Recht 11.04.2017
Junior-Senior-Gesellschaften erneut im Fokus der Rechtsprechung
share
Die Frage der Abgrenzung zwischen freiberuflicher und angestellter Berufsausübung bei Berufsausübungsgemeinschaften mit Senior- und Juniorpartnern rückt wieder in den Fokus der Rechtsprechung. Nach einigen Entscheidungen der Finanzgerichte ist kürzlich ein Urteil des Landessozialgerichts (LSG) Baden-Württemberg ergangen (Az.: L 5 R 1176/16), das im Ergebnis die bisherige Rechtsprechung der Sozial- und Finanzgerichtsbarkeit erneut bestätigt.
Die Entscheidung des LSG BW betrifft in erster Linie die Frage der Nachforderung von Sozialabgaben. Das LSG hat das Urteil jedoch zum Anlass genommen, klarzustellen, dass für die Beurteilung einer Scheinselbstständig-keit im rentenversicherungsrechtlichen Sinne auch die Bewertungen des Vertragszahnarztrechts in die Abwägung aller Einzelfallumstände einzubeziehen sind. In dem Streitfall lag gleichsam auch eine Scheinselbstständigkeit im vertragszahnarztrechtlichen Sinne vor. Daran ändern auch der Zulassungsstatus und die Genehmigung der BAG nichts, wenn faktisch kein Gesellschafts-, sondern ein Anstellungsverhältnis vorlag.
Das hat zur Folge, dass in solchen Fällen neben den Nachforderungen von Sozialabgaben auch immer Honorarrückforderungen der Kassenzahnärztlichen Vereinigung drohen. Hinzu kommt das erhebliche Risiko von Steuernachzahlungen, da aufgrund der Einstufung als „unechte Gemeinschaftspraxis“ Gewerbesteuer auf die gesamten Einkünfte der Praxis anfällt, das heißt auch auf die originär freiberuflichen Umsätze des Seniorpartners.
In dem Verfahren vor dem LSG hatte sich ein Zahnarzt gegen die Nachforderung von Sozialabgaben für eine Zahnärztin, mit der er seit dem Jahr 2005 eine BAG führte, zur Wehr ge-setzt. Wieder war Auslöser eine Betriebsprüfung, in der die Finanzbehörden zu der Einschätzung gelangten, dass die Zahnärztin tatsächlich nicht freiberuflich, sondern in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis tätig war.
Regelungen des Gesellschaftsvertrages belegten die fehlende Freiberuflichkeit.
Die Finanzbehörden stützen diese Einschätzung auf die Regelungen des Gesellschaftsvertrages der BAG. Danach war als „Gewinnbeteiligung“ der Zahnärztin vorgesehen, dass die aus dem von ihr veranlassten zahnärztlichen Honorar 30 Prozent erhalten sollte. Der übrige Gewinn stand allein dem Seniorpartner zu, der auch das gesamte materielle Praxisvermögen zur Nutzung zur Verfügung stellte. Die Zahnärztin musste weder zu Beginn eine Einlage leisten oder sich am vorhandenen materiellen Vermögen beteiligen noch sich in der Folge an den Kosten für die Beschaffung von zukünftigem materiellem Vermögen beteiligen. Zudem sah der Gesellschaftsvertrag keine Regelung vor, wonach die Zahnärztin auch einen etwaigen Verlust der Praxis anteilig zu tragen hätte. Hinzu kam, dass nach den Regelungen des Gesellschaftsvertrages die Geschäftsführungsbefugnis zwar beiden Gesellschaftern oblag. Im Innenverhältnis war hingegen bei sämtlichen wichtigen Gesellschaftsentscheidungen die Zustimmung des Zahnarztes erforderlich. Letztlich sah der Gesellschaftsvertrag im Fall des Ausscheidens der Zahnärztin lediglich eine pauschalierte Abfindung vor.
Auslegung des Merkmals „in freier Praxis“
Das LSG bestätigte die Einschätzung, dass die Zahnärztin nicht in „freier Praxis“ tätig gewesen sei, und verwies insoweit auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG). Zur Auslegung des Merkmals „in freier Praxis“ (i.S.d. § 32 Abs. 1 Satz 1 Ärzte-ZV/Zahnärzte-ZV) hat das BSG (Urteil vom 23.6.2010, Az.: B 6 KA 7/09 R) unter Hinweis auf die einschlägige Rechtsprechung des BVerfG im Ausgangspunkt darauf abgestellt, dass der Arztberuf durch ein hohes Maß an eigener Verantwortlichkeit und eigenem Risiko in wirtschaftlicher Bezie-hung charakterisiert ist, und dass das Berufsbild (der freiberuflich Tätigen) im Ganzen den „unternehmerischen Zug“ trägt, der auf Selbstverantwortung, individuelle Unabhängigkeit und eigenes wirtschaftliches Risiko gegründet ist. Der frei praktizierende Arzt hat die freie Verfügung über die eigene Arbeitskraft, kann insbesondere seine Arbeitszeit frei einteilen und er trägt auch das volle wirtschaftliche Berufsrisiko. Mithin wird eine Tätigkeit in freier Praxis unzweifelhaft durch die Merkmale individueller Unabhängigkeit und Tragung des wirtschaftlichen Risikos konkretisiert. Das Merkmal der Tätigkeit „in freier Praxis“ i.S.d. § 32 Abs. 1 Satz 1 Ärzte-ZV/Zahnärzte-ZV erfordert daher mehr, als nach den §§ 705 ff. BGB für die Stellung als Gesellschafter erforderlich ist.
Die Tätigkeit in freier Praxis beinhaltet damit zum einen eine wirtschaftliche Komponente – die Tragung des wirtschaftlichen Risikos wie auch eine Beteiligung an den wirtschaftlichen Erfolgen der Praxis – und zum anderen eine ausreichende Handlungsfreiheit in beruflicher und persönlicher Hinsicht. Der Vertragszahnarzt darf nicht wie ein Angestellter nur ein Festgehalt erhalten. Vielmehr muss ihm maßgeblich der Ertrag seiner vertragszahnärztlichen Tätigkeit zugutekommen, ebenso wie ein eventueller Verlust zu seinen Lasten gehen muss. Diese Teilhabe an Gewinn und Verlust der laufenden Praxistätigkeit kann aber nicht allein auf den Kapitaleinsatz bezogen werden, der bei der ärztlichen Tätigkeit nicht die ausschlaggebende Rolle spielt. Fehlender wirtschaftlicher Erfolg einer Praxis wirkt sich nämlich vor allem in Form einer Reduzierung des sogenannten Unternehmerlohns aus, weil die laufenden Praxiskosten nicht sogleich einem Umsatzrückgang angepasst werden können, und kann auch zum Auflaufen von Verbindlichkeiten führen. Schließlich hat es das BSG für zwingend notwendig erachtet, dass dem Zahnarzt bei Beendigung seiner vertragszahnärztlichen Tätigkeit eine Chance auf Verwertung des auch von ihm erarbeiteten Praxiswertes bleibt. Für die Annahme einer gemeinschaftlichen Berufsausübung im Rahmen einer Gemeinschaftspraxis ist – unabhängig von der Frage einer Beteiligung der Partner an den Investitionen und Kosten der Praxis – grundsätzlich eine Beteiligung am immateriellen Wert der Praxis (dem sogenannten „Goodwill“) erforderlich, da dies Ausfluss der mit einer Tätigkeit in „freier Praxis“ verbundenen Chancen ist.
Vorliegend bestand ein verdecktes Anstellungsverhältnis
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze lag im Falle der beiden Zahnärzte ein verdecktes Anstellungsverhältnis und damit eine Scheingesellschaft vor. Die rechtliche Gestaltung, die die beiden Zahnärzte mit dem Gesellschaftsvertrag für ihre Zusammenarbeit gewählt haben, ließ es nach Auffassung des LSG nicht zu, die Zahnärztin in sozialversicherungs- und vertragszahnarztrechtlicher Hinsicht als frei praktizierende Zahnärztin einzustufen. Dafür fehle es an der nach der Rechtsprechung des BSG erforderlichen wirtschaftlichen Komponente, nämlich an der Tragung des wirtschaftlichen Risikos wie auch an der Beteiligung an den wirtschaftlichen Erfolgen der Praxis.
Fazit
Die Entscheidung des LSG bestätigt erneut die von der Rechtsprechung der Sozial- und Finanzgerichte aufgestellten Grundsätze und zeigt die anhaltende Brisanz „unechter Gemeinschaftspraxen“. Betriebsprüfer sind spätestens seit den Entscheidungen der Finanzgerichte angehalten, Kooperationsverträge auf verdeckte Anstellungsverhältnisse zu prüfen. Liegt faktisch kein Gesellschafts-, sondern ein Anstellungsverhältnis vor, drohen erhebliche finanzielle Konsequenzen von der Gewerbesteuerpflichtigkeit der gesamten Praxis über Nachforderungen von Sozialabgaben bis hin zu Honorarrückforderungen der Kassenzahnärztlichen Vereinigungen.
Daher sollten dringend bestehende Gesellschaftsverträge von Berufsausübungsgemeinschaften überprüft und ggf. an die Erfordernisse der Rechtsprechung angepasst werden. Die Häufigkeit neuer Urteile zu Juniorpartnerschaften zeigt deutlich, dass die Risiken derartiger Partnerschaften nicht auf die leichte Schulter genommen werden sollten.