Kieferorthopädie 08.12.2017
Ganz nah am „idealen“ System
Wer erfolgreich bleiben will, darf nicht stehen bleiben. Das sagen sich auch Dr. Richard McLaughlin und Dr. John Bennett, indem sie ihr Behandlungssystem immer weiter optimieren. KN sprach mit den beiden Kieferorthopäden über ihr jüngstes Konzept – McLaughlin Bennett 5.0.
Seit Jahrzehnten arbeiten Sie an der Realisierung eines „idealen“ Behandlungssystems. Dieses Ziel im Blick, optimierten Sie Ihr System, welches auf Dr. Andrews Arbeit2 basiert, kontinuierlich und passten es neuesten Erkenntnissen an. Mit McLaughlin Bennett 5.0, welches in Kooperation mit Forestadent entwickelt wird, ist nun die jüngste Modifizierung erhältlich. Welche neuen Erkenntnisse haben Ihre Arbeit hierbei über die letzten Jahre begleitet?
Nach all den Jahren fühlen wir, dass wir ganz nah dran sind, ein ideales System zur Verfügung zu haben. Unser Behandlungsansatz stellt dabei die einzige Philosophie dar, welche ein allumfassendes System bietet. Es umfasst eine ganze Reihe hochqualitativer Brackets, präzise Angaben bezüglich deren Platzierung sowie alle Informationen hinsichtlich Bogenform und Kraftniveaus. All dies wird zudem entsprechend durch unsere Bücher ergänzt. Unsere jüngsten Erkenntnisse der letzten Jahre sind in einer kleinen 15-seitigen Broschüre* mit dem Titel „McLaughlin Bennett 5.0“3 zusammengefasst, die bedeutende Fortschritte in insgesamt zehn Schlüsselbereichen beschreibt. Hierzu gehören das indirekte Kleben, die Bracketgenauigkeit, optimale Behandlungsbögen, die Reduzierung von Entkalkungen, die Verankerungsunterstützung, ein Fokus auf die Atemwege, die Effizienz durch approximale Schmelzreduktion, eine verbesserte Flexibilität, die Kontrolle des Behandlungsfortschritts sowie Finishingprotokolle. Wir sind von der Kompetenz Forestadents als Hersteller kieferorthopädischer Produkte sehr beeindruckt und unterstützen dessen Fokus bezüglich Qualität und Ausbildung. Im November 2016 verbrachte Dr. McLaughlin einen ganzen Tag mit Stefan Förster, dem Geschäftsführer Forestadents, der ihm eine hochqualitative Bracketserie vorstellte, die wir als logischen Nachfolger der MBT™-Serie ansehen. Die neuen Brackets bedeuten einen klaren Schritt nach vorn und mit ein paar kleineren Anpassungen sind wir startbereit.
Um gute Ergebnisse erzielen zu können, ist die Kontrolle von Tip, In-Out, Rotationen und Torque essenziell. Da Standard- bzw. gefräste Full-Size-Metallbrackets in Ihren Augen diese exzellent ermöglichen, bevorzugten Sie zunächst diese. Danach wechselten Sie zu MIM-Brackets, um dann aufgrund festgestellter Ungenauigkeiten im Bracketslot wieder zu den (im CNC-Verfahren) gefrästen Brackets zurückzukehren. Seit 2016 arbeiten Sie nun mit Forestadent zusammen und untersuchen deren im MIM-Verfahren hergestellten Mini- Sprint®-Brackets und Tulip Bukkalröhrchen, welche als Teil der McLaughlin Bennett 5.0 Technik erhältlich sind. Warum halten Sie diese für empfehlenswert?
Wie Sie schon sagen, waren wir anfangs mit den original gefrästen und in München gefertigten Full-Size-MBT™-Brackets glücklich. Doch dann fingen die Schwierigkeiten an, als die kieferorthopädische Fachgemeinschaft in den 1990ern zu den Mid-Size-Brackets wechselte. Die kleineren, mithilfe des Metal-Injection-Moulding-Verfahrens (MIM) hergestellten Brackets boten weniger Zahnkontrolle, sodass wir mehr biegen und Bogenanpassungen vornehmen mussten. Wir hatten den Eindruck, dass die Slotgröße zwar mit .022'' angegeben, in Wirklichkeit jedoch oft deutlich größer war, wie eine entsprechende Studie zeigte.4 Auf der Suche nach einer besseren Slotgenauigkeit arbeiteten wir eine Weile mit opal®-Brackets (Fa. Opal Orthodontics). Diese wurden mithilfe des Computer-Numerical-Control-Verfahrens (CNC) gefräst. Jedoch stellten wir fest, dass diese Brackets aufgrund von Aspekten, die die Gleitmechanik sowie den Schneidezahntorque betreffen, für unsere Ansprüche nicht optimal funktionierten. Wir empfehlen Mini-Sprint-Brackets und Tulip Bukkalröhrchen aufgrund der Qualitätskontrolle, die Forestadent während des MIM-Fertigungsprozesses realisiert. Diese Bracketserie wurde extra für uns und die McLaughlin Bennett 5.0 Technik entwickelt und berücksichtigt alle neuen Formen, die gewünschte Genauigkeit sowie eine durchschnittliche Slotgröße von .022''8, was optimal für unsere Mechanik ist.
Mit dem McLaughlin Bennett 5.0 System ist eine neue Bogenserie verfügbar, die neben Heat Activated NiTi-Bögen auch Stahlbögen (Heat Treated, Ball Posted) umfasst. Worin sehen Sie die Vorteile dieser Bögen bei der Umsetzung Ihrer Behandlungsphilosophie?
Die neuen Bögen wurden in den letzten vier Jahren entwickelt. Sie sind speziell für unsere Mechanik geeignet, und wir freuen uns, dass diese ganze Bandbreite nun bei Forestadent erhältlich ist. Während der Alignmentphasen mit „leichten Kräften“ bieten die Heat Activated NiTi-Bögen ein sanftes Kraftniveau, das die Zähne zu einem optimalen Tip, Torque und In-Out führt. In den „Kontrollphasen“ der Behandlung eignen sich die neuen Stahl Posted-Bögen besser für die Gleitmechanik und Überbisskontrolle. Zudem sind sie komfortabler für den Patienten (Abb. 1a, b). Die neue Bogenserie hilft uns dabei, die Bracketeigenschaften optimal umzusetzen, inklusive Tip, Torque sowie In-Out. Beüglich der Zahnbogenform ist das McLaughlin Bennett 5.0 System so aufgebaut, dass es drei Bogenformen umfasst (Ovoid, Square, Tapered), je nach Ausgangssituation des Patienten. Und all diese sind mit dem neuen Bogensortiment über Forestadent beziehbar (Abb. 2). Wir legen großen Wert auf die Bogenform, denn es spricht nicht gerade für eine gute Kieferorthopädie, bei jedem Patienten die gleiche Form einzusetzen. Wir empfehlen einen zweiphasigen Ansatz, beginnend mit den drei Grundformen Ovoid, Square und Tapered und dann hinübergehend zu einer individuellen Form während der späteren Behandlungsphasen. Dies führt zu einer höheren Stabilität der Ergebnisse und ermöglicht ein mehr natürlich ästhetisches Lächeln.1
Glauben Sie, dass selbstligierende Brackets irgendwann einmal eine echte Alternative innerhalb Ihres Behandlungssystems sein könnten? Und wenn ja, was müssten diese mitbringen, um von Ihnen routinemäßig eingesetzt zu werden?
Selbstligierende Brackets funktionieren gut in den frühen Behandlungsphasen. In einer Box ist effektiverweise ein leichter Bogen enthalten, was einen klaren Vorteil während des frühen Alignments der Zähne darstellt. Sobald jedoch die Fälle in den Bereich der Vierkantbögen übergehen, gibt es einen „Alles-oder-Nichts-Einsatz“ von Bögen, wobei diese entweder slotfüllend sind oder nicht. Und dieser Umstand kann einen Nachteil darstellen. Einige Kieferorthopäden und deren Teams mögen die frühen Vorteile, während andere der Meinung sind, dass die späteren Nachteile die frühen Vorteile überwiegen. Manche Behandler bevorzugen das frühe und schnelle Ausrichten der Zahnkronen, welches mithilfe des Einsatzes von selbstligierenden Brackets möglich ist, und kombinieren die Selbstligation erfolgreich mit der McLaughlin Bennett 5.0 Behandlungsmethode.
Sie bevorzugen aufgrund der besseren Genauigkeit, des höheren Patientenkomforts oder der geringeren Stuhlzeiten das indirekte Klebesystem (Indirect Bonding System, IDBS). Trotz all ihrer Vorteile hat sich dieses jedoch noch immer nicht vollständig durchgesetzt. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?
Indirektes Kleben bringt viele Vorteile mit sich, auf welche wir in unserem neuesten Buch explizit eingehen.1 Die Technik (Abb. 3) liefert uns eine höhere Klebegenauigkeit, einen besseren Patientenkomfort während des Set-ups sowie eine verbesserte Praxiseffizienz. Jedoch erfordert ihr Einsatz eine steile Lernkurve, um wirklich gut darin zu sein. Viele Behandler versuchen es, bleiben aber aus diesem Grund nicht dabei. In unseren Praxen ist diese Technik in über 15 Jahren zur Normalität geworden. Wenn wir im Rahmen unserer Kurse mit Kollegen sprechen, erfahren wir eine größere Bereitschaft, zur IDBS zu wechseln. Einige Labore versuchen zudem, hier einen Service anzubieten.
Um Dekalzifikationen vorzubeugen, empfehlen Sie, statt eines kleinen Bereichs für die Bracketbasis besser die komplette Labialfläche des Zahns zu ätzen und anschließend eine Schicht Sealant aufzutragen. Wie sehen Sie in diesem Zusammenhang Brackets, die bereits mit Kleber versehen sind und somit weniger Klebeüberschüsse realisieren?
Es sind hier neue Produkte verfügbar, die Entkalkungen des Zahnschmelzes drastisch reduzieren oder sogar eliminieren. Eine Zeit lang haben wir Opal Seal™ verwendet und empfohlen, das sehr gut mit unserer Technik funktioniert. Wenn Sealants guter Qualität richtig angewandt werden, werden Dekalzifikationen der Vergangenheit angehören. Dies stellt eine wichtige Entwicklung in der kieferorthopädischen Versorgung dar, denn ein Patient wird sehr enttäuscht sein, wenn Zahnschmelzschädigungen zum Vorschein kommen, sobald die Brackets entfernt werden.
In den letzten Jahren wurden die Lingualtechnik und Alignertherapie immer weiter optimiert. Wie stehen Sie diesen Behandlungsmethoden gegenüber?
Nun, das sind gleich zwei Fragen. Die Lingualtechnik unterscheidet sich grundlegend von der bukkalen Kieferorthopädie und erfordert großes Können, um sie gut umzusetzen. Es bedarf verschiedener Apparaturen und Bögen, nebst einer Änderung in der Behandlungsmechanik sowie dem Terminmanagement. Manche Kieferorthopäden haben für sich entschieden, dies zu realisieren, die meisten jedoch nicht. Wird die Technik perfekt umgesetzt, ist das in Ordnung. Jedoch ist es schwer, es „richtig zu machen“. Aligner sind am effektivsten bei der Korrektur oberer Frontzähne. Stellt sich ein Patient mit einer optimalen bukkalen Okklusion vor und wünscht eine Ausrichtung der Schneidezähne, sind Aligner meist die beste Option. Und unserer Meinung nach stellt dies auch die geeignetste Verwendung von Alignern dar. Wünschen Patienten jedoch eine optimale Korrektur der Malokklusion ihrer Zähne im posterioren Bereich, werden sie meist enttäuscht.
Mit der Digitalisierung des kieferorthopädischen Behandlungsworkflows stehen heutzutage nahezu grenzenlose Möglichkeiten zur Verfügung. Inwieweit beeinflusst das digitale Zeitalter Ihre Behandlungsphilosophie so wie tägliche Abläufe in der Praxis?
Die Digitalisierung ermöglicht es uns beispielsweise, unsere klinischen Aufnahmen in das Dolphin®-Softwareprogramm zu übertragen, sodass diese nicht nur jederzeit für unsere Mitarbeiter verfügbar sind, sondern auch Patienten und deren Eltern gezeigt werden können. Das Dolphin Imaging and Management System beschleunigt die Verarbeitung und das Management klinischen Materials, inklusive der Analyse cephalometrischer Aufnahmen, was wiederum die Praxiseffizienz steigert. Wir können viel leichter zu einem korrekten Behandlungsplan gelangen und entsprechend kommunizieren, was bei unseren Patienten erforderlich ist. Wir unterrichten beide weltweit und die Digitalisierung ermöglicht uns hierbei eine einfache Übertragung des erforderlichen Materials in Programme wie PowerPoint® oder Keynote®, was die Kommunikation unserer Konzepte im Kollegenkreis deutlich verbessert (Abb. 4). Zudem publizieren wir regelmäßig, wobei die Digitalisierung zur Optimierung von Inhalt und Qualität unserer Bücher beiträgt. Unser jüngstes Buch „Fundamentals of Orthodontic Treatment Mechanics”1 (Abb. 5) ist übrigens bereits in acht Sprachen erhältlich, und auch hier half uns die Digitalisierung erheblich bei der Umsetzung der englischen Version sowie der ihr folgenden Ausgaben.
Um Zahnbewegungen zu beschleunigen, werden heute diverse invasive sowie weniger invasive Verfahren angewandt. Was den jeweiligen Effekt betrifft, gehen die Meinungen weit auseinander. Wie schätzen Sie dieses Thema ein, und gibt es hierbei Verfahren, die bei Ihren Patienten angewandt werden?
Das ist eine große Frage. Es ist wichtig, daran zu erinnern, dass es viele Faktoren gibt, welche eine Zahnbewegung verlangsamen und die Behandlungszeit verlängern können. Diese umfassen gebrochene oder falsch geklebte Brackets, versäumte Termine oder eine mangelnde Mitarbeit des Patienten. Techniken zur „Beschleunigung von Zahnbewegungen“ scheinen einen interessanten neuen Ansatz zu bieten, jedoch die genannten Faktoren bleiben und können den Behandlungsfortschritt beeinflussen. Der Einsatz der Kortikotomie kann sich als effektiv bei der Bewegungsbeschleunigung in dividueller Zähne oder Zahngruppen erweisen. Jedoch, wird sie als etwas Aggressives angesehen, sodass die meisten Patienten es bevorzugen, die erforderliche Zeit für eine hochqualitative, konventionelle KFO-Behandlung in Kauf zu nehmen.
Die vollständige Literaturliste gibt es hier.
Dieser Beitrag ist in den KN Kieferorthopädie Nachrichten 12/17 erscheinen.