Recht 21.11.2013
Faltenunterspritzungen: Heilpraktiker dürfen alles, Zahnärzte nicht
Der Bedarf an medizinisch-ästhetischen Behandlungen ist in den vergangenen Jahren unter den Patienten sehr stark angewachsen und wird entsprechend nachgefragt. Viele Zahnarztpraxen haben daher die Faltenbehandlung mittels Botulinumtoxin Typ A und Hyaluronsäure in ihr Angebotsspektrum der Ästhetischen Zahnmedizin aufgenommen. Aufgrund der großen Nachfrage erfreuen sich Kurse und Seminare zu dem Thema „Unterspritzungstechniken“ speziell für Zahnärzte großer Beliebtheit.
Zahnärztekammern und Aufsichtsbehörden stehen ganz mehrheitlich auf dem Standpunkt, dass eine Faltenunterspritzung im Lippen- und Nasolabialbereich nicht mehr zum Tätigkeitsbereich der Zahnärzte gehört. Insofern hat die Frage, ob Zahnärzte solche Leistungen überhaupt erbringen dürfen, in der Vergangenheit schon mehrfach die Gerichte beschäftigt. Im Rahmen einer Klage gegen die zuständige Zahnärztekammer begehrte eine Zahnärztin die Feststellung, dass sie zur Durchführung von Faltenunterspritzungen sowie der Anwendung von Botulinumtoxin im Gesichts- und Halsbereich berechtigt ist. Das zuständige Verwaltungsgericht (VG) Münster hatte mit Urteil vom 19.04.2011 – 7 K 338/09 – die Klage abgewiesen und das Unterspritzen von Falten oder andere kosmetische Maßnahmen im Gesicht außerhalb der Lippen als nicht durch die zahnärztliche Approbation gedeckt bezeichnet. Ausgelöst durch das Urteil kam es bundesweit zu einer Abmahnwelle durch eine schweizerische Firma, die offensichtlich aufgrund der Informationen auf der Internetseite der betroffenen Praxen vorgegangen war. Es wurde den betroffenen Praxen vorgeworfen, gegen das Heilpraktikergesetz (HeilprG) verstoßen zu haben, was zugleich über § 4 Nr. 11 Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) wettbewerbswidrig sei. Die Zahnärztinnen und Zahnärzte wurden aufgefordert, eine mit Vertragsstrafe bewehrte Unterlassungserklärung zu unterzeichnen und pauschalisierten Schadensersatz in nicht unerheblicher Höhe zu zahlen. Das Oberverwaltungsgericht (OVG) NordrheinWestfalen hat sich der Rechtsauffassung des VG Münster angeschlossen und die Berufung gegen dieses Urteil zurückgewiesen (Entscheidung vom 18.04.2013 – 13 A 121/11). Die Entscheidung des OVG zieht die Grenze des zahnärztlichen Betätigungsfelds enger als andere Gerichte. Das OVG stellte zunächst fest, dass es sich bei der Faltenunterspritzung und der Behandlung mit Botulinumtoxin über den „Lippenrotbereich“ hinaus nicht um rein kosmetische Maßnahmen, sondern um eine erlaubnispflichtige Ausübung der Heilkunde gemäß § 1 Abs. 2 HeilprG handele.
Wie bereits erstinstanzlich festgestellt, reiche die zahnärztliche Approbation nicht aus, solche Behandlungen durchzuführen, weil sie sich gemäß § 1 Abs. 3 ZHG nur auf die Feststellung und Behandlung von Zahn, Mund- und Kieferkrankheiten beziehe. Eingriffe, die final auf eine Behandlung des von Mund, Zähnen und Kieferbereich entfernten Naso-Labial-Bereichs und der sonstigen Bereiche der Gesichtshaut und des Halses gerichtet sind, seien hiervon nicht umfasst. Eine solche restriktive Auslegung des ZHG wird dem im hohen Maße von kosmetischen Gesichtspunkten geprägten Berufsbild des Zahnarztes nicht gerecht. Gerade im Bereich des Gesichts hat der Zahnarzt aufgrund seines Studiums und seiner täglichen Behandlungen in diesem Bereich eine hohe Kompetenz, sodass es nicht nachvollziehbar ist, warum er in dieser Region aus rechtlichen Gründen nicht tätig werden darf und seine fachliche Kompetenz hinter der des ungleich weniger qualifizierten Heilpraktikers zurückstehen muss.
Die Konsequenzen, die Zahnärzten bei Faltenbehandlungen drohen können, sind nicht nur berufsrechtlicher Natur, sondern können auch strafrechtlicher Art sein. Eine höchstrichterliche Entscheidung der Abgrenzung des ärztlichen und des zahnärztlichen Tätigkeitsbereichs, insbesondere des von § 1 Abs. 3 ZHG geregelten Umfangs, steht zwar explizit noch aus, zumal hier erhebliche rechtliche Angriffspunkte betreffend der Auslegung europäischen Rechts, das die Zahnheilkunde näher bestimmt, bestehen. Nr. 22 Satz 2 der Erwägungen zur Richtlinie 2005/36/EG vom 07.09.2005 erklärt, dass „die Mitgliedstaaten sicherstellen sollten, dass dem Zahnarzt in seiner Ausbildung die erforderlichen Fähigkeiten zur Ausübung aller Tätigkeiten der Verhütung, Diagnose und Behandlung von Anomalien und Krankheiten von Zähnen, Mund und Kiefer sowie der dazugehörigen Gewebe vermittelt werden“. Umgebende Gewebe sind nicht nur „innen“, sondern auch „außen“. Richtigerweise umfasst der Begriff der Zahnheilkunde daher die Krankheiten der Zähne, des Mundes und der Kiefer einschließlich der sich umgebenden bzw. der dazugehörenden Gewebe ohne Beschränkung auf die „unmittelbare“ Umgebung wie z.B. die Lippen. Aus diesem Grunde beschränkt das OVG den Begriff der „umgebenden Gewebe“ fälschlicherweise auf den Mundinnenbereich, ohne sich mit der entgegenstehenden Zivilrechtsprechung, vor allem des OLG Zweibrücken, 21.08.1998 – 2 U 29/97 – zu befassen, die immerhin durch den Bundesgerichtshof (BGH) durch Beschluss vom 20.05.1999 – I ZR 243/98 – bestätigt wurde.
Gegen das Urteil des OVG hat die klagende Zahnärztin das Rechtsmittel der Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) Leipzig eingelegt (3 B 48/13). Es bleibt abzuwarten, ob die Revision gegen das Urteil zugelassen und die Frage letztlich höchstrichterlich geklärt werden wird. Möglicherweise wird auch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) diese Frage unter dem Blickwinkel der Berufsausübungsfreiheit des Artikel 12 Abs. 1 GG beurteilen müssen.