Digitale Zahnmedizin 21.04.2011

Chancen und Risiken dentaler CAD/CAM- Systeme



Chancen und Risiken dentaler CAD/CAM- Systeme

Die moderne Zahnheilkunde bietet eine Vielzahl unterschiedlicher Möglichkeiten, unsere Patienten bedarfsgerecht und anspruchsvoll zu versorgen. Dabei hat, neben der Entwicklung der Implantologie und der Adhäsivtechnik, auch die Einführung dentaler CAD/CAM-Verfahren die Möglichkeiten vergrößert.

Die Etablierung der Oxidkeramiken (Zirkoniumdioxid, Aluminiumdioxid) im Versorgungsalltag ist eng mit dem Einsatz von CAD/CAM-Technologien (CAD/CAM = computer aided design – computerunterstütztes Design/computer aided manufacturing – computerunterstützte Fertigung) verknüpft, da es erst durch den Einsatz dieser Technologien möglich war, diese Werkstoffe zu verarbeiten. Für die Einschätzung der Möglichkeiten und Risiken, welche der Einsatz dieser Technologien mit sich bringt, ist es jedoch wichtig, die einzelnen Schritte der Prozesskette bei der Herstellung zahnärztlich-zahntechnischer Restaurationen zu kennen.


Nach der versorgungs- und werkstoffgerechten Präparation der Zähne (hierbei sei auf die einschlägige Literatur sowie die einzelnen Präparationsanleitungen der jeweiligen Anbieter von CAD/CAM-Systemen verwiesen) muss die Oberfläche der präparierten Zähne, gegebenenfalls die der Nachbarzähne und der Antagonisten, dreidimensional digital erfasst werden, um die Daten computergestützt verarbeiten zu können.

Intraorale Digitalisierung

Die intraorale Erfassung der Zahnoberflächen ist ein berührungslos-optisches Digitalisierverfahren. Dabei ermöglicht die intraorale Digitalisierung den Verzicht auf eine Abformung der klinischen Situation. Etablierte Systeme sind derzeit der LAVA Chairside Oral Scanner C.O.S. (3M ESPE, Seefeld), die CEREC Bluecam (Sirona Dental, Bensheim) sowie der OraScanner (OraMetrix Inc, Richardson, USA). In diesem Segment sind derzeit eine große Dynamik und neue Innovationen zu beobachten. Belastbare klinische Studien zu den Mess-unsicherheiten fehlen jedoch. Dabei ist aufgrund des begrenzten Platzangebotes im Mund und der 100%igen Luftfeuchtigkeit der optisch-technische Aufbau des Digitalisiergerätes begrenzt. Die ersten Generationen der intraoralen Digitalisiergeräte konnten die Präparation aus nur einer Aufnahmerichtung betrachten und mussten dafür kleine Triangulationswinkel benutzen. Daraus ergab sich eine begrenzte Höhenmessgenauigkeit. Weiterhin reduzieren die Bewegungen des Patienten und des Behandlers die Aufnahmezeit für die optische Datenerfassung auf unter 1/8 Sek. Moderne Digitalisiergeräte erhöhen die Anzahl der Aufnahmen und der Ansichten auf die Zahnreihe und rechnen die Daten im Nachgang zusammen. Der LAVA C.O.S. nutzt das Prinzip des „Active Wave Front Sampling“ (LAVA COS, Brontes Technologies, Inc., MA, USA). Dabei nimmt das Digitalisiergerät ähnlich einer Videokamera eine Vielzahl von Einzelmessungen auf, die automatisch zu einem Modelldatensatz zusammengefügt werden. Inwiefern sich der Fortpflanzungsfehler beim Zusammensetzen der einzelnen Datensätze auf das Digitalisierergebnis auswirkt, ist unklar. Besonders an den Rändern der Datensätze kann es zu erheblichen Abweichungen des Datensatzes vom Original kommen. Bei der Kontrolle der Digitalisierung am Monitor können jedoch unklare Bereiche erkannt und gegebenenfalls nachdigitalisiert werden. Zusätzlich beeinflussen klinische Parameter wie Speichel, Blut sowie Patientenbewegungen, wie auch bei der konventionellen Abformung, das Digitalisierergebnis. Ein Verdrängen von Gingiva oder Flüssigkeiten im Bereich der Präparationsgrenze, wie durch die Stempelwirkung des Abformmaterials, entfällt bei der intraoralen Digitalisierung. Somit erhält ein adäquates Weichgewebsmanagement eine besondere Bedeutung. Ein weiteres Problem stellen die transluzenten Zahnoberflächen dar. Durch das unterschiedliche Eindringverhalten des Lichtes in die verschiedenen Schichten (Schmelz, Dentin) kommt es zu ungenauen Messungen. Dabei werden zur Vermeidung von Reflexionen oder zur Strukturierung der Zahnoberfläche die Zähne bepudert. Das Pulver kann sich in Ecken und Kanten (oder im Bereich der Präparationsgrenze) ansammeln und zu einem zusätzlichen Messfehler von 20 bis 40 µm führen.

Extraorale Digitalisierung

Neben der intraoralen Digitalisierung kann ebenfalls der „klassische“ Weg über eine Abformung gegangen werden. Dafür stehen die verschiedenen Arten der Abformung (Doppelmischabformung, Korrekturabformung, Monophasenabformung) zur Verfügung. Die aus der Abformung entstandenen Meistermodelle können dann optisch oder mechanisch (taktil) dreidimensional erfasst werden. Extraoral-optische Digitalisierverfahren weisen, verglichen mit taktilen Systemen, zumeist kürzere Digitalisierzeiten, dafür aber höhere Messungenauigkeiten auf. Die optischen Digitalisierverfahren sind aus einer Projektor- und einer Detektor-einheit aufgebaut, die in einem bekannten Winkel zueinander angeordnet sind (Triangulationswinkel). Die Projektor-einheit projiziert entweder Laserpunkte bzw. -linien oder strukturiertes Weißlicht (Streifen) auf die Meistermodelle. Die Projektionen aus verschiedenen Richtungen auf das Modell werden von der Detektoreinheit aufgenommen. Aus der Projektionsrichtung und der Verzerrung des Musters auf dem Modell kann ein dreidimensionaler Datensatz erzeugt werden. Verschiedene Autoren geben dabei Messfehler von ca. 10 µm an. Hierbei kann die Oberflächenbeschaffenheit des Gipses sowie Erschütterungen bei der Messung das Digitalisierergebnis beeinflussen. Werden Bereiche der Projektion durch die Geometrie des Modells oder der Stümpfe abgeschattet (zum Beispiel bei Hinterschnitten), werden dort keine Daten erfasst.

Mechanische (taktile) Digitalisiergeräte können Positive (Modelle, Stümpfe) und Negative (Innenformen) mit einer geringen Messunsicherheit erfassen. Jedoch hat sich die mechanische Digitalisierung von Abformungen als nicht praktikabel erwiesen.

Die Stumpfoberfläche wird hierbei mit einem Taster erfasst. Für die Genauigkeit der Abtastung ist die Form und Größe des Tasters und die Geschwindigkeit der Abtastung entscheidend. Als Taster wird eine Kugel aus ­einem harten Material (z.B. Korund) benutzt. Feine Strukturen (Kavitäten, Präparationsgrenze) werden bei dem Einsatz eines zu großen Tastkugeldurchmessers nicht erfasst, zu kleine Taster können jedoch die Oberfläche des Objektes beschädigen. Mechanische Digitalisiersysteme scannen das Messobjekt heute vorwiegend vollautomatisch ab und weisen eine Messunsicherheit von etwa 3 µm auf. Die Zahnform (Molar oder Eckzahn) kann das Ergebnis der mechanischen Digitalisierung beeinflussen. Neben dem hohen Zeitaufwand ist eine eventuell auftretende Antastverformung bei weichen bzw. nicht biegesteifen Objekten ein Nachteil. Ein zu großer Antastdruck kann die Oberfläche des Messobjektes beschädigen oder verformen, was auch der mechanischen Digitalisierung von Abformungen zum Verhängnis wurde.

Von der Art der Datenerfassung unabhängig entstehen aus der Digitalisierung dreidimensionale Datensätze in Form von sogenannten „Punktewolken“. Alle Punkte der Punktewolke beschreiben zusammen die Oberfläche der Modelle und Stümpfe.

Der Einsatz von Filtern kann die Qualität der Punktewolke verbessern. Dabei können einzelne Streupunkte und Ausreißer sowie messbedingtes Rauschen entfernt werden. Solche Filter sind in der Regel auf das jeweilige Digitali-siersystem abgestimmt und für den ­Anwender nicht veränderbar. Um aus der dreidimensionalen Oberflächenbeschreibung der Zähne Kronen und Brücken konstruieren zu können, müssen die ungeordneten, optisch gemessenen Punktewolken zunächst aufbereitet werden. Dabei werden die 3-D-Daten in mathematisch beschreibbare, zusammenhängende Flächen überführt. Diesen Prozess nennt man Flächenrückführung.

Für die Flächenrückführung können verschiedene mathematische Verfahren benutzt werden. Die am häufigsten verwendete Variante ist die Triangulation (nicht zu verwechseln mit der bereits erwähnten optischen Triangulation). Hierbei bilden je drei benachbarte Punkte der Wolke ein Dreieck, sodass die gesamte Oberfläche als Fläche dargestellt werden kann. Alternativ können für die Flächenrückführung sogenannte NURBS (Non-Uniform, Rational, B-Splines) verwendet werden. Dies ist ein mathematisches Verfahren zur Beschreibung von glatten Kurven oder Flächen unter Verwendung von Polynomen, basierend auf den gemessenen Punkten. Das Ergebnis der Flächenrückführung wird in aller Regel erst visualisiert, die Berechnungen im Vorfeld laufen im Hintergrund ab. Häufig wird aus Performancegründen die gemessene Situation grafisch reduziert dargestellt. Dabei ist es jedoch für die Kontrolle des Digitalisierdatensatzes von Vorteil, wenn die vollständige Auflösung visualisiert wird (What You See Is What You Get-Prinzip).

CAD (Konstruktion)

Für die Konstruktion der Restaurationen kann auf werkstoffkundliches Wissen sowie klinische Erfahrungen zurückgegriffen werden. Für einen klinischen Erfolg benötigen Restaurationen aus bestimmten Materialien eine Mindestschichtstärke. Wenn das verwendete Material der späteren Restauration der benutzten CAD-Software bekannt ist, kann das Programm die Einhaltung bestimmter Mindestparameter der Restauration (zum Beispiel Mindestschichtstärke, Verbinderquerschnitt) kontrollieren. Sogenannte „intelligente Gerüstdesigns“ beim Einsatz von Oxidkeramiken verstärken die Gerüstkeramik in allen Bereichen mit genügend Raum zu Nachbarzähnen, Antagonisten und Gingivabereichen, sodass die ästhetische Verblendkeramik in gleichmäßiger Schichtstärke aufgebracht werden kann und somit das Risiko einer Fraktur der Verblendkeramik verringert wird. Bei der Konstruktion von Brücken muss die Grundform eines oder mehrerer Brückenglieder in Form, Lage und Größe ­der Verbinderquerschnitte festgelegt werden. Dabei sollte der Verbinderquerschnitt, in Abhängigkeit vom verwendeten Fertigungssystem und Werkstoff, im Seitenzahnbereich 9–12mm2 nicht unterschreiten. Die verwendete Restaurationsart (Kronengerüst, Brücke, Restaurationen mit funktionellen Kauflächen) bestimmt den Aufwand an computergestütztem Design, jedoch sollte aus klinischer Sicht auch bei der Konstruktion von Käppchen und Brückengerüsten die okklusalen Beziehungen beachtet werden.

Nicht immer können die am Bildschirm konstruierten Restaurationen auch so hergestellt werden. Abhängig vom verwendeten Fertigungsverfahren ist nicht jede konstruierte Form (spitze Winkel, Kurvaturen, Okklusalflächen) auch fertigbar. Wenn die Innenseite der inzisalen Spitze eines Kronenkäppchens nur 0,5mm breit ist, kann diese nicht mit einem Schleifer von 1mm Durchmesser gefertigt werden. Abhängig vom eingesetzten Herstellungsverfahren müssen vor der Fertigung die konstruierten Geometrien teilweise durch Postprozesse modifiziert werden, damit sie herstellbar sind.

Fertigung

In den ersten Jahren des Einsatzes von CAD/CAM-Technologien standen subtraktive Verfahren im Vordergrund. Die Mehrzahl der keramischen Restaurationen werden auch heute noch subtraktiv durch Schleifen der Restauration aus präfabrizierten Blöcken herausgearbeitet. Seit der Jahrtausendwende werden auch zunehmend Rapid-Prototyping-Technologien angewandt, die alle additiv arbeiten. Dabei werden die Restaurationen schichtweise aufgebaut. Alle CAD/CAM- und Rapid-Prototyping-Technologien lassen sich in eine Systematik einordnen, die auch für die konventionellen Herstellungstechniken geeignet ist und somit einen Vergleich aller Verfahren zur Herstellung von zahnmedizinischen Restaurationen erlaubt. Dabei können die Herstellungsverfahren, sowohl konventionelle als auch CAD/CAM- und Rapid-Prototyping-Technologien, in direkte und indirekte, additive und subtraktive Formgebungsverfahren unterteilt werden. Alle Rapid-Prototyping-Technologien sind direkte Verfahren, d.h. sie tragen Material auf. Beim Urformen (auch „Direkte Formgebung“) wird das Rohmaterial durch Lasersintern, Stereolithografie, Fused Deposition Modeling oder das 3-D-Drucken (Keramikpulver oder -schlicker, Metallpulver, flüssiges Fotopolymer, Thermoplaste) direkt vom CAD-Modell in die jeweilige Restauration oder das Therapiemittel überführt. Alle diese Verfahren bauen die Restauration oder ein anderes Therapiemittel (Bohrschablone, Schiene) entsprechend dem zuvor erstellten CAD-Modell schichtweise auf. Dabei bestimmt die Größe der Schichten die Genauigkeit der Umsetzung des CAD-Modells in das reale Werkstück (Restauration, Schiene, Wachsrestauration, Schablone). Je feiner die einzelnen Schichten sind, desto genauer ist die Umsetzung und desto besser die Oberflächenqualität, aber auch desto größer ist der Zeitbedarf zur Herstellung der Werkstücks. Also sollte, in Abhängigkeit von dem für die Restauration oder dem Therapiemittel vorgegebenen Toleranzen, ein Optimum zwischen Geschwindigkeit und Präzision gefunden werden.

Für die indirekten subtraktiven Verfahren werden zunächst aus dem Grundmaterial Rohlinge hergestellt. Aus diesen wird dann wiederum durch abtragende Verfahren die eigentliche Restauration (zum Beispiel Schleifen einer vollkeramischen Krone aus einem gepressten Keramikblock) gewonnen. Weiterhin können die subtraktiven Herstellungsverfahren in Verfahrenswege unterteilt werden, die keine weitere Nachbearbeitung erfordern und jene, bei denen weitere Bearbeitungsschritte wie Sintern oder Glasinfiltrieren notwendig sind. Bei subtraktiven Verfahren müssen die Größen der Fräser und Schleifer auf das jeweilige zu bearbeitende Material abgestimmt sein, damit die Fertigung hinreichend schnell, aber auch ohne Schädigung des Materials (vor allem bei Keramik von Bedeutung) stattfinden kann. Der Weg des Schleifers durch den Block aus Rohmaterial ist durch die Fräsbahn definiert. Diese wird mit dem NC-Postprozessor auf die Maschinensteuerung abgestimmt, um eine hohe Präzision bei der Fertigung zu erreichen.

Durch eine mögliche Nachbearbeitung, wie Sintern, kann es zu einer Volumenänderung des Werkstückes nach dem Herstellungsprozess kommen. Diese Volumenänderung muss bereits bei der Konstruktion im CAD-Modell berücksichtigt werden. Fotopolymere und Acrylate schrumpfen um etwa 3–4%, Grünlinge aus Aluminiumoxid um etwa 18 % und solche aus Zirkoniumdioxid um etwa 27%, sodass vor der Fertigung das CAD-Modell um diesen Betrag vergrößert werden muss.
Die Zahl der CAD/CAM-Systeme für die Zahnheilkunde ist seit ihrer Einführung stetig gestiegen. Darüber hinaus werden die Systeme ständig weiterentwickelt: neue Werkstoffe (z.B. Rohlinge mit Farbverlauf für eine verbesserte Ästhetik), neue Software-Tools zur Konstruktion oder eine verbesserte Anwenderfreundlichkeit sind Beispiele für diese Neuerungen. Bei den dentalen Fertigungssystemen kann weiterhin zwischen zentraler und dezentraler Fertigung unterschieden werden. Die zentrale (oder: industrielle) Fertigung bietet den Vorteil der Herstellung unter kontrollierten Bedingungen (z.B. Reinraumbedingungen). Investitionskosten für Fräsmaschinen entfallen, am gewohnten Ablauf (Zahnarzt-Labor-Zahnarzt) ändert sich aus zahnärztlicher Sicht nur sehr wenig (Zahnarzt-Labor-Fertigungszentrum-Labor-Zahnarzt), sofern eine konventionelle Abformung und Modellherstellung vorgenommen wird. Bei der dezentralen Fertigung können Design-Parameter, sofern gewünscht und die Software dies zulässt, vor Ort beeinflusst werden. Für diesen frühzeitigen Einstieg in die Wertschöpfungskette müssen mindestens ein Digitalisiergerät (nur Scannen dezentral bei zentraler Fertigung) und gegebenenfalls auch Software, Schleifmaschinen und Spezialöfen angeschafft werden.

Durch den Einsatz neuer intraoraler Digitalisierverfahren in Kombination mit Rapid-Prototyping-Technologien ist ein Verzicht auf die klassische Abformung und Modellherstellung denkbar. Der erfasste Datensatz wird digital an ein zentrales Fertigungszentrum gesandt und das Modell anhand der digitalen Daten generiert. Modell und Restauration werden dann aus dem Fertigungszentrum an das zahntechnische Labor geschickt, um dort die Verblendung vorzunehmen. Dabei ändert sich die zeitliche Abfolge grundlegend (Zahnarzt-Fertigungszentrum-Labor-Zahnarzt).

Lesen Sie in Ausgabe 6-2010 der DENTALZEITUNG (Erscheinung: 19. November 2010) den zweiten Teil dieses Artikels mit dem Schwerpunkt „Klinik“.

Autoren: Dr. Sebastian Quaas, Dr. Heike Rudolph, Prof. Dr. Ralph G. Luthardt

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