Branchenmeldungen 11.09.2025
Big Bang KI Festival in Berlin: Wer heilt morgen – Mensch oder Maschine?
share
Schon das Programm zeigte, dass KI zwar der rote Faden war, die Diskussionen aber weit darüber hinausgingen. Management, Führung, Kommunikation, Diversity. All das fand seinen Platz neben Sessions, die tief ins Gesundheitswesen eintauchten oder Zukunftsvisionen entwarfen, die noch vor kurzem als Science-Fiction durchgegangen wären. Zwischen Bühnen und Workshops zog sich eine Industrieausstellung, die neueste Technologien nicht nur vorstellte, sondern erlebbar machte. Roboter der nächsten Generation liefen selbstbewusst durch die Hallen, probten ihre Schritte vor den Besuchern und demonstrierten damit, dass der Sprung vom Labor in den Alltag längst erfolgt ist.
Demografischer Wandel als Treiber der Digitalisierung
Wie stark der Druck auf das Gesundheitswesen steigt, zeigte die Session „Health Forward – wie Deutschland die Medizin von morgen gestalten kann“. Prof. Heyo K. Kroemer, Vorstand der Charité, machte deutlich, dass in den kommenden Jahren etwa ein Drittel der Mitarbeitenden seiner Einrichtung in den Ruhestand gehen wird. Ein solcher Aderlass lasse sich nicht auffangen, wenn Prozesse so behäbig bleiben wie bisher. Nur schlanke, digitale Abläufe könnten helfen, diesen Verlust an Fachkräften zumindest teilweise abzufedern. Zugleich dürfe das Ziel nicht darin bestehen, Ausfälle zu kompensieren, sondern Krankheit von vornherein zu vermeiden. Dass Apps dabei längst ihren Platz gefunden haben, machte er an einem Beispiel deutlich: Wo früher drei Personen nötig waren, um ein EKG zu schreiben, reicht heute eine Apple Watch.
Noch konkreter wurde es in der Diskussionsrunde „Check-Up – Wo steht die KI im Gesundheitswesen“. Dr. Jens Baas, Vorstandschef der Techniker Krankenkasse, brachte die Haltung vieler auf den Punkt: Niemand werde durch KI überflüssig, aber das Arzt-Patienten-Verhältnis werde sich grundlegend verändern. Elisabeth L’Orange, Partnerin bei Deloitte und Podcast Host Tech & Tales, beschrieb ein Gesundheitssystem, das künftig ohne Vorauswahl nicht überleben werde. Den Facharzt einfach frei bestimmen, das werde 2030 nicht mehr realistisch sein. Dr. Tobias Heimann von Siemens Healthineers bestätigte, dass sich die Rolle der Ärztinnen und Ärzte verschiebt, auch wenn sie unverzichtbar bleiben. L’Orange ergänzte nüchtern, dass solche Systeme kaum in Deutschland entwickelt werden dürften, weil Kapitalstrukturen und Regulatorik zu starr sind. Ihre Botschaft war klar: „KI ist die einzige Chance, in Zukunft noch eine vernünftige Versorgung zu gewährleisten.“
Dass Transformation nicht nur von Technologie lebt, sondern auch von Kultur und Führung, machte das Panel „Female Legacy – Wenn Frauen Unternehmen weiterdenken“ sichtbar. Evelyne de Gruyter vom Verband deutscher Unternehmerinnen forderte, weibliche Vorbilder endlich sichtbar zu machen, während Larissa Zeichhardt, die gemeinsam mit ihrer Schwester die LAT Gruppe führt, aus ihrer eigenen Branche erzählte. Bahntechnik, Stromversorgung, Netzwerke entlang von Schienen – das ist ein Terrain, in dem Frauen selten Führungsverantwortung tragen. Zeichhardt zeigte, dass es gerade in solchen Umfeldern Vielfalt braucht. Frauen, so ihre Beobachtung, könnten oft um die Ecke denken, gerade bei schwierigen Fällen, und seien damit ein Motor, der Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit stärkt.
Die großen Visionen lieferte unter anderem Zukunftsforscher Sven Gábor Jánszky. Sein Vortrag „Die Zukunft nach der KI-Revolution“ spannte einen weiten Bogen bis ins Jahr 2035. Menschen würden dann Supervisoren der KI sein, humanoide Roboter würden längst im Service arbeiten, und digitale Abbilder ermöglichten es Familien, mit Verstorbenen in Kontakt zu bleiben. Noch weiter gedacht, läge in Brain-Computer-Interfaces das Potenzial, telepathische Kommunikation technisch umzusetzen. Besonders eindrücklich war nicht nur die Fülle an Zukunftsszenarien, sondern auch die kleine Geschichte, die Jánszky von seinem Sohn erzählte. Kinder, so seine Beobachtung, glaubten unbefangener an diese Entwicklungen, weil sie keine negativen Erfahrungen gesammelt haben und daher neuen Technologien offener gegenüberstehen. „Zukunft entsteht immer aus den neuen Möglichkeiten der Zukunft“, formulierte er. Nicht als nüchternes Fazit, sondern als Haltung, die sich aus dieser kindlichen Unvoreingenommenheit ableitet. Gegenwartsanalysen, so Jánszky, reichen nicht aus. Es sind die Zukunftsanalysen, die den Weg weisen.
Foto ©OEMUS MEDIA AG
Einer der Höhepunkte war der Auftritt von Richard David Precht. Der Philosoph stellte die Frage, welche Intelligenz die Zukunft bestimmen werde: die menschliche oder künstliche. KI könne Prozesse beschleunigen, Bürokratie verschlanken und Systeme steuern. Doch den Kern menschlicher Medizin könne sie nicht ersetzen. „Der Arzt ist der Mensch, der aufmerksam bleibt und zuhört. Diese persönliche Beziehung zwischen Patient und Arzt kann keine KI ersetzen.“ Damit brachte Precht das Spannungsfeld auf den Punkt, das über allen Diskussionen in Berlin lag. KI gilt als Motor der Transformation, doch ohne menschliche Nähe bleibt sie Werkzeug. Ob das Gesundheitswesen diesen Balanceakt meistert, wird darüber entscheiden, ob der Wandel als Chance oder als Zumutung empfunden wird.
So war das Big Bang KI Festival am Ende mehr als eine Tech-Show mit viel "Boom and Bäng". Es war ein Schaufenster für die Kraft der Digitalisierung, aber auch ein Spiegel für die Fragen, die sich jede Branche stellen muss. Wie viel können wir Maschinen überlassen und wo bleibt der Mensch? Und wie schaffen wir vor allem die Strukturen, in denen beides nicht gegeneinandersteht, sondern sich ergänzt.