Recht 08.12.2021
Rückschau und Ausblick: Investoren im Dentalmarkt
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Am 23.7.2015 war es so weit: Der Gesetzgeber ermöglichte die Gründung Zahnmedizinischer Versorgungszentren (Z-MVZ). Seitdem ist eine ganze Menge passiert. Eine Vielzahl unterschiedlicher Investorengruppen aus dem In- und Ausland haben kurz danach begonnen, den deutschen Dentalmarkt zu sondieren und, teilweise in ganz großem Stil, Zahnarztpraxen aufzukaufen. So richtig Fahrt nahm die Entwicklung Mitte 2017 auf, sodass man mit Fug und Recht sagen kann, dass die Investoren im Dentalmarkt jetzt grob seit etwa vier Jahren (omni)präsent sind. Und so schnell werden sie auch sicherlich nicht wieder verschwinden. Grund genug, diese Entwicklung, die viele kritisch beäugen, von der aber auch viele Zahnärztinnen und Zahnärzte profitieren, einmal genauer unter die Lupe zu nehmen.
Eine überfällige Entscheidung
Die Zeit war reif. Bereits vor der weitreichenden Gesetzesänderung im Sommer 2015 sprachen gute Gründe dafür, den dentalen Markt für die Entwicklung von MVZ zu öffnen und an dieser Stelle zu deregulieren. Zum einen ist hier die immer stärkere Entwicklung hin zu einem überalterten Abgebermarkt zu nennen, wodurch eine Vielzahl von Praxisinhaberinnen und Praxisinhabern keine Nachfolger für ihr Lebenswerk finden. Studien haben ferner belegt, dass die immer stärker voranschreitende Feminisierung der Zahnmedizin – der überwiegende Anteil der Absolventinnen und Absolventen des Studiengangs sind weiblich – ebenfalls dazu beiträgt, dass sich immer weniger junge Zahnmedizinerinnen und Zahnmediziner in eigener Praxis niederlassen wollen. Und als dritter Hauptgrund sind nicht zuletzt die schwach versorgten ländlichen Strukturen zu nennen, die eine Flexibilisierung der Versorgungsstrukturen durch Zentrenbildung nahelegten.
Die eigentliche Zulassung Medizinischer Versorgungszentren für den Dentalmarkt erfolgte letztlich nur durch die Streichung eines einzigen Worts im Sozialgesetzbuch V (SGB V): Das Wörtchen „fachübergreifende“ strich der Gesetzgeber, wodurch die frühere Regelung, nach der MVZ immer mehrere Ärzte unterschiedlicher Fachrichtungen aufweisen mussten, wegfiel. Da alle Zahnmediziner rechtlich einer einzigen Fachrichtung zuzuordnen sind, war der Weg für die MVZ-Gründung frei.
Marktsondierung und Leuchttürme
Etwa zwei Jahre hat es gedauert, bis nach der Schaffung der Möglichkeit durch den Gesetzgeber im Jahr 2015 letztlich die ersten Investorengruppen in größerem Stil in Deutschland Tritt fassten. Sie begannen nicht nur mit der Sondierung des Marktes, sondern schnell auch mit dem Ankauf erster Praxen. Die Professionelleren der Investorengruppen haben von Anfang an im Hinblick auf ihr Management auf Köpfe gesetzt, die bereits hier vor Ort in Deutschland mit den Strukturen im Dentalmarkt sehr vertraut waren. Dies wirkt sich bis heute aus.
Zunächst mussten die Investoren ein Plankrankenhaus erwerben, um überhaupt als Gruppe ohne eigene Zahnarzteigenschaft gründungsberechtigt für Z-MVZ zu sein. War diese Hürde genommen, ging es an die Akquise. Dabei setzten viele Investorengruppen zunächst auf die „Leuchttürme“ oder „Filetstücke“ der Praxen: Großpraxen, häufig mit implantologischem Schwerpunkt, vielen Behandlern, deutschlandweiter Reputation und hohen Gewinnen. Diese Praxen waren die ersten Ziele, die – häufig mit guten Gründen, die oben bereits angerissen wurden, aber auch aufgrund individueller Begebenheiten – von den Investoren aufgekauft wurden. In aller Regel arbeiten die damaligen Praxisabgeber heute noch selbst in den verkauften Großpraxen mit oder aber sind sogar als Berater für die Käufergruppe erfolgreich tätig.
Gegenwind? Das TSVG und die Folgen
Überall dort, wo sich in einem Markt oder Marktsegment disruptive Kräfte ihren Weg bahnen, entwickeln sich zugleich Beharrungskräfte, die die überkommenden Strukturen bewahren wollen. So auch im Dentalmarkt: Naturgemäß wurden die Investoren von Beginn an vonseiten vieler Akteure, darunter auch den Bundesvertretungen der Zahnärztekammern und Kassenzahnärztlichen Vereinigungen, äußerst kritisch beäugt. Teile dieser Kritik zielten insbesondere auf die Sorgen ab, die Investorengruppen könnten mit viel Geld den Dentalmarkt fluten, riesige Zahlen an Praxen aufkaufen und so zulasten der Qualität eine Art industrielle Patientenabfertigung etablieren. Der Gesetzgeber nahm im sog. Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) die Sorgen der Kritiker teilweise auf. Von großen gesundheitspolitischen Diskussionen begleitet, trat das TSVG schließlich mit Geltung ab dem 11. Mai 2019 in Kraft. Dadurch wurde ein neuer Absatz in den hier maßgeblichen § 95 SGB V eingefügt, der eine Kompromisslösung darstellt: Investorengruppen, die über den Besitz eines Krankenhauses ihre MVZ-Gruppe aufbauen, können nur soweit weitere Z-MVZ gründen, wie der Versorgungsanteil der vom Krankenhaus insgesamt gegründeten Z-MVZ an der vertragszahnärztlichen Sollversorgung in dem jeweiligen Planungsbereich zehn Prozent nicht überschreitet. Vereinfacht bedeutet dies:
Investorengruppen dürfen pro Planungsbereich maximal zehn Prozent der dortigen Soll-Vertragszahnärzte in ihren MVZ anstellen. Hier gibt es Sonderregelungen für die unterschiedliche Struktur der jeweiligen Planungsbereiche, je nachdem, ob der dortige Versorgungsgrad um 50 Prozent unterschritten oder um mehr als zehn Prozent überschritten wurde. Diese in der praktischen Rechtsanwendung recht sperrige neue Klausel entpuppte sich in der Folge als Minimallösung. Die Kritiker konnten sich nicht durchsetzen.
Denn bei Lichte betrachtet, verbleibt den MVZ-Gruppen so immer noch ein Potenzial von zehn Prozent aller Vertragszahnärzte vor Ort pro Krankenhaus, mit jeweiligen lokalen Unterschieden, also grob zehn Prozent der gesamten vertragszahnärztlichen Versorgung im Bundesgebiet. Dieses Potenzial ist also immer noch so groß und letztlich durch den Ankauf eines weiteren Krankenhauses nochmals zu erweitern, dass das TSVG keinen Investor tatsächlich abgeschreckt hat.
… und dann kam Corona
2020 war ein historisches Jahr, das ganze Märkte unerbittlich umwälzte. Die Pandemie hat uns alle vor Herausforderungen gestellt, was insbesondere für Unternehmerinnen und Unternehmer galt und auch nach wie vor gilt. Auch viele Zahnarztpraxen litten selbstverständlich unter dieser Situation.
Glücklicherweise ist aber festzustellen, dass die Schockstarre, in die das Gesundheitswesen im Allgemeinen und auch der Dentalmarkt im Speziellen in den Monaten März und April 2020 fiel, schnell überwunden werden konnte. In wirklich existenzielle Probleme gerieten durch die Coronapandemie letztlich nur solche Praxen, die schon vorher strukturelle Probleme aufwiesen und die Herausforderung Corona nicht meistern konnten. Sehr viele Praxen haben die Pandemie überraschend gut durchgestanden und keine allzu erheblichen Umsatzeinbußen verzeichnet. So kam es auch, dass zwar zwischenzeitlich verschiedene Investorengruppen ihr Ankaufverhalten im Jahr 2020 stoppen mussten und dass die Preise, die für Praxen bezahlt wurden, zwischendurch stark sanken. Dennoch lässt sich auch hier feststellen, ähnlich wie beim TSVG, dass auch Corona der weiteren konsequenten Verfolgung der „Buy-and-Build-Strategie“ nicht schaden konnte.
Status quo und Ausblick
Die großen Investorengruppen, seien dies zahneins, Acura, Colosseum Dental, GPNZ, Dental21, KonfiDents und andere, sind nach wie vor überwiegend mit Hochdruck im Dentalmarkt unterwegs und kaufen Praxen an. Über die Jahre haben sich die Abläufe längst professionalisiert und übliche Routinen eingespielt. Die Probleme und Gründe für die Öffnung des Dentalmarkts hin zur Kettenbildung existieren dennoch weiter: Noch immer haben es viele Praxisinhaberinnen und Praxisinhaber schwer, einen geeigneten Nachfolger zu finden. Der Markt ist noch lange nicht saturiert.
Wenngleich nach der Goldgräberstimmung der Jahre 2017 und 2018 nunmehr nicht mehr die ganz horrenden Preise für den Praxisverkauf gezahlt werden, so können Praxisabgeber aber durch den Verkauf an eine Investorengruppe auch heute noch einen weitaus höheren Kaufpreis erzielen, als dies bei einem schlichten Verkauf an eine zahnärztliche Kollegin oder einen zahnärztlichen Kollegen der Fall ist. Die Frage ist, wie lange dies noch so bleiben wird. Wer also mit dem Gedanken spielt, seine Praxis zu verkaufen, der sollte sich bereits jetzt qualifizierten Rat einholen.
Spannend wird zu beobachten sein, wie sich der Markt verändert, wenn die Ketten beginnen, sich untereinander aufzukaufen. Auch auf der Metaebene der MVZ-Gruppen untereinander wird eine Konsolidierung stattfinden, jeweils durch Ankäufe von ganzen Gruppen oder Teilmengen der MVZ-Ketten durch andere Investoren. Eine solche Entwicklung ist im humanmedizinischen Bereich seit vielen Jahren zu beobachten.
Und was ist mit den Patienten? Belastbare Erkenntnisse darüber, dass die Qualität der Versorgung durch das Auftreten der Investoren abgesenkt worden sei, gibt es nicht. Die Kritiker sind auch recht leise geworden: Letztlich haben sich deren Sorgen bislang nicht bewahrheitet. Und auch in Zukunft wird es wohl nicht so weit kommen.
Der Beitrag ist in der ZWP Zahnarzt Wirtschaft Praxis erschienen.