Abrechnung 13.08.2012
Rechtliche Aspekte der Alignerbehandlung
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Teil 4
Ob juristische Besonderheiten, gerichtliche Entscheidungen zu speziellen Befundsituationen, Verständigungen mit privaten Krankenversicherungen oder Fragen zu Abrechnung und Begutachtung – eine vierteilige KN-Artikelserie vermittelt sämtliche rechtliche Aspekte rund um die Alignerbehandlung.
Gebühren und Abrechnung
In letzter Minute, längst nachdem alle Stellungnahmefristen verstrichen waren, ergriff die Deutsche Gesellschaft für Alignerorthodontie (DGAO) eine Initiative mit der Anregung, im GOZ-Referentenentwurf vom April 2011 noch folgende Regelung ersatzlos zu streichen: „Die Maßnahmen im Sinne der Nr. 603–608 GOZ umfassen alle Leistungen zur Kieferumformung und Retention bzw. zur Einstellung des Unterkiefers in den Regelbiss, unabhängig von den angewandten Behandlungsmethoden (z.B. Attachments bei Alignern).“
Erstmals hatte sich damit der deutsche Gesetzgeber des Begriffes der „Aligner“ bedient.
Wäre diese Formulierung Gesetz geworden, so wäre die gemäß §6 Abs. 1 GOZ analoge Abrechnung der GOZ 610, 611 für die Eingliederung/Entfernung eines Attachments bei Alignern nicht mehr zulässig gewesen. Die Initiative war erfolgreich und die fragliche Formulierung wurde insgesamt gestrichen. Dies führt dazu, dass die analoge Abrechnung über GOZ 610, 611 weiterhin zulässig bleibt, mehr noch: Die zunächst vorgesehene Einfügung belegt den Standpunkt des Gesetzgebers, dass die Einbringung der Attachments mehr als nur ein Teilschritt bei der Schieneneinbringung darstellt und vom Leistungsinhalt der GOZ 603–608 eben nicht abschließend (als Teilleistung) erfasst ist. Durch die Streichung der vorgesehenen Formulierung hat der Gesetzgeber klargestellt, dass die analoge Abrechnung über GOZ 610, 611 zulässig bleiben soll. Dies aus gutem Grund: Die Einbringung der Attachments dient nicht nur dazu, die Invisalign®-Schiene adäquat positionieren zu können, sondern sie dient – wie die Einbringung von Brackets – dazu, eine kontrollierte Einzelzahnbewegung mit Alignern zu ermöglichen. So trat die neue GOZ zum 1.7.2012 mit nur wenigen für den Kieferorthopäden relevanten Änderungen in Kraft: Zum 1.7.2012 muss der Kieferorthopäde gemäß §10 Abs. 1 GOZ jenes „vorgeschriebene Rechnungsformular“ gemäß Anlage 2 verwenden (das in diesen Tagen vom Gesetzgeber nochmals überarbeitet wird), wenn er nicht Gefahr laufen will, dass seine Rechnung nicht fällig wird. Dieser Vordruck ermöglicht es den PKVen und der Beihilfe, diese Rechnung einzuscannen und EDV-mäßig durch Auswertung der vorgesehenen Textfelder schnell zu erfassen, wie oft z.B. eine einzelne GOZ-Position abgerechnet worden ist. Der Begriff der Maschinenlesbarkeit ist mit anderen Worten kein Gesetzesbegriff und besagt lediglich, dass ein bestimmter Papiervordruck künftig bei der Abrechnung zahnärztlicher Leistungen von dem Zahnarzt verwendet werden muss. In diesem Vordruck ist auch ein Feld vorgesehen für die Eintragung eines Eurobetrages im Zusammenhang mit Laborauslagen. Für die Laborabrechnung selbst gibt es keinen vergleichbaren Vordruck und eine Maschinenlesbarkeit der Laborabrechnung ist in der GOZ weder für die Abrechnung des Eigen- noch für die des Fremdlabors vorgesehen.
Vor der GOZ-Novelle war vereinzelt die Tätigkeit im Rahmen der ClinCheck®-Bearbeitung durch einen Rückgriff auf die Gebührenordnung der Ärzte (GOÄ) abgerechnet worden. Pos. 5377 GOÄ sieht zwar im Bereich radiologischer Leistungen einen „Zuschlag für eine computergesteuerte Analyse – einschließlich speziell nachfolgender 3-D-Rekonstruktion –“ vor. Diese Abrechnung hat sich aber in der Erstattungspraxis privater Krankenversicherungen nicht durchgesetzt, obwohl eine scheinbar befürwortende Stellungnahme der Zahnärztekammer Brandenburg vom 21.11.2007 betreffend die „computergestützte Auswertung von Modellen, Fotos und FRS-Bildern“ bekannt ist. Eine Rechtsanalogie im Sinne einer Übertragung auf die ClinCheck®-Bearbeitung begegnet aber Bedenken: Hätte der Gesetzgeber das ihm bekannte Invisalign®-Verfahren unter Verwendung der ClinCheck®-Software regeln wollen, hätte hierzu im Rahmen der aktuellen GOZ-Novelle Gelegenheit bestanden, sodass heute nicht mehr davon ausgegangen werden kann, dass überhaupt eine vom Gesetzgeber unbeabsichtigte Regelungslücke vorliegt. Bei der Beurteilung der Zulässigkeit der analogen Anwendung einer Abrechnungsnorm ist ferner in Betracht zu ziehen, ob die eintretenden Rechtsfolgen adäquat sind. Dies ist hier zu verneinen, da Pos. 5377 GOÄ max. mit dem einfachen Gebührensatz abrechenbar ist, mithin in Höhe von 46,63€. Selbst wenn eine Regelungslücke zu bejahen sein sollte, würde die analoge Rechtsanwendung nicht zu einer adäquaten Vergütung führen.
Weiterhin soll auf ein nicht rechtskräftig gewordenes Urteil des Landgerichtes Düsseldorf, Urt. v. 8.9.2011, 11 O 87/09, hingewiesen werden, durch das die Klage eines Versicherungsnehmers auf Erstattung der KFO-Behandlungskosten seines Kindes abgewiesen wurde. Problem war, dass der Behandler einen einheitlichen Heil- und Kostenplan erstellt hatte, der die Behandlung bis zum Zahndurchbruch erfasste und auch die Behandlung danach. In dem Plan hatte der Behandler offen gelassen, mit welchen Behandlungsapparaturen die zweite Phase der Behandlung durchgeführt werden solle (mit Multiband oder Invisalign®), da im Zeitpunkt der Planung noch nicht absehbar war, welchem der beiden Verfahren er/die Eltern den Vorzug geben würden. Der Sachverständige beanstandete dies und vermochte eine Aussage zur medizinischen Notwendigkeit der zweiten Behandlungsphase nicht zu treffen, da ihm – genau wie auch dem Behandler – die erforderlichen Anknüpfungspunkte fehlten. Auch eine Einbestellung der Patienten zur klinischen Untersuchung während des laufenden Verfahrens wollte der Sachverständige nicht vornehmen, da insofern auf den Zeitpunkt der Planerstellung abzustellen sei. Der Sachverständige stellte insofern das Postulat auf, dass beide Behandlungsphasen durch einen separaten Heil- und Kostenplan sukzessive zu planen und zu kalkulieren seien.
Das Landgericht sah damit den Beweis der medizinischen Notwendigkeit der gesamten Planung als nicht geführt an und wies die Klage ab. Zweifel begegnet diese Entscheidung schon wegen der Formulierung in GOZ 606–608, wonach kieferorthopädische Behandlungspläne eine Behandlungsprognose für einen Zeitraum von vier Jahren entwerfen sollen, der vorliegend nicht einmal erreicht worden war. Vor allem spricht gegen die Entscheidung des Landgerichts, dass auf diesem Wege die Einheitlichkeit der Planung aufgegeben wird, der Patient also nicht mehr davon ausgehen könnte, dass in einem Heil- und Kostenplan eine abschließende Kostenkalkulation erfolgt, sondern vielmehr je nach Aktualisierung der Prognose im Behandlungsverlauf auch eine Erhöhung der Behandlungskosten jederzeit möglich ist. Auch den Kostenträgern wären Prüfungen und Kostenzusagen vor Beginn einer Behandlung kaum mehr möglich, wenn die Anforderung an eine einheitliche Kostenkalkulation vor Beginn der Behandlung aufgegeben würde.
Vor diesem Hintergrund wäre das berechtigte Interesse von Versicherungsnehmern vereitelt, vor Einleitung einer Behandlungsmaßnahme zu wissen, ob der Kostenträger einstandspflichtig ist oder nicht. Schließlich wäre das Ziel der GOZ-Novelle unterlaufen, vor Behandlungsbeginn die voraussichtlichen Gesamtkosten für Material und Labor im Sinne von Kostentransparenz möglichst abschließend zu bestimmen (§9 GOZ). Während des Berufungsverfahrens konnte die Behandlung abgeschlossen und abgerechnet werden, sodass konkrete Leistungsabrechnungen möglich geworden sind und der Rechtsstreit durch Vergleich beendet werden kann.
Die Neuregelung zum Kostenvoranschlag für zahntechnische Leistungen gemäß §9 Abs. 2 GOZ trägt dem Umstand Rechnung, dass im prothetischen und implantologischen Bereich der Anteil der Material- und Laborkosten konstant steigt und der Gesetzgeber so Kostentransparenz aus Gründen des Verbraucherschutzes auch für die Laborleistungen für erforderlich hielt. Im Bereich der Alignerbehandlung sind derartige Preissteigerungen indes nicht zu beobachten. Immerhin ist für die Alignerbehandlung festzuhalten, dass Material- und Laborkosten von der PKV in dem anfallenden Umfang zu erstatten sind, da nach der Allgemeinen Bestimmung G. 1. der Ausschluss der Materialkostenerstattung ausschließlich für die in den Pos. 610ff geregelte Bracketbehandlung, aber eben nicht für die Alignerbehandlung gilt.
Im Rahmen einer Lingualbehandlung dürfen folglich Material- und Laborkosten nicht zulasten des Patienten liquidiert werden, selbst wenn die Behandlung als medizinisch notwendig anzusehen ist. Der Patient wird vor einer Lingualbehandlung unter Einschaltung eines externen Labors die Aufklärung darüber beanspruchen können, dass die Kosten des industriellen Labors – anders als im Falle einer Alignerbehandlung – nicht erstattet werden dürfen, da sie im zahnärztlichen Hono-rar enthalten sind. Eine Lingualbehandlung wird den Patienten daher oft in Höhe der nicht erstattungsfähigen Laborkosten effektiv teurer kommen als eine Alignerbehandlung. Hierüber ist der Patient zu informieren.
„Die Leistungen nach den Nummern 6100, 6120, 6140, 6150, 6160 beinhalten auch die Material- und Laborkosten für Standardmaterialien, wie z. B. unprogrammierte Edelstahlbrackets, unprogrammierte Attachments und Edelstahlbänder.“ Wie Aligner können auch Unterkiefer-Protrusionsschienen (zur Therapie schlafbezogener Atemstörungen) nicht zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung abgerechnet werden. Die Produktart der orofazialen Gebissschienen war 2005 ersatzlos aus dem Hilfsmittelverzeichnis der gesetzlichen Krankenkassen nach §34 Abs. 4 Satz 1 SGB V gestrichen worden. Bis zu einer befürwortenden Stellungnahme des Gemeinsamen Bundesausschusses ist deshalb davon auszugehen, dass der therapeutische Nutzen dieser Schienen nicht belegt ist (Sozialgericht Berlin, Urt. v. 4.1.2012, S 112 KR 766/09). Möglicherweise wird hier die zum 1.1.2012 in Kraft getretene Regelung zur Erprobungsrichtlinie nach §137e SGB V zu einer neuen Beurteilung führen. Danach hat der gemeinsame Bundesausschuss künftig binnen drei Monaten über das Potenzial einer neuen Methode zu entscheiden.
Die Abrechnung der GOZ 700, 704 kann in Betracht kommen, wenn neben der orthodontischen Behandlung eine funktionstherapeutische Therapie weitergeführt wird und der eingesetzte Aligner etwa labortechnisch zu einem Aufbissbehelf verändert wird. Sowohl der Ausgangsbefund einer craniomandibulären Dysfunktion wie auch die spezifisch funktionstherapeutische Zielsetzung sollten dann dokumentiert sein.
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass sich die Abrechnung der Alignerbehandlung „eingespielt“ und auch die neue GOZ zumindest insofern keine Irritationen verursacht hat. Rechtsfragen der Mehrkostenvereinbarung im Bereich der gesetzlichen und privaten Krankenversicherung dürften für die Abrechnung der Alignerbehandlung auch künftig nicht rele-
vant werden. Einzelne private Krankenversicherer befürworten zwischenzeitlich aktiv die Alignerbehandlung und gehen Kooperationen ein – letztlich zur weiteren Standardisierung der Abrechnung. Beihilfepatienten haben einen tariflichen Leistungsanspruch.