Parodontologie 12.05.2017

Die parodontale Therapie ist überholt und braucht ein Update



Die parodontale Therapie ist überholt und braucht ein Update

Foto: Dean Drobot – Shutterstock.com

Teil 11 der Serie: Ganzheitliche parodontale Therapieunterstützung – Ernährung (Teil 3)

Der Autor geht davon aus, dass die lokal keimreduzierende Therapie am Parodontium eine lokal temporäre Therapie ist. Nach seiner Auffassung hat Parodontitis einen multifaktoriellen Ursachenkomplex.

Der professionelle Therapiebeginn stellt die Voraussetzung, die Grundlage dar, ist aber nicht die Therapie und somit auch nicht ausreichend zum Stopp des Knochenabbaus. Für einen aus­geglichenen Knochenstoffwechsel ist ein regelmäßiges, individuelles Recall notwendig, kontinuierlich mit drei The­rapieschritten:

  1. Therapie der Entzündung durch Vermehrung positiver, regenerativer Mikroorganismen und Umstellung des Patienten auf Effektive Mikro­organismen (EM) – Teil 1, 4
  2. Therapie des Bone Remodeling – Teil 2, 3, 4, 5
  3. Ganzheitliche Betrachtung, mit Blick auf den Knochenstoffwechsel, einen ausgeglichenen Flüssigkeitshaushalt und eine adäquate Ernährung – Teil 6, 7, 8, 9, 10

Bone Remodeling

Knochen benötigt für seinen Struktur- und Funktionserhalt einen ständigen Stoffwechsel. Er befindet sich in einem dynamischen Zustand und wird fortwährend durch die koordinierten Ak­tionen von Osteoklasten und Osteo­blasten abgebaut, aufgebaut und neu formiert.4 Diese ständigen Umbauprozesse sind zwingend erforderlich, damit der Knochen nicht überaltert und seine Funktionen erfüllen kann.7 In diesem Bone Remodeling wird die gleiche Menge Knochen abgebaut wie nach­folgend wiederaufgebaut wird.1 Nor­malerweise werden 0,7 Prozent des menschlichen Skeletts täglich resor­-biert und durch neuen gesunden Knochen ersetzt.3 Das gesamte Skelett wird im Durchschnitt alle 142 Tage erneuert.8 Während bis zum 25. Lebensjahr ein Knochenaufbau erfolgt, bleibt die Knochenmasse danach relativ konstant.9 Bei einem gesunden Patienten bleibt das Bone Remodeling bis zum vierten Lebensjahrzent relativ kon­stant.3 Der danach folgende allmäh­liche Knochenverlust ist das Resultat eines negativen Bone Remodeling.23 Neuere Untersuchungen gehen von wesentlich geringeren Werten aus. Pro Jahr werden drei Prozent des korti­kalen und 25 Prozent des trabeku­­lären Knochens umgebaut. Innerhalb von sieben bis zehn Jahren wird das Äquivalent der gesamten Knochenmasse einmal abgebaut und neu synthetisiert.2

Zu viel Phosphor

Für diese ständigen Umbauprozesse im Knochenstoffwechsel wird Material benötigt. Genau wie bei der Instand­setzung eines alten Gebäudes neues Material benötigt wird, braucht auch der Knochenstoffwechsel Material.14 Als Mengenmineral vor allem Kalzium und Phosphat. Während wir Kalzium oft zu wenig in unserer Nahrung fin­den 15, haben wir ein Überangebot an Phosphor.Phosphate sind Salze und Ester der Phosphorsäure. Die normale Menge im Körperbestand beim Erwachsenen liegt bei circa 600 bis 700 Gramm.23 Davon befinden sich 85Prozent in Knochen und Zähnen, 14 Prozent in den Weichgeweben und nur 1 Prozent im Extra­zellulärraum. Der Knochen besteht zu 40 Prozent aus Hydroxyl­apatit, einem kalziumphosphathaltigen Kristall.21

Die Aufgaben von Phosphor im menschlichen Organismus6 umfassen:

01. Bestandteil wichtiger Moleküle im Organismus (Adenosin­triphosphat ATP und Adenosin­diphosphat ADP, Nukleinsäuren, Phospholipide usw.)
02. Notwendig für den Aufbau der Zellwände
03. Notwendig bei der Signalübertragung innerhalb der Körperzellen
04. Für Energiestoffwechsel und Energiegewinnung in den Zellen erforderlich
05. Phosphorylierung, ein elementarer biochemischer Regulationsmechanismus
06. Weitergabe genetischer Informa­tionen und notwendig für Aufbau der Erbsubstanz
07. Aktivierung einiger Enzyme
08. Mineralstoffwechsel
09. Puffersubstanz zur Aufrecht­erhaltung des Säure-Basen- Gleichgewichts im Blut
10. Puffersubstanz für Körperflüssigkeiten
11. Puffersubstanz bei der Urin­ausscheidung
12. Aufbau von Dentin und Zahnschmelz
13. Knochenmineralisierung und Stützfunktion des Skeletts

Alle Zellen und ihre Lebensprozesse benötigen Phosphor. Ohne Phosphor ist kein Leben möglich.5 Bislang ist man davon ausgegangen, das Phosphatgleichgewicht im Blut werde gemeinsam mit Kalzium gesteuert. Doch Phosphathaushalt und Phosphatausscheidung über die Nieren werden durch ein komplexes endokrines System reguliert. Das Schlüsselhormon zur Kontrolle des Phosphathaushaltes ist FGF-23, das in den Osteocyten gebildet wird.19

Die für die Kalzium- und Phosphat­homöostase bedeutsamsten Hormone sind Parathormon, Calcitriol (aktivier­tes Vitamin D), Calcitonin, Östrogen, Androgene, Schilddrüsen- und Wachstumshormone, Cortisol und Insulin und Fibroblasten-Wachstumsfaktor 23 (FGF-23). Sie fördern oder hemmen sich gegenseitig in ihrer Freisetzung und wirken an den Effektorganen teils synergistisch, teils antagonistisch. Reguliert wird die Aufnahme von Kal-zium und Phosphat im Darm, die Ausscheidung in der Niere und der Auf­bau/Ab­bau von Knochenmatrix, bei dem Kalzium und Phosphat stets gemeinsam gebunden und freigesetzt werden.19

„Kalziumräuber“ Phophor wird zu Phosphat

Nach der Nahrungsaufnahme gelangt das Phosphor direkt in die Blutbahn und liegt hier als Phosphat vor. Die Regulation erfolgt durch ein komplexes endokrines System mit dem Schlüsselhormon FGF-23. Dieses hat die Aufgabe, den Phosphatspiegel im Blut, trotz unterschiedlicher Phosphatzufuhr mit der Nahrung, konstant zu halten. Ein erhöhter Spiegel von FGF-23 führt zu einem Abfall des Phosphatspiegels im Blut, verminderter Produktion von Vitamin D und Knochenerweichung, negativem Einfluss auf den Kalzium­haushalt, schlechte Kalziumaufnahme und erhöhter Kalziumausscheidung. Ein verminderter Blutspiegel an FGF-23 führt zu erhöhten Phosphatspiegeln im Blut, vermehrter Vitamin D-Produktion, Weichteilverkalkung, überschießender Knochenbildung und verminderter Lebenserwartung, Erhöhung der Phosphatausscheidung über die Nieren und dadurch erhöhtem Kalziumverbrauch. Phosphor ist der Kalziumräuber. Dieser gesamte Regulations­mechanismus wird ursprünglich angekurbelt durch die Osteocyten. Sie sind es, die das meiste FGF-23 bilden. In der Regel ist es ein Mikroreiz, der zu FGF-23-Bildung und Ausschüttung führt. Zu viel FGF-23 führt zur Osteo­-lyse, zum Knochenabbau. Ein zu ge­ringer Spiegel an FGF-23 forciert den Knochenaufbau. Über diesen Aufbau und Abbau von Phosphor aus dem Knochen wird der Phosphatspiegel im Blut reguliert.

Zu viel Phosphat

Phosphat ist in allen natürlichen Nahrungsmitteln organisch gebunden vorhanden. Mangelerscheinungen sind bei unserem heutigen Angebot an Lebensmitteln und normaler Ernährung unwahrscheinlich. Dieser entsteht durch Funktionsstörungen – zum Beispiel Störungen der Nierenfunktion, Nebenschilddrüsen, Magen-Darm-Erkrankungen (Morbus Crohn, Zöliakie). Auch  die längerfristige Einnahme von säurebindenden Mitteln (Antazida) oder eine Alkoholkrankheit können Gründe dafür sein, dass nicht genügend Phosphor in den Organismus gelangt.In der Regel haben wir es mit einem Überangebot zu tun. Während die be­nötigte Menge 700 mg beträgt, liegt die durchschnittliche Phosphataufnahme bei 1.400 mg.20 Gesunde Menschen scheiden den Phosphorüberschuss mit dem Urin aus, verbrauchen aber dafür mehr Kalzium. Bei einer Unterfunktion der Nebenschilddrüse ist die Herstellung des Parathormons verringert. Dieses Hormon sorgt da­für, dass die Niere bei einer erhöh­ten Phosphorkonzentration mehr aus­scheidet.21

Der Bedarf an Phosphor hängt vor allem mit der Aufnahme von Kalzium zusammen und soll in einem Ver­hält­nis von 1:1,4 aufgenommen werden. Bei einer Hyperphosphatämie (zu hoher Phosphatspiegel) muss zur Korrektur das Verhältnis auf 1:2 erhöht werden.22

Beschwerden und Veränderungen bei chronisch hohem Phosphatspiegel
zeigen sich in:

1. Nebenschilddrüsenüberfunktion
2. Gewebeverkalkungen z.B. Gefäße, Knorpel, Nieren
3. Hemmung Vitamin D3
4. Juckreiz und Rötung der Bindehaut des Auges
5. Muskelkrämpfen und Gefühlsstörungen

Vor allem proteinreiche Nahrungsmittel enthalten wegen der erhöhten Kon­zentration an Nukleinsäuren viel Phosphor: mageres Fleisch, magerer Fisch, Magermilch, fettarmer Käse. In fettreichen Nahrungsmitteln hält sich der Phosphorgehalt wegen des gerin­geren Gehaltes an Nukleinsäuren in Grenzen.Milch, Käse, Joghurt hingegen ent­halten neben Phosphat auch viel Kalzium, wobei durch Einwirkung der Magensäure ein Teil des Phosphats durch Kalzium gebunden und dadurch im Darm nicht aufgenommen werden kann.

Die Phosphataufnahme im Darm ver­ringert sich durch Kalzium und Mag­nesium, aber auch Eisen und Alumi­nium binden das Phosphat. Phosphate werden zudem im großen Maßstab als Konservierungsmittel zur Haltbarmachung von Lebensmitteln eingesetzt (Schmelzkäse, Backpulver, Cola, Süßgetränke, Wurst, Fleisch, Fisch, Kakaopulver, Brot, Gebäck, Schokolade, Pralinen usw.).22

Fazit

Phosphor und Kalzium sind die Mengenminerale im Knochenstoffwechsel, außerdem gibt es in diesem kom­plexen Zusammenspiel weitere Beteiligte: Parathormon, Vitamin D-Hormon (Calcitriol), Calcitonin, Östrogen, An­drogene, Schilddrüsen- und Wachstumshormone, besonders FGF-23, Cortisol und Insulin. Bei unseren PA-Patienten diagnostizieren wir in der Regel ein Zuviel an Phosphor und ein Zuwenig an Kalzium. Zu viel Phos­phor in der Nahrung ist das eigent­liche Problem. Dadurch wird die Resorption von Kalzium verringert und die Kalziumausscheidung erhöht. Erschwerend kommt dazu, dass in der Regel zu wenig resorbierbares Kalzium in der Nahrung vorhanden ist. Phosphat wird zu 60 Prozent resorbiert und ist Kalzium somit überlegen, welches nur zu 40 Prozent resorbiert wird. Wird mehr Phosphor als Kalzium aufgenommen, steigt der Phosphatgehalt des Blutes an. Blut hat vier Puffer­systeme und ist bemüht, ein ausge­woge­nes Kalzium-Phosphor-Verhältnis im Blut aufrechtzuhalten. Dazu wird Kalzium aus dem Knochen mobilisiert um das Missverhältnis auszugleichen.Durch die heutigen Ernährungs­gewohnheiten mit viel konservierten Fleisch-, Wurst- und Fertigprodukten sowie Erfrischungsgetränken wird viel zu viel Phosphor zugeführt.

Die anhaltende Phosphatüberlastung ist eine wesentliche Ursache für viele degenerative Erkrankungen und auch für den verstärkten Knochenabbau. Die Empfehlung lautet daher: Viele frische Lebensmittel und weniger halt­bar gemachte Produkte auf den Speiseplan bringen und auf Fertig­gerichte verzichten, damit Blut und Knochen gesund bleiben.

In Teil 12 erfahren Sie mehr darüber, warum Mineralien alleine keine bruchfesten Knochen machen und welche Rolle Kollagen spielt.

Eine ausführliche Literaturliste finden sie hier.

Der Artikel ist in der ZWP Zahnarzt Wirtschaft Praxis 5/2017 erschienen.

Fortbildungen ...

… zu dieser Thematik mit Referent Dr. Ronald Möbius, M.S

Rosenheimer Arbeitskreis für zahnärztliche Förderung
Parodontale Therapie mit neuem Denkansatz – PA benötigt ein Update
19. Mai 2017 | Rosenheim | anmeldung@ro-ak.de

Güstrower Fortbildungsgesellschaft für Zahnärzte (gfza)
Die Revolution in der Parodontaltherapie
9. September 2017 | Güstrow | info@gfza.de

Landeszahnärztekammer Sachsen (LZÄK Sachsen)
PA-Therapie mit regenerativer Selbstheilung
15./16. September 2017 | Dresden | anders@lzk-sachsen.de

Landeszahnärztekammer Thüringen (LZÄK Thüringen)
Ein neuer Denkansatz in der Parodontologie/PA-Therapie mit regenerativer Selbstheilung
24./25. November 2017 | Erfurt | fb@lzkth.de

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