Recht 05.05.2010

Medizinische Innovationen: Der rechtliche Rahmen

Medizinische Innovationen: Der rechtliche Rahmen

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Die Wechselwirkung zwischen Therapiewahl und Aufklärungspflicht

Auf kaum einem zweiten Wissenschaftsgebiet ist der sich zudem zunehmend beschleunigende Fortschritt aufgrund stetig neuer Forschungsergebnisse so sichtbar wie in der Medizin. Der behandelnde Zahnarzt muss sich (und in der Regel auch dem Patienten) bei der Therapiewahl die Frage beantworten, welche Behandlungsmethode angewendet werden soll, wobei vermehrt auch sogenannte „Neulandmethoden“ in Betracht kommen. Bei der Therapiewahl kann sich die Fragestellung zudem sowohl auf das „handwerkliche“ Vorgehen als auch den „Materialeinsatz“ beziehen. Welche Methoden dürfen noch, welche schon und wenn ja, unter welchen Voraussetzungen, angewendet werden?

Die Frage nach der im juristischen Sinn „richtigen“ Behandlungsmethode kann sich in verschiedenem Gewand stellen. Je nach Fallgestaltung kann es nur eine oder aber auch mehrere richtige Antworten geben. Die Antwort wird zudem durch die jeweils bestehenden Aufklärungsverpflichtungen überlagert. Bei der Therapiewahl ist dem Arzt zunächst ein durchaus weites und nur auf bestimmte Weise gerichtlich überprüfbares Ermessen eingeräumt. Gegenstand des (zahn-)ärztlichen Behandlungsvertrages ist eine dem Facharztstandard entsprechende Behandlung, das heißt die Therapie muss zum Behandlungszeitpunkt dem anerkannten Stand der naturwissenschaftlichen Erkenntnisse und den Erfahrungen fachärztlicher Erfahrungen entsprechen.2 Das können – müssen aber nicht zwingend – mehrere Methoden sein. Sind diese Methoden bei gleicher Belastung und gleichen Risiken für den Patienten auch alle gleich geeignet, besteht also keine „echte Behandlungsalter native“, muss über die verschiedenen Möglichkeiten auch nicht aufgeklärt werden. Bei der Auswahl kann dann für den Behandler auch ausschlaggebend sein, dass er in einer bestimmten Methode besondere Erfahrung besitzt.3

Hinweis auf Alternativen

Unter Berücksichtigung der tatsächlichen Gegebenheiten ist es jedoch auch möglich, dass bei dem betreffenden Patienten überhaupt nur eine Handlungsoption besteht. Dann entfällt der ansonsten erforderliche Hinweis auf Alternativen zwar, trotzdem muss aber natürlich über die Risiken aufgeklärt werden, da der Patient nicht nur – sofern „echte Behandlungsalternativen“ bestehen – hinsichtlich des „wie“, sondern vor allen Dingen natürlich hinsichtlich der vorgelagerten Frage des „ob“ einer Heilbehandlung zuzustimmen hat.

Bestehen aber bei den zur Verfügung stehenden Therapievarianten unterschiedliche Risiken, Belastungen und Chancen und handelt es sich bei diesen Methoden vor allem auch um gleich anerkannte Standardverfahren („echte Behandlungsalternativen“), ist der Patient diesbezüglich aufzuklären und muss dem Patienten letztlich auch die Wahl der Methode bleiben.4 Der Therapiefreiheit des Arztes steht nämlich das Selbstbestimmungsrecht des Patienten gegenüber.

Dieser muss in jeden Eingriff in seine körperliche Integrität einwilligen. Das kann er nur, wenn er Art, Bedeutung, Ablauf und mögliche Folgen einer Behandlung abschätzen kann. Deshalb ist er vor der Behandlung u.a. auch über echte Behandlungsalternativen und deren Risiken aufzuklären.5 Alte vs. neue Therapien Neben einer altbewährten Methode mag auch eine vergleichsweise junge Therapieform in Betracht kommen. Hierbei ist eine Abgrenzung in zwei Richtungen vorzunehmen:

1. Wann darf eine ältere Methode noch verwendet werden?
2. Wann darf eine neuere Methode schon verwendet werden?

Hierbei gilt: Bei der Anwendung einer her gebrachten, bewährten Methode muss der Patient nicht auf neue diagnostische oder therapeutische Verfahren hingewiesen werden, die erst in wenigen Spezialkliniken erprobt werden.6 Der Behandler ist nicht gehalten, das jeweils neueste Therapiekonzept zu wählen, zumal eine gewisse Bewährung in der fachärztlichen Praxis ausdrücklich zu fordern ist.7 Eine Behandlungsmethode ist jedoch dann veraltet und darf dann nicht mehr angewendet werden, wenn sie durch gesicherte medizinische Erkenntnisse überholt ist, andere Methoden in der medizinischen Wissenschaft im Wesentlichen unumstritten sind (und zudem nicht nur an wenigen Spezialkliniken praktiziert werden), weil sie risiko- oder belastungsärmer sind.8 Hieran zeigt sich die dem  Facharztstandard immanente Dynamik. Dieser Prozess wird nicht allein durch den Stand des wissenschaftlichen   Diskurses, sondern vor allem auch durch die klinische Erprobung beeinflusst.9 In diesem Kontext ist z.B. auch die für den Zahnarzt nicht ohne Grund sowohl aufgrund des Vertragszahnarzt-10 als auch des Berufsrechts11 bestehende Weiterbildungspflicht zu sehen.

Im konkreten Behandlungsfall mag es sich nach Ansicht des Behandlers auch anbieten, einer neueren Behandlungsmethode den Vorzug zu geben. Je jünger die betreffende Behandlungsmethode, desto mehr rückt die Frage in den Fokus, ob es sich bereits um eine Standardmethode handelt. Ist dies noch nicht der Fall, so ist der Patient – vorbehaltlich seiner expliziten Nachfrage oder dem positiven Wissen des Arztes, dass bei Behandlung in einer Spezialklinik deutlich bessere Heilungschancen oder geringere Risiken bestehen12 – zwar einerseits auf die Existenz der Methode unter dem Gesichtspunkt einer „echten Alternative“ an sich zwar nicht hin zuweisen13. Soll sie aber nach Ansicht des Behandlers gleichwohl in Betracht gezogen werden, so erhöhen sich die Anforderungen an die Aufklärung in Bezug auf Chancen, Ablauf, Risiken und Gründe für das etwaige Abweichen.

„Neulandmethode“


Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in seiner „Robodoc“-Entscheidung14 interessanterweise ein unter dem Schlag wort „Neulandmethode“15 zusammengefasstes Therapiekonzept weniger intensiv unter dem Aspekt eines möglichen Behandlungsfehlers als vielmehr unter dem Blickwinkel der ordnungsgemäßen Aufklärung diskutiert. Ein etwa durch die Wahl einer falschen Methode begründeter Behandlungsfehler wurde in concreto abgelehnt, die Anforderungen an den Aufklärungs inhalt bei „Neulandmethoden“ jedoch besonders hervorgehoben.

Der BGH führt zum Aspekt „Behandlungsfehler“ aus, dass eine neue Behandlungsmethode nur dann an gewendet werden darf, wenn die ver antwortliche medizinische Abwägung zwischen den zu erwartenden Vorteilen dieser Methode und ihrer abzusehenden und zu vermutenden Nachteile im Vergleich zu den jeweiligen Vor- und Nachteilen der Standardmethode stattgefunden hat und das Patientenwohl den Einsatz der neuen Methode rechtfertigt.16 Diese Wertung hat der BGH in Entscheidungen aufgegriffen und hieran anknüpfend dahingehend fortentwickelt, dass der genannte Abwägungsprozess kein einmaliger Vorgang bei Beginn der Behandlung ist, sondern jeweils erneut vorgenommen werden muss, sobald neue Erkenntnisse über mögliche Risiken und Nebenwirkungen vorliegen, über die sich der behandelnde Arzt auch ständig zu informieren hat.17 Bei Anwendung einer Außenseitermethode ist zudem grundsätzlich der Sorgfaltsmaßstab eines vorsichtigen Arztes entscheidend.18 Aus der vor genannten Beobachtungspflicht kann auch eine Pflicht zum sofortigen Abbruch der Behandlung resultieren.19

Der BGH betont in der „Robodoc“-Entscheidung vor allem aber die ganz besondere Bedeutung der Einwilligung des Patienten nach entsprechend ausführlicher Aufklärung nicht nur über bekannte Risiken der Neulandmethode, sondern auch über den Umstand, dass unbekannte Risiken bestehen. Der BGH hat dies in der „Robodoc“- Entscheidung zunächst wie folgt formuliert: „Die Anwendung neuer Verfahren ist für den medizinischen Fortschritt zwar unerlässlich, am Patienten dürfen sie aber nur dann angewandt werden, wenn diesem zuvor unmissverständlich verdeutlicht wurde, dass die neue Methode die Möglichkeit unbekannter Risiken birgt. Der Patient muss in die Lage versetzt werden, für sich sorgfältig abzuwägen, ob er sich nach der herkömmlichen Methode mit bekannten Risiken operieren lassen möchte oder nach der neuen Methode unter besonderer Berücksichtigung der in Aussicht gestellten Vorteile und der noch nicht in jeder Hinsicht bekannten Gefahren.“20 Weiter führt der BGH aber auch aus, dass zwar nicht über bloße Vermutungen aufzuklären sei, etwas anderes aber gelten könne, wenn „diese sich so weit verdichtet haben, dass sie zum Schutz des Patienten in dessen Entscheidungsfindung einbezogen werden sollten.“21 Diese Abgrenzung kann den Behandler in eine gewisse Konfliktlage bringen.22 Einerseits ist der Eintritt bislang unbekannter Komplikationen in der Medizin nie ganz auszuschließen; andererseits soll er (nun) aber über bestehende Risiken bereits auf der Grundlage von „verdichteten Vermutungen“ aufklären. Im Zweifel wird dem Arzt jedenfalls bei „Neulandmethoden“ zu raten sein, eher zu viel als zu wenig aufzuklären.

Fazit: Standard- und Neulandverfahren

Zusammenfassend und etwas vereinfachend ausgedrückt gilt: Das Vorgehen nach noch nicht zu Standardverfahren zählenden Methoden bis hin zur Anwendung reiner Neuland- oder sogar Außenseitermethoden wird bei gewissenhafter medizinischer Abwägung eher zurückhaltend als falsches Vorgehen gewertet, sofern bei dem Patienten nur die genaue Kenntnis über den Umstand, dass es sich um eine Neulandmethode mit noch nicht abschätzbaren Risiken handelt, vorhanden ist. Das bedeutet, dass bei Standard verfahren nur über bekannte Risiken aufgeklärt werden muss, bei Neulandmethoden aber auch gerade darauf hingewiesen werden muss, dass für eine erschöpfende Risikoeinschätzung aufgrund der Neuheit des Verfahrens noch keine abschließenden Erkenntnisse vorliegen und außerdem – soweit genügend Anhaltspunkte existieren – eine Schilderung von nur vermuteten Risiken erfolgen muss. Die „Robodoc“-Entscheidung des BGH veranschaulicht die Wechselwirkung zwischen Therapiewahl und Aufklärungspflicht. Letztere reicht umso weiter, je stärker der Arzt von eingeführten oder fachlich anerkannten Heilverfahren   abweichen oder in Neuland vorstoßen will; eine neue Behandlungsmethode darf am Patienten nur angewandt werden, wenn diesem zuvor unmiss verständlich verdeutlicht wurde, dass sie die Möglichkeit unbekannter Risiken birgt.23

Diese erhöhten Aufklärungsanforderungen können dann nicht mehr gestellt werden, wenn die Methode nicht mehr als „Neulandmethode“ anzusehen ist, wenn sie sich also – gegebenenfalls auch neben anderen Methoden – durchgesetzt hat.24 Welche Zeiträume hierfür anzusetzen sind, entzieht sich jedoch einer schematischen Lösung. So hat beispielsweise das OLG Dresden kürzlich zur vom BGH im Jahr 2006 entschiedenen Frage zum „Neuland- Charakter“ der „Robodoc“-Methode (die Behandlung erfolgte im vom BGH entschiedenen Sachverhalt im Jahr 1995) entschieden, dass eben diese Methode auch im Jahr 2000 noch eine „Neulandmethode“ gewesen sei.25

Dokumentation der Aufklärung

Aus Sicht des Anwalts auf Behandlerseite kann nicht deutlich genug darauf hingewiesen werden, dass die ordnungsgemäße Aufklärung – sowohl bezogen auf das „ob“ der Behandlung als auch auf das vorstehend unter dem Aspekt der variierenden Aufklärungsdichte erörterte „wie“ der Behandlung – der (Zahn-)Arzt zu beweisen hat. Zur Nach weisführung empfiehlt sich die schriftliche Form, allerdings genügt allein die unreflektierte Weitergabe von Informationsbroschüren an den Patienten nicht dem Leitbild der Aufklärung im vertrauensvollen Arzt-Patienten-Gespräch.26

Sicherzustellen ist daher, dass der Patient nicht nur passiv Informationen entgegennimmt, sondern die Möglichkeit des aktiven Austausches und der Nachfrage besteht. Gerade bei „Neulandmethoden“ besteht erhöhter Aufklärungsbedarf, dem schon zur eigenen Absicherung auch durch erhöhten Dokumentationsaufwand Rechnung getragen werden sollte.

Voll beherrschbare Risiken

Schadenstiftend kann nicht nur die jeweils gewählte Behandlungsmethode sein. Ein Schaden kann auch auf verwendete Materialien oder die bei der Behandlung verwendete apparative Ausstattung zurückzuführen sein. Hierbei handelt es sich um sogenannte voll beherrschbare Risiken – einer prozessual bedeutsamen Feststellung. Während Behandlungsfehler nämlich grundsätzlich von der Patientenseite zu beweisen sind, muss sich die Behandlerseite entlasten, soweit Fehlerquellen in der von ihr voll beherrschbaren Sphäre im Streit stehen (so z.B. Zustand technischer Geräte, Einhaltung von Hygienestandards). Am Rande sei zudem auf die praktische Relevanz der Einhaltung von Instandhaltungs- und Aufbereitungspflichten von medizinischen Geräten im Kontext der medizinprodukterechtlichen Vorgaben hingewiesen. Die diesbezügliche Compliance ist sowohl haftungsrechtlich von Bedeutung als auch im Rahmen von gesundheitsbehördlichen Überprüfungen der Einhaltung von Hygiene- und Infektionsschutzstandards wichtig.

Die Gewährleistung entsprechender technischer und sonstiger verfahrensbezogener Standards ist ein stetiger Prozess, der z. B. auch im Rahmen der Implementierung eines praxisinternen Qualitätsmanagements überwacht und fortlaufend optimiert werden kann (und muss). Da im Bereich der vertragszahnärztlichen Versorgung seit dem 1. Juli 2008 ohnehin eine Pflicht zur Einführung und Weiterentwicklung eines Qualitätsmanagements besteht,27 können hier vertragszahnarztrechtliche Verpflichtungen und zivilrechtliche Obliegenheiten kombiniert werden und sich ergänzen. Die Existenz eines praxisinternen Qualitätsmanagement schafft damit generell für den Haftungsfall eine Verbesserung der Verteidigungsposition und im Prozessfall eine ­Erleichterung bei der Darlegungslast.

Es handelt sich um eine erweiterte und aktualisierte Fassung des bereits in ZWP 4/2009 erschienenen Beitrages „Therapiefreiheit: zwischen Fehler und Aufklärung.

Eine ausführliche Literaturliste steht hier zum Download bereit.

Autor: Norman Langhoff, LL.M., Fachanwalt für Medizinrecht.


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