lassen Sie sich von dem unterschiedlichen Redebedarf Ihrer Patienten nicht aus der Ruhe bringen. Menschen machen üblicherweise das Beste aus dem, was sie haben. Der Vielredner hat kein Gespür für präzise Wortwahl, der Wenigredner keine Vorstellung von Redegewandtheit. Die eine oder andere Strategie ist nicht besser oder schlechter, sie ist lediglich nicht die einfachste, wenn es um die Planung einer Zahnbehandlung geht. So einfach es auch klingen mag, aber die beste Strategie ist immer noch, die Andersartigkeit mit einem Schmunzeln zu betrachten und die besten Informationen herauszuholen, die der Patient zu geben bereit ist.