Digitale Zahnmedizin 09.12.2013

Eine neue Leitlinie zur dentalen digitalen Volumentomographie



Eine neue Leitlinie zur dentalen digitalen Volumentomographie

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Die neue S2k-Leitlinie „Dentale digitale Volumentomographie“1 ist am 18. Oktober 2013 auf der Homepage der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) veröffentlicht worden. Sie ersetzt die bis zum 1. Dezember 2012 gültige S1-Empfehlung „Dentale Volumentomographie“.2

Priorisierungsgründe für die Aktualisierung dieser Leitlinie waren die Häufigkeit der Anwendung dieser Technik, das rechtliche Umfeld, bestehende diagnostische Unsicherheit und Strahlenschutzaspekte. Zur Methodik der Leitlinienerstellung und deren Klassifizierung ist zu erwähnen, dass die S1-Klasse eine Handlungsempfehlung von Experten beziehungsweise einer repräsentativ zusammengestellten Expertengruppe darstellt und nicht als Leitlinie im eigentlichen Sinne bezeichnet wird, sondern als S1-Empfehlung. Eine S2k-Leitlinie hingegen wird durch eine strukturierte Konsensusfindung eines repräsentativen Gremiums erstellt.3,4 Die nun vorliegende Leitlinie soll bis zum 31. Juli 2018 erneut aktualisiert werden.

 

 

Literatur, Evidenz und Konsentierung

Die Leitlinie wurde seit November 2010 unter Federführung der Arbeitsgemeinschaft für Röntgenologie (ARö) innerhalb der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (DGZMK) erarbeitet, basierend auf der bestehenden S1-Empfehlung und einer Literaturrecherche der beteiligten Fachgesellschaften und Berufsverbände (Tab. 1). Inkludiert wurde Literatur über einen Publikationszeitraum bis 2012. Verfügbare Leitlinien,5–7 die für die Thematik relevant erschienen, wurden berücksichtigt. Die anschließende Einteilung der Literatur nach Evidenzgraden erfolgte in Analogie zum Bewertungssystem der Guideline des SEDENTEXCT project,5 das seinerseits auf einer Adaptierung des Scottish Intercollegiate Guidelines Network (SIGN)8 basiert. Um auch mathematisch bewiesene und technische Evidenz abbilden zu können, wurde eine zusätzliche Kategorie „T“ eingeführt (Tab. 2). Seitens der beteiligten Fachorganisationen wurden auf Basis der evidenzbewerteten Literatur Schlüsselempfehlungen und Textvorschläge erarbeitet und mit den bereits erwähnten Leitlinien6,7 der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) abgeglichen. Die Kernaussagen und Schlüsselempfehlungen wurden nach Diskussion der vorliegenden Leitlinien und Originalarbeiten von den Vertretern der eingeladenen Fachgesellschaften, Fachgruppierungen und Berufsverbände in einem nominalen Gruppenprozess3,9 konsentiert.

Tab. 1: Teilnehmer des Leitlinienprojekts.

Tab. 2: Evidenzgrade.

Empfehlungsstärke und Evidenz

Grundlage für jede Empfehlung war die Frage, ob das potenziell durch ionisierende Röntgenstrahlung verursachte Risiko aufgrund des zu erwartenden diagnostischen und/oder therapeutischen Nutzens der Aufnahme zu rechtfertigen sei. Die verschiedenen Grade der Empfehlungsstärke wurden unter Berücksichtigung der Evidenzlage durch die Formulierungen „soll“, „sollte“ und „kann“ ausgedrückt (Tab. 3). Ergab sich für die Nutzen/Risiko-Abwägung keine eindeutige Aussage oder waren forensische Überlegungen zu bedenken, so erging eine zurückhaltend formulierte Empfehlung.

Tab. 3: Evidenzstärke und Empfehlungsstärke.

DVT in der Endodontie

Die aktuelle S2k-Leitlinie gliedert sich hinsichtlich der Anwendung der DVT in der Endodontie und der Traumatologie in drei Abschnitte. Es werden Grundsätze der Anwendung, mögliche Indikationen und die konsentierten Empfehlungen formuliert.

Grundsätze

  • „Vor der Anfertigung einer DVT-Aufnahme für das Fachgebiet der Endodontie sollte eine umfangreiche Basisdiagnostik durchgeführt worden sein.“5,10
  • „Das Field of View sollte auf die fragliche Region begrenzt und eine möglichst hohe nominelle Auflösung angestrebt werden5,10 im Sinne einer Voxelgröße von 125 μm oder weniger.“11
  • „Aufgrund der langen Umlaufzeiten und der statischen Annahmen der Rekonstruktionsalgorithmen ist jedoch die tatsächlich erreichbare Ortsauflösung limitiert.“12

Mögliche Indikationen

Auf der Grundlage der nach Evidenzgraden eingeteilten Literatur wurde abgeleitet, dass für die Anwendung der DVT in der Endodontie und Traumatologie Indikationen bestehen können bei:

  • „Apikalen Veränderungen mit klinischer Symptomatik, wenn diese auf zweidimensionalen Aufnahmen nicht detektierbar bzw. räumlich korrelierbar sind (Abb. 1).13 – 20 Es gibt Hinweise, dass die Sensitivität des DVTs gegenüber Intraoral- und Panoramaschichtaufnahmen erhöht ist.“16,18,21
  • „Wurzelfrakturen (Abb. 2), da diese mathematisch bedingt22 sowie auch klinisch nachgewiesen sicherer identifiziert werden können als mit zweidimensionalen Aufnahmen.“23 –28
  • „Internen29 (Abb. 3), zervikalen (Abb. 4), apikalen (Abb. 5) und externen Wurzelresorptionen (Abb. 6).30 –32 Das Erkennen von beginnenden Resorptionen stellt ein wichtiges prognostisches Kriterium dar.“31
  • „Anderweitig nicht detektierbaren Perforationen und Stiftperforationen (Abb. 7), da eine zweidimensionale Aufnahme eine räumlich korrekte Korrelation besonders in bukkolingualer Richtung nicht zulässt.29,33,34 Hier sind bei metallischen Stiften jedoch die Einschränkungen aufgrund von Metallartefakten zu beachten.“12
  • „Komplexer Wurzelanatomie und Morphologie (zusätzliche Kanalsysteme, apikaler Chirurgie an OK/UK-Molaren und UK-Prämolaren, Dens invaginatus) (Abb. 8).“11,35,36
  • „Planung und Durchführung endodontischer Chirurgie unter Einbeziehung gefährdeter Nachbarstrukturen und/oder sehr komplexer bzw. umfangreicher Knochendestruktion (Abb. 9).“36 –38
  • „Instrumentenfrakturen (Abb. 10), wenn die Fragmente mit optischen Hilfsmitteln nicht zu detektieren sind.“39
  • „Beurteilung der Qualität von eingebrachten Wurzelfüllungen (Abb. 11). Dies ist im DVT signifikant besser zu beurteilen und betrifft folgende Parameter: Die Homogenität der Wurzelfüllung, die Ausdehnung des gefüllten Wurzelkanals (Wurzelfülllänge) und die Tatsache der Füllung eines Wurzelkanals überhaupt.“14,19
  • „Diagnose und Behandlung des dentoalveolären Traumas (Abb. 12), insbesondere bei Vorliegen von Wurzelfrakturen, Luxationen und Frakturen des Alveolarfortsatzes. Die Therapie von Luxationen erfordert eine genaue räumliche Lagebestimmung des Zahnes, damit Therapie und Prognose optimal abgesichert werden können. Auch für die Bewertung und Therapieplanung bei traumabedingten Wurzelresorptionen ist das DVT herkömmlichen Methoden weit überlegen.“40,41

Konsentierte Empfehlungen

Die folgenden Empfehlungen wurden von der Konsensuskonferenz ausgesprochen:

  1. „Die kleinvolumige und hochauflösende dentale digitale Volumentomographie kann in einzelnen Fällen für die periapikale Untersuchung indiziert sein, wenn zweidimensionale Röntgenaufnahmen bei Vorliegen klinischer Befunde und Symptome keine entsprechenden röntgenologischen Befunde darstellen.“
  2. „Die kleinvolumige und hochauflösende dentale digitale Volumentomographie kann zur Detektion von Wurzelfrakturen verwendet werden, wenn die klinischer Befunde und Symptome eine entsprechende Verdachtsdiagnose nicht ausreichend absichern.“
  3. „Die kleinvolumige und hochauflösende dentale digitale Volumentomographie kann bei Verdacht auf oder Vorliegen von Perforationen, insbesondere Stiftperforationen, indiziert sein.“
  4. „Die kleinvolumige und hochauflösende dentale digitale Volumentomographie kann in Einzelfällen indiziert sein, wenn die endodontologische Therapie durch bestimmte Begleitumstände erschwert wird, wie komplexe Anatomie des Wurzelkanalsystems.“
  5. „Die kleinvolumige und hochauflösende dentale digitale Volumentomographie kann in einzelnen Fällen zur Planung endodontologisch-chirurgischer Behandlungen indiziert sein, insbesondere dann, wenn erschwerende Faktoren, wie die Gefährdung anatomischer Nachbarstrukturen, vorliegen.“
  6. „Die kleinvolumige und hochauflösende dentale digitale Volumentomographie kann zur Lagebestimmung von intrakanalär frakturierten Wurzelkanalinstrumenten indiziert sein, wenn die zweidimensionale bildgebende Diagnostik diese nicht zweifelsfrei zulässt.“
  7. „Die dentale digitale Volumentomographie kann in der Beurteilung des dentalen Traumas angewandt werden, insbesondere dann, wenn zweidimensionale röntgenologische Aufnahmen keine oder unzureichende Informationen für die Behandlungsplanung und Prognose bieten.“
  8. „Die kleinvolumige und hochauflösende dentale digitale Volumentomographie kann zur Beurteilung von internen und externen Wurzelresorptionen angewandt werden, wenn die zweidimensionale bildgebende Diagnostik keine oder unzureichende Informationen für die Behandlungsplanung und Prognose bietet.“

Bereichsübergreifende Betrachtungen

In dem die zahnärztliche Prothetik betreffenden Abschnitt wird zusätzlich darauf hingewiesen, dass durch die DVT diagnostische Informationen hinsichtlich der endodontologischen Beurteilung der Wertigkeit biologischer Pfeiler gewonnen werden können, die unter Umständen Konsequenzen für die Therapieplanung und die Prognose haben:

  • Qualität von Wurzelkanalfüllungen14,19
  • Apikale Veränderungen13 –16
  • Perforationen und Stiftperforationen34
  • Wurzelfrakturen23 –26
  • Wurzelresorptionen30,40
  • Dentoalveoläre Traumata31,41

Es ist immer zu berücksichtigen, dass röntgenopake Strukturen einen Rückgang der Spezifität und Sensitivität in der Diagnostik zur Folge haben können.12,42,43

Fazit

Eine Leitlinie kann nicht alle Voraussetzungen und Anforderungen an eine digitale Volumentomographie abbilden. Insbesondere die auf die diagnostische Fragestellung ausgerichtete Einstellung der Geräte sowie die Reduktion und Interpretation von Artefakten müssen im Blickfeld der Anwender stehen, da sich diese maßgeblich auf die Qualität und Auswertbarkeit der Volumentomographien auswirken. Hier sei zur weiteren Fortbildung auf das Literaturverzeichnis und andere geeignete Quellen verwiesen. In jedem Fall stellt die vorliegende Aktualisierung der Leitlinie einen großen Fortschritt in Bezug auf die konsentierten Empfehlungen und die angeführten möglichen Indikationen dar. Außerdem ist es erfreulich, dass die DVT-unterstützte Diagnostik des dentoalveolären Traumas nun als Teilbereich der Endodontie erwähnt wird.

Bemerkenswert ist der durchgängig niedrige Grad der Empfehlungsstärken. Einerseits ist dies forensischen Überlegungen geschuldet: auch wenn Leitlinien für Ärzte und Zahnärzte rechtlich nicht bindend sind und weder haftungsbegründende noch haftungsbefreiende Wirkung haben, so sollte der Verzicht auf eine DVT für den endodontologisch tätigen Zahnarzt keine rechtlichen Konsequenzen nach sich ziehen. Andererseits sind auch fünfzehn Jahre nach der erstmaligen Erwähnung der Anwendung der DVT in der Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde44 die vorliegenden Studien mehrheitlich wenig valide und von geringer diagnostischer Genauigkeit.45 So liegen kaum Studien vor, die den optimierenden Einfluss der DVT auf die Behandlungsplanung untersuchten.45,46 Es überwiegen Fallberichte und Studien ohne Referenzstandard, die an extrahierten Zähnen und denudierten Kiefern vorgenommen werden.

Ausblick

Auf europäischer Ebene bedarf es einer dringenden Überarbeitung der Quality Guidelines der European Society of Endodontology.47 In der revidierten Version aus dem Jahre 2006 findet sich kein Hinweis auf die Anwendung der DVT in der Endodontologie. Es wird sich zeigen, ob die Implementierung der DVT in Übereinstimmung der formulierten Indikationen, dem ALARA-Prinzip48 und zu erwartender reduzierter Strahlenbelastung49 weiter voranschreitet. In der postoperativen Qualitätskontrolle sollte die DVT-Diagnostik eine angemessene Beachtung erfahren und eine klare Definition der zeitlichen Intervalle möglicher DVT-Recalls muss eine der vorrangigen Aufgaben folgender Überarbeitungen bestehender Leitlinien darstellen. Ferner besteht Bedarf an solide aufgebauten und validen Studien mit hohen Fallzahlen, um den Nutzen der digitalen Volumentomographie zu belegen: Diagnostische Sicherheit, Einschätzung endodontologischer und traumatologischer Problemstellungen, Relevanz für die Behandlungsplanung in Endodontie, Endochirurgie und Traumatologie und Einfluss auf das Behandlungsergebnis und dessen Erfolgsquote sind die wesentlichen Aspekte. Nicht zuletzt könnte sich hieraus auch eine Neubeurteilung und Neubewertung der Erfolgsbegrifflichkeiten und -quoten endodontologischer und traumatologischer Behandlungsprotokolle ergeben.14,19,46,50,51 Auch wenn die aktuelle Leitlinie einen deutlichen Fortschritt darstellt und alle wichtigen Aspekte der Endodontie abbildet, es liegt beim einzelnen Anwender, einen verantwortungsvollen Umgang und vor allem eine indikationsgerechte Anwendung der DVT in seiner Praxis zu etablieren.

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