Recht 07.06.2011

Lachgas & Co. bei Minderjährigen



Lachgas & Co. bei Minderjährigen

Foto: © Shutterstock.com

Die Behandlung Minderjähriger ist für den Zahnarzt Alltag und führt meistens nicht zu Problemen, da regelmäßig mindestens ein Elternteil anwesend ist. Allerdings erscheinen Jugendliche ab einem gewissen Alter auch ohne ihre gesetzlichen Vertreter in der Praxis. Dabei kommt es häufig zu Konstellationen, in denen fraglich erscheint, ob der minderjährige Patient nun selbst einwilligen kann; insbesondere Situationen, bei denen es sich nicht um medizinisch indizierte Eingriffe handelt, sondern der Jugendliche beispielsweise das Anbringen eines kleinen Schmucksteins auf seinem Zahn wünscht oder es sich um einen äußerst ängstlichen und schmerzempfindlichen jungen Patienten handelt, bei welchem der Zahnarzt gerne Lachgas als zusätzliches Betäubungsmittel einsetzen würde.


Die Konfliktsituation in solchen Fällen entsteht zweifelsohne erst, wenn die gesetzlichen Vertreter von der Behandlung erfahren und dieser im Nachhinein widersprechen. Ob es in dem betreffenden Fall auf die Einwilligung der Vertreter ankommt, bedarf dann einer rechtlichen Prüfung. Diese Bewertung ist in vielen Fällen nicht sofort offenkundig und führt meistens zu Schwierigkeiten, sodass die folgenden Ausführungen die Problematik verdeutlichen und eine Hilfestellung geben sollen.


Was tun? 

Die zahnärztliche Behandlung wird als Körperverletzung im strafrechtlichen Sinn verstanden. Durch die Einwilligung des Patienten wird diese Körperverletzung gerechtfertigt. Mangelt es also an einer solchen Rechtfertigung, macht sich der Zahnarzt strafbar, unabhängig davon, dass die Behandlung möglicherweise medizinisch indiziert war und lege artis durchgeführt wurde. Ob nun ein Minderjähriger selbst eine wirksame Einwilligung abgeben kann, hängt von dessen Einwilligungsfähigkeit ab. Denn grundsätzlich ist deren Bestehen nicht schon dadurch ausgeschlossen, dass der Patient seine Volljährigkeit noch nicht erreicht hat.

Bei der Einwilligung in eine Behandlung handelt es sich nicht um eine solche nach §§ 182 f. BGB. Vielmehr wird sie nach strafrechtlichen Grundsätzen beurteilt, da es um eine Zustimmung zum Eingriff in die körperliche Integrität geht und keine rechtsgeschäftliche Willenserklärung wie bei dem Abschluss des Behandlungsvertrages. Minderjährige unter 14 Jahren, als Grenze der strafrechtlichen Schuldfähigkeit des Kindes nach § 19 StGB, werden regelmäßig noch nicht einwilligungsfähig sein.1 Aufklärungsadressat und Einwilligungsbefugter ist in diesem Fall der gesetzliche Vertreter. Inwiefern Minderjährige zwischen 14 und 18 Jahren einwilligungsfähig sind, hängt von den Umständen im Einzelfall ab, wie schon die BGH-Richter in ihrer Entscheidung vom 05.12.19582 festgestellt haben. Demnach liegt Einwilligungsfähigkeit vor, wenn „der Minderjährige nach seiner geistigen und sittlichen Reife die Bedeutung und die Tragweite des Eingriffs und seiner Gestattung zu ermessen vermag“. Darüber hinaus ist auch die Art der Behandlung von erheblicher Bedeutung. Je schwerwiegender der Eingriff und je unübersehbarer die Risiken und Folgen des Eingriffs sind, desto eher wird eine Einwilligungsfähigkeit zu verneinen sein.3

Dies zu prüfen, ist Sache des Zahnarztes. Dabei hat er neben den oben benannten Kriterien auch die psychische und physische Konstitution, den Grad der Verständnisfähigkeit, Herkunft, kulturelle Tradition usw. zu berücksichtigen und alles in eine sorgfältige Abwägung zu setzen. Die Formulierung der BGH-Richter ist sehr vage. Seither haben sich auch keine klaren Fallgruppen herausgebildet, an denen sich Zahnärzte orientieren könnten. Es wurden zwar Kriterienkataloge in der Literatur erstellt,4 diese jedoch in der Praxis nicht umgesetzt. Gesetzliche Regelungen zur Bestimmung der Einwilligungsfähigkeit gibt es bisher nicht. Entscheidend ist daher die Prüfung, ob der Minderjährige schon eine „eigene Werteordnung“ ausgebildet hat, sodass er Nutzen und Risiken der Behandlung eigenständig beurteilen kann.5 Das diese vom Zahnarzt vorzunehmende Beurteilung nicht immer eindeutig ausfällt, liegt dabei auf der Hand! Um seine Entscheidung auf einen rechtlich sicheren Boden zu gründen, bleibt ihm lediglich die Einholung der Einwilligung der gesetzlichen Vertreter. Andernfalls sollte der behandelnde Zahnarzt besonders ausführlich und sorgfältig die Aufklärung sowie die Umstände, die auf ein Vorliegen der Einwilligungsfähigkeit hindeuten, dokumentieren.


Ist der Wille des Minderjährigen beachtlich? 

Problematisch ist auch der Fall, bei dem die gesetzlichen Vertreter ihre Einwilligung erteilen, der Minderjährige die Behandlung bzw. den Eingriff verweigert. Der Zahnarzt darf in solchen Fällen nicht außer Acht lassen, dass der Wille des minderjährigen Patienten niemals unbeachtlich ist. Dies ergibt sich aus dem sogenannten Allgemeinen Persönlichkeitsrecht, was aus Artikel 2 Abatz 1 i.V.m. Artikel 1 Absatz 1 GG hergeleitet wird. Aus diesem ergibt sich auch das Selbstbestimmungsrecht eines jeden Patienten.

So erklärten die BGH-Richter in ihrem Urteil vom 10.10.20066, dass dem Minderjährigen ein Vetorecht gegen die Einwilligung seiner gesetzlichen Vertreter zustehe, sofern ein nur relativ indizierter Eingriff möglicherweise erhebliche Folgen für die künftige Lebensgestaltung haben könnte. Außerdem sei auch über ein gegenüber dem Hauptrisiko weniger schweres Risiko aufzuklären, wenn dieses dem Eingriff spezifisch anhafte und die Lebensführung des Patienten schwer belasten könnte. Dabei haben die Richter aber darauf hingewiesen, dass der Arzt im Allgemeinen davon ausgehen kann, dass die Aufklärung und Einwilligung der gesetzlichen Vertreter genügt und somit deutlich gemacht, dass es wieder von den Umständen des Einzelfalls abhängt und der Arzt das Vorliegen dieser ungeschriebenen Voraussetzung prüfen muss. Ein Alleinentscheidungsrecht des Minderjährigen wird bislang noch abgelehnt. Der Zahnarzt sollte bei der Behandlung minderjähriger Patienten, insbesondere bei nicht unbeachtlichen Risiken, die gesetzlichen Vertreter immer mit einbinden. Grundsätzlich sollten nicht nur diese aufgeklärt werden, sondern auch der minderjährige Patient selbst, da diesem möglicherweise ein Vetorecht zustehen könnte und der Behandlung somit nicht in einem späteren Konflikt die Rechtfertigung mangels ordnungsgemäßer Aufklärung fehlt.


Notfälle 

Sofern eine gewisse Dringlichkeit besteht, es sich um einen Notfall handelt, und der Arzt unsicher ist, ob der Minderjährige einwilligungsfähig ist oder religiöse Ansichten einen Eingriff verbieten, kann die Behandlung bzw. der Eingriff auch nach den Grundsätzen der mutmaßlichen Einwilligung gerechtfertigt sein. Diese stellt gegenüber der Einwilligung einen eigenständigen Rechtfertigungsgrund dar und liegt wie, wenn die Würdigung aller Umstände ergibt, dass der Patient seine Einwilligung (im Fall der minderjährigen Patienten, deren gesetzlicher Vertreter) gegeben hätte.


Fazit

Die Rechtslage in Bezug auf die Einwilligung minderjähriger Patienten gibt wenig Orientierung für den Zahnarzt, da es keine gesetzlichen Regelungen zur Bestimmung der Einsichtsfähigkeit sowie kaum klare Fallbeispiele gibt. Die Beurteilung hängt somit allein von der Bewertung des behandelnden Zahnarztes ab, die dieser auf die Umstände jedes Einzelfalls zu stützen hat. Dass dies nicht unbedingt leicht fällt, liegt auf der Hand. Daher empfehlen wir die Einbindung der gesetzlichen Vertreter und eine umfassende und ausführliche Aufklärung beider Seiten, sowie deren sorgfältige Dokumentation.

Mehr News aus Recht

ePaper