Recht 24.02.2011
Sorgfaltspflichten bei endodontischen Behandlungen
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Sorgfalt umschreibt die
Achtsamkeit und Genauigkeit, mit welcher der Zahnarzt gegenüber seinem
Patienten zu handeln hat. In der Regel wendet sich der Patient als Laie
an den Zahnarzt und erhofft sich eine Verbesserung, in keinem Fall eine
Verschlechterung, seines aktuellen Gesundheitszustandes. Was hat der
Zahnarzt zu beachten, damit er weder zivilrechtlich noch strafrechtlich
wegen Nachlässigkeit in Anspruch genommen wird? Juristisch handelt es
sich hierbei um die Frage, wann der Zahnarzt fahrlässig handelt. Im
Medizinrecht wurde dafür von der Rechtsprechung der Ausdruck
Behandlungsfehler geprägt.
Im gesamten Medizinrecht richtet sich der Sorgfaltsmaßstab nach dem
sogenannten Facharztstandard, d.h. der zum Zeitpunkt der Behandlung
geltende medizinische Standard des betreffenden Fachgebietes. Er
entspricht dem gesicherten Stand der medizinischen Wissenschaft und ist
in der Praxis anerkannt. Er wird präsentiert durch die Leitlinien
ärztlicher Fachgesellschaften und den Richtlinien der Ärzte und
Krankenkassen. Hat ein Gericht zu beurteilen, ob ein Behandlungsfehler
vorliegt, beauftragt es in der Regel einen medizinischen
Sachverständigen, der oft anhand der geltenden Leitlinien feststellt, ob
der geschuldete medizinische Standard im konkreten Fall objektiv
unterschritten wurde.
Was ein Behandlungsfehler ist, orientiert sich nicht nach den
subjektiven Fertigkeiten des Zahnarztes, sondern wird objektiv bestimmt.
Dabei werden situationsbedingte und berufstypische Differenzierungen
beachtet. So gehen die Anforderungen an einem auf dem Land
praktizierenden Zahnarzt weniger weit als bei einem in der Klinik
tätigen Spezialisten. Der Zahnarzt schuldet die Behandlung, die am
geeignetsten ist und am sichersten zum therapeutischen Erfolg führt.
Eine Besonderheit bei der zahnärztlichen Behandlung besteht darin, dass
bei einem entsprechenden Befund oftmals ein bestimmtes
Behandlungsergebnis unter Verwendung unterschiedlicher
Behandlungsmöglichkeiten erzielt werden kann. Der Zahnarzt hat den
Patienten in diesem Fall über die verschiedenen Behandlungsalternativen –
auch unter Benennung der Kosten – aufzuklären.
Priorität der Zahnerhaltung
Der Versuch der Erhaltung eines Zahnes hat Priorität vor der Extraktion.
Es soll versucht werden, den Zahn vital zu erhalten. Eine Wurzelfüllung
ist dabei die ultima ratio, um einen Zahn zu erhalten. Manchmal lässt
sich ein Zahn nur mit einer Wurzelbehandlung retten. Ist der Zahn
verfault, entzündet sich das Innere und das Gewebe schwillt an und
drückt auf den Nerv. Die Folgen sind furchtbare Schmerzen. Wird nicht
behandelt, vereitert die Zahnwurzel und die Bakterien schwemmen aus in
den Kieferknochen und in den Blutkreislauf. Eine Wurzelbehandlung kann
all dies verhindern. Der Zahn bleibt, wenn auch nur als leblose Ruine,
erhalten. Der Bakterienangriff wird gestoppt. Hierzu einige Beispiele
aus der Rechtsprechung:
- Grundsätzlich ist dem Versuch der Zahnerhaltung gegenüber einer sofortigen Entfernung des Zahnes der Vorzug einzuräumen (OLG Düsseldorf 10.3.80 – 8 U 45/87).
- Werden im Bereich zuvor geschliffener Zähne wiederholt entzündliche Veränderungen festgestellt, so dürfen diese nicht lediglich mit Medikamenten symptomatisch bekämpft werden; es ist auch eine Wurzelbehandlung dringend indiziert (OLG Düsseldorf 20.2.92 – 8 U 22/91).
- Der Zahnarzt hat vor Überkronung eines Zahnes die gefertigten Röntgenaufnahmen sorgfältig auszuwerten und zunächst eine hiernach gebotene Wurzelbehandlung vorzunehmen. Kann wegen der Ausdehnung der Karies eine langfristige Vitalerhaltung nicht erwartet werden, ist ein Stiftaufbau kontraindiziert (OLG Düsseldorf 13.4.2000 – 8 U 104/99).
- Es ist für den Patienten vorteilhaft, wenn die Vitalität des Zahnes erhalten bleibt (OLG Hamm 26.6.96 – 3 U 171/95).
- Vor einer Extraktion muss dem Patienten die Möglichkeit einer Wurzelfüllung angeboten werden, sofern sie ernsthaft in Erwägung zu ziehen ist (LG Osnabrück 5.11.96 – 10 O 40/94).
Fallbeispiel
Zu welchen Ansprüchen die nicht Beachtung der von der Rechtsprechung
vorgegebenen Sorgfaltspflichten führen kann, soll an einem vom 5.
Zivilsenat des Oberlandesgerichtes Köln (5 U 148/04) entschiedenen Fall
verdeutlicht werden: Das Gericht hat einen Kölner Zahnarzt nach einer
fehlerhaften Behandlung seiner Patientin rechtskräftig zur Zahlung von
insgesamt 7.000 Euro Schadensersatz und Schmerzensgeld verurteilt.
Außerdem wurde festgestellt, dass der Arzt zum Ersatz eventueller
künftiger Schäden im Zusammenhang mit der Behandlung verpflichtet ist.
Die Patientin hatte ihren Zahnarzt im Herbst 2001 wegen Zahnschmerzen
aufgesucht. Dieser führte Wurzelbehandlungen an zwei Zähnen durch und
erneuerte die Keramikfüllungen der Zähne. Da die Patientin weiter
Schmerzen an einem Zahn hatte, wurde eine nochmalige
Wurzelkanalbehandlung vorgenommen, dabei musste das Keramikinlay
entfernt und später neu eingesetzt werden. In der Folgezeit klagte die
Patientin über weiter anhaltende Schmerzen und suchte die Praxis
wiederum mehrfach auf. Der Zahnarzt beurteilte die Schmerzen als
Anpassungs- oder Übergangsschmerzen, die nach einer Füllung mit
Keramikinlay auftreten könnten. Die Patientin suchte einen anderen
Zahnarzt auf, der die zwei entzündeten Zähne später komplett ziehen
musste. Die Patientin wurde mit Implantaten versorgt.
Das Gericht hat nach Einholung eines zahnmedizinischen
Sachverständigengutachtens zwar keinen Fehler bei den Wurzelbehandlungen
und der Versorgung mit Keramikfüllungen feststellen können. Der
beklagte Zahnarzt habe aber nicht hinreichend auf die späteren
Schmerzzustände der Patientin reagiert. Wenn die Schmerzen länger als
vier Tage anhalten, könne nicht mehr von einem Anpassungsschmerz
ausgegangen werden, dann müsse die Ursache vielmehr durch eine neue
Röntgenkontrolle aufgeklärt werden. Da diese Diagnosemaßnahme fehlerhaft
nicht durchgeführt worden war, ging der Senat sogar von einer Umkehr
der Beweislast aus und lastete dem Zahnarzt letztlich an, dass die
Patientin zwei natürliche Zähne verloren hat. Ohne diese
Beweiserleichterung zugunsten der Patientin hätte sie nicht nachweisen
können, dass die Zähne bei fachgerechter und rechtzeitiger Behandlung
erhalten hätten werden können. Danach hat der behandelnde Zahnarzt nicht
nur die Kosten für die zwei Implantate in Höhe von 5.500,00 Euro zu
tragen, sondern wurde auch zur Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe
von 1.500 Euro verurteilt. Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes wurde
berücksichtigt, dass die Patientin zwei eigene Zähne verloren hat, über
einem längeren Zeitraum Schmerzen erleiden musste und auch die
Nachbehandlung mit Beschwerden verbunden war.
Vereinbarter Sorgfaltsmaßstab
Wünscht der Patient aus persönlichen Gründen eine bestimmte Behandlung,
die an sich nicht (mehr) dem Standard entspricht, ist es möglich, dies
besonders – am besten schriftlich – in einem Vertrag zu vereinbaren.
Eine Herabsetzung des Sorgfaltsmaßstabs ist als Einwilligung in eine
bestimmte Behandlungsmaßnahme denkbar und schließt in der Regel eine
Haftung aufgrund eines Behandlungsfehlers aus.
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