Statements 26.06.2015
Early Childhood Caries als ungelöstes Problem
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Trotz einer erheblich verbesserten Mundgesundheit bei Kindern und Jugendlichen in den letzten 20 Jahren, ist (im Unterschied zur Karies der bleibenden Zähne) die Karies an den Milchzähnen nicht zurückgegangen. Sie hat bei den Kindern innerhalb der ersten drei Lebensjahre an Häufigkeit eher noch zugenommen. Die frühkindliche Karies (Early Childhood Caries – ECC) ist nicht nur in Deutschland, sondern auch international eine der häufigsten chronischen Erkrankungen im Kleinkind- und Vorschulalter.
Als ECC wird das Vorliegen einer oder mehrerer kariöser, fehlender und gefüllter Zahnflächen bei Kindern unter sechs Jahren definiert. Weltweit haben sechs bis 90 Prozent aller 1- bis 5-Jährigen eine ECC. Sozial benachteiligte Kinder, Kinder mit Migrationshintergrund sowie Kinder mit Allgemeinerkrankungen und Behinderungen sind besonders häufig betroffen. Risikofaktoren für die ECC-Entstehung sind neben der frequenten Verabreichung zuckerhaltiger Getränke mit der Saugerflasche auch das fehlende Zähneputzen durch die Eltern sowie eine fehlende zahnärztliche Betreuung. Folgen der ECC sind vor allem Zahnschmerzen und eine reduzierte Allgemeingesundheit. Zahnärztliche Notbehandlungen der unbehandelten ECC sind die häufigsten chirurgischen Eingriffe bei Kleinkindern, die aufgrund ihrer fehlenden Kooperation in Narkose durchgeführt werden müssen. Neben späterer Zahnarztangst sind Strukturstörungen an den bleibenden Zähnen, kieferorthopädische Platzprobleme und ein erhöhtes Kariesrisiko die Spätfolgen im Wechsel- und bleibenden Gebiss der Kinder. Wir wissen, dass die Milchzähne nicht nur für die Entwicklung des Kauorgans, sondern auch für eine gesunde psychosoziale und physische Entwicklung des Kindes wichtig sind. Gerade die ersten Lebensjahre bedürfen deshalb unserer besonderen Aufmerksamkeit, wenn wir unser Ziel, dass im Jahr 2020 dann 80 Prozent der 6- bis 7-Jährigen kariesfrei sein sollen, erreichen wollen.
Deutschland verfügt zwar über ein gutes System der Individual-, Gruppen- und Intensivprophylaxe für Kinder und Jugendliche, aber die zahnmedizinischen Präventionsleistungen der gesetzlichen Krankenversicherung setzen erst ab dem 30. Lebensmonat ein. Das ist für eine optimale, präventive Betreuung durch den Zahnarzt eindeutig zu spät. Oralepidemiologische Studien zeigen, dass die Betreuung in den ersten drei Lebensjahren der kleinen Kinder allein durch den Kinderarzt nicht ausreicht. Die Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Früherkennungsuntersuchungen von Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten gemäß § 26 SGB V greifen zu kurz. Deshalb fordert die BZÄK in ihrem gesundheitspolitischen Konzept zur zahnmedizinischen Prävention bei Kleinkindern gemeinsam mit der KZBV, der Deutschen Gesellschaft für Kinderzahnheilkunde, dem Bundesverband der Kinderzahnärzte und dem Deutschen Hebammenverband, die Früherkennungsuntersuchungen auf die Zeit vom 6. bis 30. Lebensmonat auszuweiten. Auch sollte der zahnärztliche Kinderpass mit dem ärztlichen Kinderuntersuchungsheft vernetzt und eine verbindliche Verweisung zum Zahnarzt im Gelben Heft dokumentiert werden.
Leider werden diese sinnvollen Vorschläge vom Gesetzgeber im aktuellen Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Gesundheitsförderung und Prävention nicht aufgenommen. Das ist nicht zu verstehen. Wir können in der Praxis aufklären und informieren, so viel wir wollen – wenn andere Teile der Gesellschaft nicht mitwirken, wird das Problem nicht bewältigt werden. Wir müssen deshalb als Berufsstand für die Umsetzung unseres Konzeptes zur zahnmedizinischen Prävention bei Kleinkindern weitere Partner gewinnen, überzeugen und gemeinsam präventive Handlungsempfehlungen für Kindertagesstätten und Praxen entwickeln. Schwerpunkt der Präventionsstrategie für 3- bis 6-Jährige ist in Deutschland die Gruppenprophylaxe in den Kitas. Zeitgemäße Präventionsansätze für unter 3-Jährige fokussieren auf Schwangere mit Einbeziehung von Gynäkologen, Hebammen, Kinderärzten, Kita-Erzieherinnen und Tagesmüttern. In Thüringen haben wir diese Thematik in einer wissenschaftlichen Tagung im März dieses Jahres aufgegriffen. Das Interesse war mit fast 300 Teilnehmern sehr groß. Unter der wissenschaftlichen Leitung von Professor Roswitha Heinrich-Weltzien vom Universitätsklinikum Jena wurden neben Ursachen und Folgen der frühkindlichen Karies besonders die Präventionskonzepte als eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung diskutiert. Ich rufe alle Landeszahnärztekammern auf, solche Veranstaltungen zu organisieren und bitte Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, sich mit dem bisher ungelösten Versorgungsproblem der ECC zu beschäftigen.