Implantologie 11.04.2014

Minimalinvasive Implantatprothetik – „Punktschweißen im Mund“



Minimalinvasive Implantatprothetik – „Punktschweißen im Mund“

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Während die chirurgische Phase der Implantologie mit dem Erreichen der Osseointegration mittlerweile ausgereizt zu sein scheint, ist in letzter Zeit vermehrt zu Recht das Augenmerk auf den prothetischen Teil der Behandlung gerichtet. Verbesserungen in der Zahnersatzversorgung auf Implantaten sind angesichts der nicht zu unterschätzenden Komplikationsrate anzustreben. Die hier vorgestellte Methode mit im Mund direkt hergestellten Metallgerüsten aus reinem Titan mithilfe des Punktschweißens stellt eine vielversprechende Ergänzung dar.

In dem schnelllebigen implantologischen Teilgebiet „Implantologie der Zahnheilkunde“ sind neue Errungenschaften nicht selten. Die Punktschweißtechnik kann nun im Mund des Patienten durchgeführt werden und stellt eine wirkliche Innovation dar. Dank ihr lassen sich Metallgerüste aus reinem medizinischen Titan direkt enoral auf den inserierten Implantaten bzw. deren eigens dafür hergestellten Abutments anfertigen. Diese Gerüste können durch den Zahntechniker unschwer für eine dauerhafte, langlebige Zahnersatzversorgung verblendet werden.

Material und Methode

Die Punktschweißmethode stellt eine sehr sichere Verbindung zweier Werkstücke aus Metall dar. Sie kann in der allgemeinen Technik auf eine lange Geschichte zurückblicken und hat sich in der Industrie, z.B. bei der Automobilbranche, bereits bewährt. So besitzt etwa ein deutscher Mittelklassewagen ca. 3.500 bis 4.000 Punktschweißstellen. Degidi et al. haben es mit ihren Arbeiten nunmehr möglich gemacht, dass diese Verfahrensweise in der zahnärztlichen Implantologie nutzbar geworden ist. Dabei können Titandrähte unterschiedlicher Dicke (1,2; 1,5; 2,0 mm Durchmesser) mit sogenannten Schweißhülsen direkt im Mund des Patienten verschweißt werden. Auf diese Art und Weise erhält man ein rein aus Titan bestehendes Metallgerüst erheblicher Stabilität. Die exklusiv von DENTSPLY Implants angebotene Maschine gibt in Millisekunden hohe vom Netzstrom umgewandelte Energie frei (Abb. 1). Die dabei sich entwickelnde Wärme verursacht ein Aufschmelzen der Metalloberflächen, sodass bei der anschließenden Abkühlung ein Verschmelzen der Titanmoleküle stattfinden kann. Durch die Vermischung der Titanteile ist eine direkte molekulare Verbindung der beiden Werkstücke entstanden, die die gleiche Stabilität wie das ursprüngliche Material aufweist. Ungewünschte oder gar für die Osseointegration gefährdende Wärme ist durch den so kurzen Energiestoß und die träge Leitfähigkeit des Metalls Titan ausgeschlossen. Das im Sinne des „Passive Fit“ gewonnene Gerüst kann nunmehr vom Zahntechniker nach Sandstrahlen und Silanisieren mit Kompositmaterialien verarbeitet bzw. verblendet werden. Diese kostensparende Zahnersatzrehabilitation kann in wenigen Stunden von der Zahntechnik fertiggestellt werden. Behandlungskonzepte, wie Sofortversorgung mit primärer Verblockung oder die Vorgehensweise nach dem „One Abutment at one Time“-Protokoll, lassen sich mit diesem Tool sicher in den Praxisablauf integrieren. Der Verfasser kann bereits auf viele Fälle verschiedenster Indikationsbereiche zurückblicken. Die Haltbarkeit der Restauration kann bestätigt werden und hat sich bewährt. Die in der Implantologie noch junge Technik wird sich weiterentwickeln und ihre vielen Möglichkeiten lassen sich zum jetzigen Zeitpunkt nur erahnen. Mithilfe eines klinischen Falls soll die Verfahrensweise im Folgenden verständlich dargestellt werden.

 

 

Fallbericht

Epikrise
Bei dem 73-jährigen männlichen Patienten mussten im August 2013 die Zähne 37 und 38 entfernt werden. Der damit entstandene Verlust der Brückenglieder 35 und 36 verursachte daher ein Entstehen der Freiendlücke mit dem endständigen Zahn 34 (Abb. 2). Die parodontalen Zustände der Restbezahnung zeigten sich altersgemäß unauffällig, funktionelle Probleme waren nicht vorhanden. Der Patient befindet sich regelmäßig im Prophylaxe-Recall. Die Implantate des linken Oberkiefers sind seit 2007, im rechten Oberkiefer seit 2006, symptomlos bei stabilen Knochenverhältnissen in situ. Aufgrund der unauffälligen Anamnese und der guten knöchernen Voraussetzung sowohl in der vertikalen wie auch in der transversalen Dimension im dritten Quadranten konnte in Absprache mit dem Patienten eine Sofortversorgung angestrebt werden. Mithilfe der Widerstandspunktschweißtechnik konnte ein spannungsfreies, stabiles und dauerhaftes Metallgerüst für die primäre Verblockung der beiden Implantatbrücken hergestellt werden – eine ideale Ergänzung für die Sofortversorgung.

Therapie
Nach der allgemein üblichen Prädiagnostik konnten ca. zwei Monate nach Entfernung der Zähne im linken Unterkiefer in Regio 35 und 37 bei komplikationslosem Prozedere zwei XiVE Implantate der Firma DENTSPLY Implants eingebracht werden. Es ergab sich, wie bei dem qualitativ und quantitativ guten Knochenangebot zu erwarten, eine angepasste Primärstabilität der Implantate. Es wurden jeweils Implantate der Größe 4,5 im Durchmesser und 13 mm Länge inseriert. Die ISQ-Werte mit dem Ostell-Gerät betrugen über 70, sodass in jeder Hinsicht einer Sofortversorgung nichts im Wege stand. Die Implantate zeigten sich komplett von Knochen umgeben, die Knochendicke betrug über die gesamte Implantatoberfläche mindestens 2 mm.

Intraorales Schweißen
Nach erfolgreicher Implantation wurden die Einbringadapter (TempBase-Teile) entfernt und abgewinkelte Distanzhülsen nach dem Smart fix-Programm endgültig auf den Implantaten verschraubt. Mithilfe der 15 Grad geneigten Aufbauteile konnte die Divergenz der Implantate, die sich im Unterkieferseitenzahnbereich aufgrund der Linea mylohyoidea oftmals ergeben, ausgeglichen werden. Diese verschraubten „Mesio“-Abutments wurden mit 24 Newtonzentimeter endgültig eingebracht und werden in der Folge nicht mehr entfernt (Abb. 3). Das weitere prothetische Vorgehen kann dann stets auf Gingivaniveau und nicht mehr auf Knochenniveau erfolgen. Neben der ungünstigen Manipulation von Aufbauteilen direkt auf Implantatniveau in unmittelbarer Umgebung des Knochens kann dabei ein weiterer Vorteil erzielt werden: Die Mukosamanschette kann sich ungestört, ohne weiteres Entfernen bzw. Einbringen von Aufbauteilen im Bereich der Durchtrittsstelle der Implantate, in die Mundhöhle an die Unterseite der Abutments hemidesmosonal anlagern. Noch bei offenem OP-Situs wurden die eigens für die Widerstandspunktschweißtechnologie hergestellten Schweißhülsen auf die Smart fix- bzw. MP Classic-Aufbauten eingeschraubt. Diese sogenannten Schweißhülsen werden zunächst nur handfest fixiert (Abb. 4). Anschließend erfolgt der vielleicht sensibelste Arbeitsschritt während der gesamten Vorgehensweise. Es muss ein spannungsfreies Anpassen des Titandrahts, in diesem Fall 1,5 mm im Durchmesser, an die Position der Implantate bzw. die Schweißhülsen erfolgen. Ein speziell dafür angebotenes Instrumentarium der Firma Ustomed kann die Adaptation der Titandrähte erheblich erleichtern. Nachdem der Titanbügel entsprechend vorbereitet ist, kann der eigentliche Schweißvorgang beginnen. Hierzu ist es sinnvoll, mit den Fingern den Bügel an einer Stelle manuell zu fixieren und an der leichter zugänglichen Stelle die „Schweißzange“ an Titanbügel und Abutment zu führen (Abb. 5). Der Schweißvorgang, der den Eingriff und die gesamte Behandlungszeit in keinster Weise in die Länge zieht, ist im Millisekundenbereich geschehen. Nach einer Wartezeit von vier bis fünf Sekunden kann die Zange entnommen und der Draht an der zweiten Schweißhülse in gleicher Art und Weise fixiert werden (Abb. 6). Zur zusätzlichen Stabilisierung des Metallgerüsts gerade im Bereich des Kauzentrums und in Anbetracht der antagonistischen implantatgetragenen Brückenkonstruktion ist ein zweiter Draht in überkreuzter Lage angebracht worden.

Kontrolle und Prothetik
Um den spannungsfreien und exakten Sitz des Metallgerüsts im Sinne des „Passive Fit“ übersichtlich und präzise zu überprüfen, werden die Halteschrauben der Schweißabutments gelöst. Dies ist umso wichtiger, falls mehr Implantate für ein prothetisches Gerüst zur Verfügung stehen. Ist die korrekte Passform des Gerüsts gewährleistet, werden die Schrauben für die Schweißhülsen erneut handfest fixiert. Mit einem Kompositmaterial, z.B. Material zur Herstellung von Kronen- und Brückenprovisorien, wird dieses Gerüst nunmehr mit der Nachbarbezahnung verschlüsselt (Abb. 7). Der „Provisoriumskunststoff“ hat sich aufgrund der schnellen Abbindezeit und der günstigen Applikationsmethodik mithilfe der Kartuschen bewährt. Nach Aushärtung des Kompositmaterials wird mit Registriersilikon eine einfache Quetschbissnahme im Sinne eines Registrats und zur zusätzlichen Verschlüsselung des Gerüsts an der Restbezahnung eingebracht (Abb. 8).  Dabei ist die vertikale Dimension geringfügig gesperrt, die dann vom Techniker im Artikulator durch Absenken und Bearbeitung des Metallgerüsts ausgeglichen werden kann. Dieses verschlüsselte und stabile Metallgerüst wird nunmehr entfernt und zum zahntechnischen Labor weitergeleitet. Der chirurgische Eingriff kann mit Aufbringen von Schutzkappen bzw. Heilungskäppchen und der anschließenden Naht in der Regel mit resorbierbarem Nahtmaterial abgeschlossen werden (Abb. 9). Der Patient kann jetzt die Praxis für einige Stunden verlassen.

Zahntechnisches Vorgehen
Die dem Zahntechniker zur Verfügung gestellte Konstruktion mit den definitiven Schweißhülsen sowie der Kunststoff- und Silikonverschlüsselung ermöglicht dem Techniker ein Einbringen von fiktiv gesetzten Implantaten in das im Vorfeld bereits angefertigte Hartgipsmodell (Abb. 10). Es ergibt sich somit ein Implantatmodell, das mittels der Schweißkonstruktion ohne weitere Abdrucknahme und mögliche Fehlerquellen zur Weiterarbeit dient. Die exakte Passform ist weiterhin gesichert (Abb. 11a und b). Der Zahntechniker kann auf allgemein übliche Art und Weise das Metallgerüst bearbeiten und verblenden (Abb. 12a und b). Dies ist in wenigen Stunden, ohne dabei die Techniker sehr in Zeitdruck zu versetzen, geschehen. Nach Ausarbeitung der Brückenkonstruktion ist noch am gleichen Tag die Eingliederung der Brücke am frisch operierten Patienten möglich. Neben der einfachen Zahntechnik sind bei stabilem Metallgerüst erhebliche Kosteneinsparungen zu erzielen.

Prothetische Eingliederung und Abschluss der Behandlung
Wenige Stunden nach Abschluss des chirurgischen Teils der Behandlung kann der Patient erneut in die Praxis zur definitiven prothetischen Versorgung kommen. Die Entfernung der Heilungskäppchen und das Eingliedern der verschraubten, bedingt festsitzenden Kronen- Brückenkonstruktion stellt bekanntermaßen eine Routinemaßnahme bei der implantologischen Behandlung dar (Abb. 13). Der Patient kann nach Anfertigung des Abschlussröntgenbilds in wenigen Minuten die Praxis mit festen Zähnen verlassen (Abb. 14a und b). Zunächst wird die okklusale Ausarbeitung der Brücke in geringer Nonokklusion gestaltet. Es soll sich nunmehr in den nächsten Wochen ein Knochenremodelling und auch eine Weichteiladaptation ausbilden. Erst nach Ablauf von einigen Wochen und dem Abschluss des sogenannten Knochentrainings wird die Brücke zur definitiven okklusalen Ausarbeitung im maximalen Vielpunktkontakt geändert. Auch dieser Arbeitsschritt ist in wenigen Stunden vollendet. Die Arbeit kann nunmehr bereits im Follow-up über ein Jahr bei symptomlosem Zustand beobachtet werden.

Zusammenfassung

Mit entsprechenden Voraussetzungen ist eine Sofortversorgung von Implantaten wissenschaftlich anerkannt. Dabei ist die primäre Verblockung ein Schlüssel zum Erfolg. Das intraorale Schweißen ermöglicht die Herstellung eines stabilen, dauerhaften Metallgerüsts aus reinem Titan mit eigens dafür hergestellten Aufbauteilen der Firma DENTSPLY Implants, sogenannten Schweißhülsen, in wenigen Minuten. Das auf der Widerstandpunktschweißtechnologie basierende Vorgehen ermöglicht ein direktes, risikoarmes molekulares Verbinden von Titanteilen im Mund ohne Überhitzungsgefahr. Es kann bei frisch integrierten Implantaten sowie auch bei bereits osseointegrierten Implantaten nach der Einheilungszeit im Rahmen der Freilegung angewandt werden. Die Implantate bzw. der operative Eingriff werden nicht unnötig und für den Patienten unangenehm verlängert. Das gewonnene Titangerüst kann vom Zahntechniker in üblicher Art und Weise ausgearbeitet und verblendet werden, sodass eine bedingt festsitzende, bruchsichere Brücke noch am gleichen Tag definitiv eingesetzt werden kann. Der Verfasser kann bereits auf über ein Jahr Erfahrung mit vielen Fällen zurückblicken – die Ergebnisse sind vielversprechend und erfolgreich.

Studie: Prospektive Fünf-Jahres-Verlaufsstudie definitiver Sofortversorgungen zahnloser Patienten mittels eines intraoral verschweißten Titan-Gerüsts; A. Piattelli, D. Nardi, M. Degidi; ZZI 04/2012. Übrige Literatur beim Verfasser.

Der vorliegende Beitrag fußt auf den Erfahrungen der Autoren, entspricht aber nicht in allen Punkten der Ansicht der DGZI-Fachredaktion.

Autoren: Dr. Friedemann Petschelt, Dr. Matthias Millian, ZTM Thomas Kraußeneck

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