Patienten 20.06.2014
Kinderbehandlung – Herausforderung für das ganze Team
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„Du bist mein Lieblingszahnarzt!“ Wer freut sich nicht über ein solches Kompliment. Doch es steckt viel Arbeit dahinter, besonders wenn schon bei Kleinkindern ein großer Befund diagnostiziert wird. Füllungen legen, Kronen anpassen und Zähne extrahieren; darin sind wir alle Profis. Wenn aber unsere kleinsten Patienten eine Behandlung benötigen, stehen die technischen Handfertigkeiten nicht im Vordergrund. Hier muss das gesamte Praxisteam zusammenarbeiten, um erfolgreich Kinder zu behandeln.
Wenn sich Eltern in der Praxis für einen Ersttermin vorstellen, kann man sie schon jetzt mit den wichtigsten Verhaltensregeln und Behandlungsmöglichkeiten vertraut machen. Entweder mit einem kleinen Brief oder einem Hinweis auf die praxiseigene Homepage. Wichtig ist zur Vorbereitung des Kin-des, dass möglichst wenig Aufhebens um den Termin gemacht wird. Sätze wie „Du brauchst keine Angst zu haben“ oder „Das tut bestimmt nicht weh“ sollten unbedingt vermieden werden. Besser ist es, die Neugier der Kinder zu wecken: „Wir wollen sehen, wie viele Zähne du schon hast.“ Auch sollten Eltern den Besuch beim Zahnarzt nicht als Bestrafung darstellen oder große Geschenke versprechen.
Denn der erste Besuch dient vor allem dem gegenseitigen Kennenlernen. Dazu gehört es auch, dass keine Behandlung am ersten Termin stattfindet, außer im akuten Schmerzfall. Für Kinder ist es wichtig, sich zunächst an die neue Umgebung und die neuen Personen zu gewöhnen. Des Weiteren ist es für den Vertrauensaufbau zwischen Kind und Zahnarzt von Bedeutung, dass sich die Eltern im Hintergrund halten und man sich zuerst um das Kind kümmert. Nach der Untersuchung widmet man sich dann ganz den Eltern.
Für Kleinkinder und Vorschulkinder bietet sich ein Termin am Vormittag an. Zum einen ist die Konzentrationsfähigkeit besser, zum anderen finden sich im Wartezimmer eher gleichaltrige Spielfreunde. Bei Schulkindern sollte der Stundenplan berücksichtigt werden. Zu beachten ist dabei, dass der Zahnarztbesuch an diesem Tag nicht zwischen Mathearbeit und Fußballtraining „gequetscht“ wird.
Ankommen
Der erste Praxisbesuch spielt für die jungen Patienten eine große Rolle. Ein ruhiges sowie freundliches Auftreten des Praxispersonals an der Anmeldung ist dabei essenziell. Die Kinder sollen in entspannter Atmosphäre den Anmeldebereich erkunden können. Ein hoher Tresen, der wie eine Mauer wirkt und somit die Sicht der Kleinen versperrt, ist weniger vorteilhaft. Besser ist es, wenn dieser an einer Seite offen ist oder die Kinder auf eine kleine Treppe klettern können, um zu sehen, was sich dahinter verbirgt (Abb. 1, Seite 52). Sowohl Blickkontakt als auch ein sympathisches Lächeln zeigen der ganzen Familie, dass sie willkommen ist und schaffen eine gute Vertrauensbasis.
Nun darf auch das Wartezimmer erkundet werden. Zehn Minuten brauchen die Kleinen, um in Ruhe spielen zu können. Kreatives Spielzeug für Jungen und Mädchen lässt die Wartezeit im Nu vergehen und das Kind wird sich schon auf den nächsten Besuch freuen (Abb. 2, Seite 52).
Abholen
Beim Abholen aus dem Wartebereich ist eine geschulte Mitarbeiterin sehr wichtig. Eine namentliche Begrüßung auf Augenhöhe ist dabei ebenso erforderlich wie eine offene Körperhaltung (Abb. 3). Um den gerade aufgebauten Kontakt nicht gleich wieder zu verlieren, geht man am besten gemeinsam mit dem Kind zum Behandlungszimmer und erklärt, was es alles auf dem Weg entdecken kann (Abb. 4). Da bietet es sich an, wenn die Gänge bunt gestaltet sind. So kann man die schönsten selbst gemalten Kinderzeichnungen in Augenhöhe der Kleinen ausstellen oder lustige Spiegel an die Wände hängen (Abb. 5).
Im Zimmer können mutige Kinder schon selbst auf den Behandlungsstuhl klettern, die Schüchternen betrachten vom Schoß der Begleitperson aus das Zimmer. Denn auch hier gibt es wieder viel Neues, das die Helferin mittels „Tell-Show-Do“ zeigen kann (Abb. 6). Im nächsten Schritt kann die Helferin die Anamnese erfassen. Während diesem Gespräch ist es von Bedeutung, neben den üblichen medizinischen Fragen auch die sozialen Faktoren zu beleuchten: „Welchen Beruf haben die Eltern?“, „Gibt es Geschwisterkinder?“, „Wer macht die Kinder fürs Bett fertig?“, „Wie sieht die häusliche Mundhygiene aus?“, „Hat das Kind Hobbys?“ und „Wie sehen bereits gemachte ärztliche Erfahrungen aus?“ Denn das soziale Umfeld der jungen Patienten beeinflusst spätere Therapieentscheidungen.
Untersuchung
Ist dann der Zeitpunkt gekommen, den Arzt ins Zimmer zu holen, muss der aufgebaute Rapport (Vertrauensverhältnis) von der Assistenz an den Behandelnden weitergegeben werden: „Hallo Frau Doktor, heute besucht uns Marie mit ihrer Mama. Marie ist schon ein Kindergartenkind, und schau‘ nur, was für eine schöne Spange sie im Haar hat, … “ Je nach Alter und Interessen wird nun der Spielball von uns aufgenommen und das Kind weiter positiv bestärkt („yes“-Set), was sich durch die komplette Sitzung und alle weiteren Behandlungen zieht. Dabei ist zu beachten, dass unter Dreijährige sehr auf die Begleitperson fixiert sind und eine Untersuchung am besten mit ständigem Körperkontakt (Knie zu Knie) funktioniert (Abb. 7).
Um die Behandlung interessanter zu machen, kann man seiner Fantasie gerade bei Drei- bis Sechsjährigen freien Lauf lassen. Sie lassen sich schnell in eine Traumwelt führen: Der Mundschutz kann ein Schleier sein, wie in orientalischen Märchen, der Spiegel ein U-Boot zum Erforschen einer Unterwasserwelt, der Luftbläser der Wind, der die Blätter im Herbst nach oben fliegen lässt etc. Je älter die Kinder sind, umso besser können sie abstrakte Zusammenhänge nachvollziehen. Da ist es hilfreich, Kausalzusammenhänge wie die Kariesätiologie und Behandlungsschritte an Modellen zu erklären.
Behandlungsplanung
Unerlässlich ist ein genauer Befund. Besonders enge Approximalkontakte sind Prädilektionsstellen, die mit dem bloßen Auge kaum beurteilt werden können. Hier haben sich Bissflügelaufnahmen und die Kaltlichtsonde (FOTI) bewährt. Bei besonders ängstlichen Kindern kann sich die komplette Diagnostik auch auf mehrere Sitzungen erstrecken. Zu jeder Therapie sollte ein Prophylaxeplan gehören, der das persönliche Kariesrisiko berücksichtigt. Damit eine Entstehung von Karies vermieden wird, brauchen vor allem Familien mit Hochrisikokindern eine intensive Betreuung. Um das richtige Recall-Intervall zu finden, kann man die Bornholm-Methode der Uni Greifswald zu Hilfe nehmen. Eltern und Kinder sollen zum Thema Mundgesundheit aufgeklärt werden und die richtige Zahn-putztechnik üben können. Denn nur so ist sicherzustellen, dass die Karies als Prozess des Mineralverlustes langfristig vermieden werden kann.
Wenn man nun die Kooperation der Eltern und Kinder, die notwendige zahnärztliche Therapie sowie die sozioökonomischen Faktoren berücksichtigt, findet man die ideale Behandlungsart (Abb. 8). So ist die einfachste Form die normale Behandlung, bei der immer Techniken der Hypnose und Verhaltensführung angewendet werden können. Denn der aufgebaute Rapport muss in jeder Sitzung wieder erneuert und gefestigt werden. Ab circa fünf Jahren ist bei kooperativen, aber ängstlichen Kindern eine leichte Sedierung mit Lachgas zu empfehlen. Diese Anwendung kann nach spezieller Schulung selbst vom Zahnarzt angewendet werden. Für tiefere Sedierungen und eine Intubationsnarkose ist ein Anästhesist erforderlich. Dabei sollte die Indikation für eine allgemeine Anästhesie sehr sorgfältig gewählt werden. Doch gerade bei Kindern unter drei Jahren mit einem stark zerstörten Gebiss ist dies wohl die beste Möglichkeit einer Sanierung. Umso wichtiger ist es, nach einer Narkosebehandlung mittels engmaschigem Recall und altersgerechter Prophylaxe die Zahngesundheit zu erhalten. Bevor die Therapie beginnen kann, ist es unerlässlich, die Eltern mit ins Boot zu holen. Denn nur so können wir erfolgreich und schnell unser Therapieziel erreichen. Der Behandlungsplan sollte mit möglichst einfachen Worten erläutert werden.
Dabei empfiehlt es sich, Alternativen aufzuzeigen sowie den Eltern eine angemessene Bedenkzeit zu lassen. Einige wenden sich auch gerne an unsere Assistenz, wenn wir das Zimmer verlassen haben. Sie kann nochmals Fragen klären und auch eventuelle Kosten besprechen. Hier spielt die Zusammenarbeit im Team wieder eine wichtige Rolle. Damit spart man sich bei den Folgeterminen wiederholte Erklärungen und die Eltern können, wie im Vorfeld besprochen, die Kinder auf die Behandlung vorbereiten. So können sie mit kindgerechtem Vokabular die Behandlung auch zu Hause erklären. Eventuell gibt man Materialien, wie einen Röntgenfilm oder Abdrucklöffel, zum Üben mit nach Hause, und die Kinder machen sich in einem bekannten Umfeld mit den neuen Sachen vertraut. Wichtig sind zudem die grundlegenden Verhaltensregeln für die Eltern während der Behandlung. Diese sollten zuallererst besprochen werden, um einen reibungslosen Behandlungsablauf für die Kinder zu ermöglichen. Gerne darf die Begleitperson im Zimmer anwesend sein, ohne jedoch zu einem Störfaktor zu werden, indem eventuell vorhandene Ängste auf das Kind übertragen werden. Eine der bedeutendsten Regeln ist, dass sich die Eltern im Hintergrund halten und die jungen Patienten nicht ablenken. Bei denen, die wie ein Helikopter über ihren Sprösslingen kreisen, ist das Arbeiten wohl am schwierigsten. Da ist es gut, wenn man sich auf seine Stuhlassistenz verlassen kann. Sie kann freundlich aber bestimmt die Eltern zum Sitzen beten oder um Ruhe bitten. Hinterher sollte man sich aber kurz Zeit nehmen, um die Situation zu erklären.
Behandlung
Besonders in der Kinderbehandlung ist ein optimal vorbereitetes Zimmer sehr wichtig. Gerade wenn man das Kind fantasievoll durch die Behandlung führt, stört nichts so sehr wie fehlende Instrumente und Materialien. Dabei sollten gefährlich aussehende Dinge wie Spritzen, Rosenbohrer und Zangen vorher versteckt werden. Eine individuell auf die Behandlung vorbereitete Schublade, die später vorgezogen werden kann, bietet sich hierbei gut an (Abb. 9). Ebenso sollte darauf geachtet werden, die Instrumente nicht in das Sichtfeld des Kindes zu halten und diese auch während der Behandlung kindgerecht zu umschreiben. Statt einer Spritze verwenden wir „Schlafperlen“ oder „Zahnbier“ und der Rosenbohrer wird zum „Rumpelmännchen“ oder „Schaufelbagger“. Mit den in den ersten Sitzungen gemachten Erfahrungen lassen sich die Kinder mit einem Film, einer Hörgeschichte, einer selbst erzählten Geschichte oder einer anderen Technik zügig in eine Trance führen. Schneller als bei Erwachsenen sehen wir Zeichen einer Hypnose (Abb. 10).
Da Kinder allerdings auch sehr schnell aus einer Trance aussteigen, ist es wichtig, den Patienten nicht aus den Augen zu verlieren. Besonders bei schmerzhaften Eingriffen zeigen sie uns schnell, wenn es zu viel wird. Hier bietet es sich an, vorher ein Handzeichen auszumachen, damit man sofort reagieren kann. Günstig ist bei Schulkindern der „Ampel-Arm“: Bei Grün ist alles in Ordnung und der Arm liegt entspannt auf dem Bauch oder wird nach vorne gestreckt. Wird die Behandlung unangenehmer, schaltet die Ampel auf Gelb und der ganze Arm wird etwas nach oben gehoben. Wenn er dann ganz nach oben gestreckt wird, steht die Ampel auf Rot und man muss sofort eine Pause machen. So haben wir während der gesamten Behandlung immer eine Rückmeldung von unseren Patienten. Ist die Behandlung dann beendet, darf sowohl die Familie als auch das zahnärztliche Team stolz auf sich sein. Das Aussuchen einer kleinen Belohnung darf für die couragierten Kinder nie vergessen werden.
Zusammenfassung
Die Kinderbehandlung richtet an das gesamte Praxisteam besondere Anforderungen. Sowohl der Zahnarzt als auch das zahnärztliche Personal sollten psychologische Kenntnisse haben. Eine Schulung in verschiedenen Hypnosetechniken ist für jeden, der mit Kindern zusammenarbeitet, sehr wichtig. Für jeden jungen Patienten muss ein individueller Behandlungsplan aufgestellt werden, der als Grundlage eine gute Prophylaxe beinhaltet. Sicherlich schafft man es nicht bei jedem, die bleibende Dentition kariesfrei zu erhalten. Doch mit einer einfühlsamen Betreuung unserer Patienten wollen wir das Bewusstsein für eine gute Mundhygiene schaffen und die Koope-ration soweit steigern, dass notwendige Behandlungen ohne Probleme möglich sind.