Kieferorthopädie 03.04.2012

Aligner-Orthodontie in kombiniert kieferorthopädisch- kiefergesichtschirurgischen Konzepten



Aligner-Orthodontie in kombiniert kieferorthopädisch- kiefergesichtschirurgischen Konzepten

Ein Beitrag von Dr. Boris Sonnenberg, Kieferorthopäde und Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Aligner Orthodontie (DGAO) aus Stuttgart.

In der Erwachsenentherapie nimmt die kieferorthopädische Behandlung mithilfe moderner Apparaturen einen immer wichtigeren Platz in der täglichen Praxis ein. Dabei hat sich die  Aligner-Orthodontie durch Nutzung der Modelldigitalisierung, dreidimensionaler virtueller Planung und Datenverarbeitung sowie Modellherstellung durch 3-D-Druckverfahren, Rapid Prototyping oder Stereolithografieverfahren in den letzten zehn Jahren sehr schnell weiterentwickelt.

Während Aligner anfangs lediglich für geringe Zahnkorrekturen eingesetzt wurden (z.B. bei leichtem frontalen Engstand, nach Teilrezidiven oder beim Fini­shing), hat sich ihr Indikationsbereich aufgrund des technischen und auch wirtschaftlichen Fortschritts auf dem Gebiet der Aligner-Orthodontie enorm vergrößert. Die sehr zeitaufwendige Planung der Bewegungen und Zahnsegmentverankerungen mittels Attachments (schwierig zu planen­de, vorprogrammierte Adhäsiv­aufbauten), intermaxillärer Gum­mizüge, Überkorrekturen und anderer zusätzlicher Hilfsmittel macht es längst möglich, auch schwere Zahnbewegungen und stark ausgeprägte Anomalien mithilfe der Aligner-Orthodontie kieferorthopädisch zu behandeln. Dies wurde durch die neueste Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Kieferorthopädie (DGKFO) aus dem Jahre 2011 sowie im Rahmen des 1. Wissenschaftlichen Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Aligner Orthodontie (DGAO) 2010 bestätigt. Die kieferorthopädische Behandlung mithilfe herausnehmbarer Aligner weist viele Vorteile ge­genüber der festsitzenden Technik auf. Hierzu zählen sicherlich die uneingeschränkte Mundhygiene sowie die Möglichkeit, durch die Herausnehmbarkeit der Aligner alles, selbst harte zähe Nahrung, zu sich nehmen zu können. Auch die Behandlung von Patienten, die geschäftlich viel unterwegs oder oft im Ausland sind, zeigt sich als höchst unproblematisch. Je­doch muss hierbei die entsprechende Patienten-Compliance (eine tägliche Tragezeit von 22 Stunden) gewährleistet sein.

Die Erwachsenenbehandlung ist oft geprägt durch einen tertiären Engstand, der sich in einer intra-maxillären Instabilität des frontalen Zahnbogensegments mit der Folge des frontalen Engstandes und dem Nachrücken, der Mesialwanderung des Seitenzahngebiets mit daraus resultierenden in­terok­klusalen Störkontakten manifestiert. Neben der Extraktion von Zähnen und der approximalen Schmelzreduktion als symptombezogene Behandlung stehen mit der festsitzenden Technik zahlreiche Distalisierungsmechaniken zur Verfügung. Diese kommen jedoch nur mit großem Aufwand oder invasiv zur Ursachenbehandlung zum Einsatz. Die kieferorthopädische Therapie mithilfe von Alignern macht es möglich, die Verankerungsverhältnisse sehr präzise zu planen. In der Anfangsphase der Behandlung wird z.B. bei einer Dista­lisierung der zweiten Molaren ei­ne Verankerungseinheit vom ers­ten Molaren über die Prämolaren, Eckzähne und Inzisivi aufgebaut. Diese Verankerungseinheit wird miteinander über die Aligner verbunden, jedoch nicht bewegt. Haben die zweiten Molaren ihre Endposition erreicht, werden sie in die Verankerungseinheit mit einbezogen und somit nur die ersten Molaren bewegt. Werden Zähne auf diese Art und Weise bewegt, sind sowohl die Verankerung als auch die Kraftverhältnisse während der Distalisierung vorhersehbar zu planen. In der kombiniert kieferorthopädisch-kiefergesichtschirurgischen Behandlung Erwachsener mit schweren Kieferanomalien hat die prä- und postchirurgische kieferorthopädische Therapie mit­tels Aligner durchaus ihre Berechtigung. In Zusammenarbeit mit dem Kiefergesichtschirurgen und unter Verwendung der Diagnostikunterlagen sowie axiografisch, volladjustiert einartikulierter Situationsmodelle wird die Planung der prächirurgischen Phase digital durchgeführt.

Die Dekompensation der einzelnen Kiefer mithilfe von Zahnstellungskorrekturen durch Auflösung von Engständen, Lückenbeseitigung, Angulations-, Rotations- und Inklinationskorrekturen stehen im Vordergrund der prächirurgischen Phase und gleichen der Vorgehensweise in der Behandlung mit festsitzenden Behandlungsmitteln. Allerdings besteht mit der digitalen Planung in der Aligner-Orthodontie die Möglichkeit, das Behandlungsergebnis nach dem chirurgischen Eingriff schon bei der Planung der ersten Zahnbewegung mit einzubeziehen. Somit sind direkte Zahnbewegungen zur gewünschten postchirurgischen Endposition möglich. Mit dem letzten Schritt der digitalen Planung wird der kiefer­gesichtschirurgische Schritt, die mono- oder bimaxilläre Osteotomie simuliert. Die postchirurgischen interokklusalen Kontakte bestimmen die Zahnstellung der prächirurgischen kieferorthopädischen Planung. Die intra- und postoperative Fixierung wird wie üblich intramaxillär mittels Osteosyntheseplatten sowie intermaxillär über einen Splint und Schuchardt-Schienen durchgeführt. Sind postchirurgisch noch kiefer­orthopädische Feinkorrekturen erforderlich, können diese – nach Entfernung der intermaxillären Fixierung – über Case Refinement Aligner oder einen Positioner realisiert werden. Bis zum Eintreffen der neuen Aligner oder der Anfertigung des Positioners können die letzten Aligner der Behandlung getragen werden. Die Retentionspha­se gleicht der einer üblichen kom­­bi­niert kieferorthopädisch-kiefer­gesichtschirurgischen Therapie mit festsitzendem Retainer und herausnehmbaren Retentionsgeräten.

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