Recht 13.09.2012

Keine Korruptionsstrafbarkeit von Vertragsärzten



Keine Korruptionsstrafbarkeit von Vertragsärzten

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Vertragsärzte sind korrupt, aber nicht strafbar – so lässt sich die seit Monaten erwartete Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen des BGH (Beschluss vom 29.03.2012, Az.: GSSt 2/11) zusammenfassen. Denn im Gegensatz zum Bundespräsidenten sind Vertragsärzte keine Amtsträger. Die Annahme von Geschenken ist damit zwar moralisch mitunter ähnlich fragwürdig, aber nicht von den Tatbeständen des Strafgesetzbuches (StGB) umfasst.

Hintergrund der Entscheidung ist die Zahlung von Prämien durch Pharmaunternehmen an Vertragsärzte in Höhe von fünf Prozent des Herstellerabgabepreises für die Verordnung bestimmter Arzneimittel. Die Pharmareferentin, die in dem zu entscheidenden Fall die entsprechenden Schecks übergeben hatte, war im Ausgangsverfahren durch das LG Hamburg wegen Bestechung im geschäftlichen Verkehr verurteilt worden. Eine solche Verurteilung setzt jedoch voraus, dass Vertragsärzte als „Beauftragte der Krankenkassen“ im Sinne des §299 StGB einzuordnen sind. Diese seitens des LG Hamburg vertretene Auffassung legte der 5. Strafsenat des BGH dem Großen Senat für Strafsachen vor. Denn zuvor hatte bereits der 3. Strafsenat des BGH Ver-tragsärzte bezogen auf die Verordnung von Hilfsmitteln nicht nur als „Beauftragte“ der Krankenkassen, sondern auch als „Amtsträger“ eingeordnet und den Großen Senat um eine verbindliche Entscheidung ersucht. Eine Einordnung als „Amtsträger“ hätte Vertragsärzte sogar den weitaus strengeren Vorschriften von Bestechlichkeit und Vorteilsannahme nach den §§ 331 ff. StGB unterworfen.

Straftatbestände

Die der Entscheidung zugrunde liegenden Straftatbestände entstammen allesamt dem Bereich der Korruptionsdelikte. Die §§331ff. StGB dienen als sog. „Straftaten im Amt“ dem Schutz der Lauterkeit des öffentlichen Dienstes und dem Vertrauen der Allgemeinheit in eben diese. Strafbar ist danach zum einen die Vorteilsgewährung bzw. Vorteilsannahme, verkürzt gesprochen also ein Geschenk zugunsten eines Amtsträgers für dessen Dienstausübung – sei sie pflichtgemäß oder pflichtwidrig erfolgt. Soll hingegen durch das Geschenk eine konkret pflichtwidrige Diensthandlung erreicht werden, sind zum anderen die schwerwiegenderen Tatbestände der Bestechung oder Bestechlichkeit einschlägig. Demgegenüber schützt §299 StGB den freien Wettbewerb. Unter Strafe gestellt ist die Annahme von Vorteilen für sich oder Dritte als Gegenleistung für eine unlautere Bevorzugung eines Geschäftspartners im Wettbewerb. Adressat dieser Strafnorm sind Angestellte oder Beauftragte eines geschäftlichen Betriebes, wozu auch eine Krankenkasse als dauerhaft am Wirtschaftsleben teilnehmender Akteur zählen kann.

Entscheidung

Der Große Senat ist mit seiner Entscheidung einer Anwendbarkeit dieser Strafvorschriften auf Vertragsärzte nunmehr entgegengetreten. Mit seiner richtungsweisenden Entscheidung hat er festgestellt, dass Vertragsärzte we-der „Beauftragte“ der Krankenkassen sind und damit nicht einer Strafbarkeit wegen Bestechung im geschäftlichen Verkehr nach §299 StGB unterfallen, noch „Amtsträger“, die ähnlich einem Beamten zu behandeln und einer Strafbarkeit nach §§331ff. StGB zu unterwerfen wären.

Gründe

Der BGH verneint die Amtsträgereigenschaft von Vertragsärzten, da im Verhältnis zum Patienten das persönliche Verhältnis zu seinem individuell aus-gewählten Arzt derart im Vordergrund steht, dass ein hoheitlicher Charakter aus der Erfüllung öffentlicher Gesundheitsfürsorge dahinter zurücktritt. Der Patient nimmt seinen Arzt eben nicht wie den TÜV als Organ hoheitlicher Gewalt, sondern als frei gewählten Behandler und gleichgeordneten Vertragspartner wahr. Hieran ändert auch die Konkretisierung gesetzlicher Leistungsansprüche durch die entsprechenden ärztlichen Verordnungen nichts. Denn diese sind untrennbarer Bestandteil der ärztlichen Behandlung und vollziehen sich innerhalb des personalgeprägten Vertrauensverhältnisses. Der Große Senat für Strafsachen verwirft damit explizit die Ansicht des 3. Strafsenats des BGH, wonach aus der Schlüsselstellung des Vertragsarz-tes im Rahmen der Verordnungstätig-keit eine Rechtsmacht wie bei einem öffentlich-rechtlich beliehenen Verwaltungsträger folge. Vielmehr geht das persönliche Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient einer Ein-bindung in ein System staatlich ge-lenkter Daseinsfürsorge vor. Daneben lehnt der BGH auch eine Einordnung von Vertragsärzten als „Beauftragte“ der Krankenkassen ab. Denn schon vom Wortsinn her übernimmt der Beauftragte eine Aufgabe nach Wahl und im Interesse des Auftraggebers, der den Beauftragten bei seiner Tätigkeit anleitet. Hieran fehlt es im Verhältnis zum Vertragsarzt. Zwar steht dessen Einordnung als freier Beruf einer solchen Beauftragung nicht entgegen, doch ist seiner Stellung im System der gesetzlichen Krankenversicherung eine Einbindung auf Augenhöhe zu entnehmen. Vertragsärzte und Kassenärztliche Vereinigungen stehen den Krankenkassen in einem Konzept gleichgeordneten Zusammenwirkens gegenüber. In diesem System wählt der Patient frei einen Arzt seines Vertrau-ens, ohne dass der Krankenkasse dabei ein Mitspracherecht zusteht. Der Arzt wird daher in erster Linie im Interesse des Patienten und nicht als „Beauf-tragter“ der Krankenkasse tätig. Die bis dahin von mehreren Instanzgerichten sowie dem 3. und 5. Strafsenat des BGH herangezogene Schlüsselstellung bei der Verordnung von Medikamenten und Hilfsmitteln rechtfertigen nach Ansicht des Großen Strafsenats keine andere Beurteilung.

Auch wenn dem Vertragsarzt im Bereich der Arzneimittelversorgung hinsichtlich Art und Menge der von ihm verordneten Medikamente ein erheblicher Einfluss zukommt, wird dieser nicht als Vertreter der Krankenkassen über den Kauf jedes einzelnen Medikamentes tätig. Denn auch in diesem Bereich fehlt es aufgrund der Vorgaben und Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses sowie des Regelfalles der Aut-idem-Substitution an einer abschließenden und alleinverantwortlichen Entscheidung des Vertragsarztes.

Fazit

Vertragsärzte machen sich bei der Annahme von Geschenken oder sonstigen Zuwendungen auf Basis der aktuellen Rechtslage also nicht strafbar. Damit ist ein korruptives Verhalten jedoch nicht erlaubt. Vielmehr ist berufsrechtlich nach wie vor eine Zuweisung von Patienten oder die Verord-nung bestimmter Arznei-, Heil- oder Hilfsmittel gegen Entgelt verboten, § 31 der Musterberufsordnung für Ärzte (MBO-Ä). Weiter enthält §32 MBO-Ä das Verbot, Geschenke oder andere Vorteile zu fordern oder anzunehmen, wenn hierdurch der Eindruck erweckt wird, dass die Unabhängigkeit der ärztlichen Entscheidung beeinflusst wird. Diese Verbote sind ein Ausfluss der aus §30 MBO-Ä resultierenden Verpflichtung, nach der Ärzte in allen vertraglichen und sonstigen beruflichen Beziehungen zu Dritten ihre ärztliche Unabhängigkeit für die Behandlung der Patienten zu wahren haben. Vertragsarztrechtlich findet sich daneben in §128 SGB V ein Pendant, wonach entsprechende Formen der Zusam-menarbeit zwischen Vertragsärzten und Leistungserbringern auch nach dem SGB V untersagt sind. Der BGH hatte jedoch einzig über eine Strafbarkeit nach dem StGB zu entscheiden. In diesem Bereich hat der Große Senat abschließend betont, dass eine Bekämpfung korruptiven Verhaltens im Gesundheitswesen auch mit den Mitteln des Strafrechts ein berechtigtes Anliegen sei, es als solches aber einer gesetzlichen Regelung bedürfe. Die Diskussion wird in diesem Bereich angesichts dieses klaren Auftrages an den Gesetzgeber also politisch weitergehen.

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