Implantologie 02.02.2023

Erfolgreiche Schnittstelle Aligner – Implantologie



Erfolgreiche Schnittstelle Aligner – Implantologie

Foto: Prof. Dr. Sigmar Schnutenhaus

Was sollten Zahnärzte tun, um eine gute Implantatprothetik zu erreichen? Bevor eine Rehabilitation mit Implantaten und Prothetik geplant wird, gehört es im Sinne eines lege artis-Ablaufs dazu, den PAR- und Funktionszustand zu erheben und Patienten, wenn nötig, entsprechend vorzubehandeln. Zu einer modernen Zahnmedizin gehört heute längst mehr: Zunehmend erfahren Zahnärzte ein Bedürfnis der Patienten nach möglichst idealer Gesamtästhetik. Inwieweit eine kieferorthopädische Vorbehandlung mit Alignern eine wertvolle Option darstellt, um implantologische Maßnahmen und prothetische Versorgungen patientenfreundlich vorzubereiten, veranschaulicht der folgende Anwenderbericht am Beispiel eines Alignersystems. Die Integration der Alignertherapie in die implantatprothetische Rehabilitation optimiert die Ausgangssituation deutlich und sorgt für eine starke Resonanz und hohe Patientenzufriedenheit.

„Wer aufhört, besser zu werden, hat aufgehört, gut zu sein“, lautet ein Zitat des Firmengründers Robert Bosch. Dazu gehört in der Zahnmedizin, über den eigenen fachlichen Tellerrand zu blicken, offen für die Wünsche und Bedürfnisse der Patienten zu sein, ihnen zuzuhören und regelmäßig Praxisabläufe und Behandlungsverfahren auf den Prüfstand zu stellen. Nicht nur das Interesse von Patienten an der Möglichkeit, ästhetische Zahn-fehlstellungen mithilfe von diskreten transparenten Alignern in der Zahnarztpraxis korrigieren zu lassen, steigt immer mehr an. Auch die Aufmerksamkeit hinsichtlich möglichst optimaler Ästhetik bei prothetischen Restaurationen hat zugenommen. Die Erfahrung in der eigenen Praxis hat gezeigt, dass es heute eher unerwünscht ist, z. B. altersentsprechende natürliche Verschachtelungen innerhalb einer prothetischen Rehabilitation bewusst einzuarbeiten. Der Zeitgeist zielt in eine andere Richtung.

Aligner als Teil der multidisziplinären Behandlung

Vor diesem Hintergrund und der langjährigen digitalisierten Praxisabläufe wurde das Behandlungsangebot um die präprothetische Therapie mit Alignersystemen (z. B. ClearCorrect®, Straumann) erweitert. Diese überzeugen dadurch, dass die Therapieabläufe innerhalb des Therapiesystems sehr strukturiert und unkompliziert aufgebaut sind und eine einfache Integration in den Praxisalltag erlauben. Grundsätzlich können Alignersysteme sowohl mit dem konventionellen Weg über Oberkiefer- und Unterkieferabformungen als auch mit Intraoralscannern genutzt werden. Wenn die Praxis digital aufgestellt ist und das Team mit Intraoralscans arbeiten kann, empfiehlt sich dieses Vorgehen, da der gesamte Workflow digital abläuft. Es hat sich gezeigt, dass es die Aligner-therapie als Teil der Gesamtbehandlung erleichtert, die Ausgangssituation im Vorfeld einer Implantation zu optimieren, z. B. durch Auflösen von Engstellungen und Ausformung der Zahnbögen oder durch Aufrichtung gekippter Zähne zur Optimierung einer Lückensituation. Das Zusatzangebot der Alignertherapie schafft zudem ein hohes Maß an Patientenzufriedenheit, da Patienten im Rahmen von prothetischen Versorgungen weiterhin im vertrauten Umfeld der Praxis behandelt werden können und das Gesamtergebnis in ihrem Sinne ästhetischer ist. Die daraus resultierende begeisterte Resonanz und hohe Zufriedenheit stärken auch die weitere Beziehung zwischen Behandler und Patient.

Wie jedes neue Verfahren gehört eine gewisse Lernkurve dazu. In der praktischen Umsetzung erhalten Behandler ein breites Unterstützungsangebot durch praxisnahe Einführungs- und Anwenderkurse im Online- oder Präsenzformat. Hilfestellung bei konkreten Fallplanungen, etwa in der Anfangsphase oder bei komplizierteren Fällen, erhalten Behandler durch Experten vom Treatment Planning Service oder Clinical Advisor der jeweiligen Anbieter der Alignersysteme, die eine exakte 3D-Behandlungsplanung erstellen. Mit einigen gezielten Fortbildungen lassen sich Möglichkeiten und Grenzen der Alignertherapie erkennen und entsprechend realistisch beurteilen. Es gibt Fälle, die gehen leichter und andere, bei denen Revisionen nötig sind. Wichtig ist allerdings, dass Alignersysteme auch mit entsprechender Planungssoftware verfügbar sind, um Vorschläge zu prüfen und zu genehmigen.

KFO, Implantologie, Prothetik in Kombination – ein Fallbeispiel

Eine 37-jährige Patientin mit allgemeinmedizinisch unauffälliger Anamnese kam zunächst akut mit einer apikalen Parodontitis an Zahn 37 in die Praxis. Bereits mehr als zehn Jahre haben ihr die Zähne 15, 25, 35 und 45 gefehlt (Abb. 1). Im Zuge der Akutbehandlung an Zahn 37 hat die Patientin von sich aus den Wunsch nach einer Gesamtsanierung geäußert. Die Zahnlücken waren beim Sprechen deutlich zu sehen und sie wünschte sich ein harmonisches Erscheinungsbild, um wieder befreit zu lachen.Bei den implantatprothetischen Überlegungen ist berücksichtigt worden, dass die Zähne 14 bis 23 naturgesund waren. So ist im Beratungsgespräch die minimalinvasive Option angesprochen worden, mithilfe von Alignern die Ausgangssituation zu optimieren und die Lücken zur Aufnahme von Implantatkronen adäquat zu öffnen. An dieser Stelle sei erwähnt, dass zum Praxiskonzept des Autors gehört, einen geringen Unkostenbeitrag für eine erste Planung nach Ober- und Unterkieferscan, Fotostatus sowie Profil- und Seitenaufnahmen in Rechnung zu stellen. Die Erfahrung hat gezeigt, dass auf diese Weise Planungen nicht beliebig in Anspruch genommen werden, sondern sich Patienten bereits gezielt mit der möglichen Aligner-therapie und ihren Erfordernissen auseinandersetzen.

Individuelle 3D-Behandlungsplanung

Zunächst wurden ein Orthopantomogramm und ein Fotostatus (Abb. 2a–c) erstellt sowie Intraoralscans durchgeführt. Diese Daten wurden als .stl-Datei an das Aligner-system (ClearCorrect®, Straumann, Doktorportal) übermittelt und es erfolgte im Spätsommer 2021 die 3D-Behandlungsplanung durch das Technikerteam. Eine Software (ClearPilot®, Straumann) ermöglicht es, die Planung schrittweise nachzuvollziehen und auf Wunsch anzupassen. Nach der sorgfältigen Kontrolle der geplanten Schritte wurde die Therapie durch den Behandler final freigegeben. Beim Besprechungstermin konnten der Patientin der Ablauf veranschaulicht und sowohl Ausgangssituation als auch das angestrebte Ziel visualisiert werden. Im vorliegenden Fall wurde hinsichtlich kieferorthopädischer, chirurgischer und prothetischer Phase überlappend geplant. Das ermöglichte einen patientenorientierten und zeitsparenden Ablauf, was im Sinne der Patientin war.

Schon zu Beginn ist es erforderlich, sich einige Aspekte bewusst zu machen, z. B., dass mit Implantaten keine Veränderung der Positionierung erzielt werden kann. Das muss entsprechend vorausschauend bei der Planung berücksichtigt werden. Ebenso sollte bei der kombinierten Planung beachtet werden, dass durch den operativen Eingriff Veränderungen eintreten. Im vorliegenden Fall wurde etwa statt transgingivaler Einheilung der Implantate eine subgingivale Einheilung eingeplant, damit gewährleistet war, dass die Patientin die Schienen weiterhin tragen konnte.

Phase eins

Für die erste präimplantologische aktive Phase (Abb. 3a–c) sah die Planung neun individuell gefertigte Schienenpaare (entspricht 18 Wochen Tragezeit) sowie zwei Attachments (an 23 und 43) vor, die zum zweiten Schienenpaar (also nach 14 Tagen) an die Eckzähne im Ober- und Unterkiefer aufgebracht wurden. Die Aligner werden in der Regel alle 14 Tage gewechselt. Eine Schmelzreduktion war im vorliegenden Fall nicht notwendig. Die Patientin hatte sehr schnell in die Alignertherapie eingewilligt und im Oktober 2021 mit dieser begonnen. Sie lief ausgesprochen komplikationsarm ab.

Das Alignersystem ist unauffällig und damit diskret zu tragen (Abb. 4). Die Aligner bestehen aus dreischichtigem Multilayer-Material (ClearQuartz®), das über eine hohe Retention verfügt und nicht verfärbt. Da die glatte, gerade verlaufende Trimmlinie anders als bei anderen Alignern über den Gingivarand hinaus verläuft, erhöht sich der Tragekomfort beim Patienten. Dadurch entstehen auch höhere Abzugskräfte, wodurch sich in der Regel die Zahl der Attachments im Vergleich zu ähnlichen Therapien reduziert.1, 2 Darüber hinaus gewöhnt sich die Zunge rasch an die Schiene, sodass das Sprechen schnell wie gewohnt klingt. Da die Aligner herausnehmbar sind, müssen sich Patienten in ihren Essgewohnheiten oder Zahnpflegemaßnahmen nicht umstellen. Die einzelnen Schienen werden in der Regel nach 14 Tagen gewechselt, dadurch werden Veränderungen schnell deutlich, was viele Patienten zusätzlich motiviert.

Phase zwei

Im März 2022 erfolgte der chirurgische Eingriff. In den vorbereiteten Lücken wurden vier Implantate inseriert (Regio 15: Straumann Bone Level Tapered D 3,3 L 12 mm; Regio 24 BLT D 3,3 L 10 mm; in Regio 37 sowie Regio 45 BLT D 4,1 L 10 mm; Abb. 5) Während der Einheilungsphase erfolgte die zweite Phase mit sechs Schienenpaaren (zwölf Wochen Tragezeit). Diese Phase entspricht der ersten (geplanten) Revision. An den Attachments wurden keine Veränderungen vorgenommen. Anschließend waren die Lücken entsprechend geöffnet und optimiert, sodass die implantatprothetische Versorgung erfolgte.

Phase drei

Unmittelbar nach Einsetzen der Prothetik wurden neue Intraoralscans der neuen Situation gemacht und in das Doktorportal hochgeladen. Damit es zu keinen Rückstellungen kommt, muss dieser Schritt zügig erfolgen. Die Patientin erhielt im Juni 2022 für die letzte Phase sieben individuell gefertigte Schienenpaare (Abb. 6a–c). Sie ist mit dem vorläufigen Ergebnis bereits sehr zufrieden (Abb. 7a–c und 8). Aufgrund eines Motivationsknicks ist die Patientin noch in der aktiven Phase der Alignertherapie, um die Lücke um Zahn 12 zu reduzieren und eine weitere Harmonisierung zu erzielen. Als Retainer sind vorab gefräste Titan-Splints geplant, die an der Lingualfläche der Frontzähne befestigt und dauerhaft getragen werden.

Fazit für die Praxis

Eine Alignertherapie als Teil der Gesamtbehandlung ist nicht nur praxistauglich, sondern aus Sicht des Autors zeitgemäß und praxisnotwendig. So wie es heute zu einem umfassenden Aufklärungsgespräch gehört, über Implantate als Option bei der Versorgung von Lücken zu sprechen, so könnte es zukünftig als Behandlungsfehler gelten und zu rechtlichen Auseinandersetzung führen, im Zuge der (Implantat-)Prothetik nicht auf vorbereitende kieferorthopädische Maßnahmen einzugehen. Es gehört zu einem fortschrittlichen Praxiskonzept dazu, seinen Blick als Behandler zu öffnen, neue Verfahren kennenzulernen und sich weiterzuentwickeln.

Wer als Zahnarzt ein grundsätzliches Interesse an der Kieferorthopädie mitbringt, profitiert mit dem Zusatzangebot Alignertherapie als Teil einer Gesamtbehandlung. Sie optimiert die Ausgangssituation für chirurgische und prothetische Versorgungen. Darüber hinaus kommt sie den Bedürfnissen und Wünschen der Patienten entgegen und stärkt die Zahnarzt-Patienten-Bindung. Der multidisziplinäre Ansatz eignet sich für jeden, der offen ist, über den fachlichen Tellerrand hinauszublicken und sich mit Möglichkeiten und Grenzen der Alignertherapie zu beschäftigen. Das fachliche Know-how ist mit einigen gezielten Fortbildungen schnell aufgegriffen. Ist die Praxis bereits digital aufgestellt, kann das Team auf vorhandene Ressourcen und digitale Workflows zugreifen, ohne in Hard- oder Software zu investieren. Neue Konzepte in die Praxis zu integrieren, motiviert das gesamte Praxisteam und ebnet den Weg für fortschrittliche Behandlungskonzepte.

Die Literaturliste zum Anwenderbericht finden sie hier.

Dieser Beitrag ist im Implantologie Journal erschienen.

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