Branchenmeldungen 19.09.2016

Hausarzt und Zahnarzt: Schnittstellen aktivieren zum Wohle Älterer



Hausarzt und Zahnarzt: Schnittstellen aktivieren zum Wohle Älterer

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Die Zusammenhänge von Mund- und Allgemeingesundheit erfordern die Kooperation von Allgemein- und Zahnmedizinern, besonders bei der Versorgung älterer Patienten. Neben der Therapie von Erkrankungen betrifft dies auch 
Aspekte der Prävention. Beide Arztgruppen sind – ohne offizielle Überweisungsmöglichkeit – administrativ getrennt.

Eine Interviewstudie in Baden-Württemberg mit Haus- und Zahnärzten ergab: Obwohl die Zusammenhänge zwischen Mund- und Allgemeingesundheit beiden Arztgruppen teilweise bekannt sind, gibt es keine interdisziplinären Kontakte oder 
Konzepte. Präventive gerontostomatologische Aspekte wurden in den Aussagen der Studie nicht thematisiert, auch wenn ein wesentliches Kontaktfeld beider Arztgruppen der multimorbide Patient und die Betreuung von Patienten in Altenheimen ist. Allerdings besteht Hoffnung …

Alte bzw. geriatrische Patienten stellen Zahnärzte vor Herausforderungen praktischer Art: etwa bei der Verständigung (Schwerhörigkeit, Denk- und Merkfähigkeit), Bewegung (Gangunsicherheit, Sehschwäche) und auch der Durchführung der Behandlung (muskuloskelettale Erkrankung, Schmerzen, Tremor). Zudem müssen Grunderkrankungen und Pharmakotherapie in den Behandlungskonzepten berücksichtigt werden. Dies berührt auch die momentane sowie mittelfristig zu erwartende Veränderung im sozialen Umfeld des Patienten (Übergang aus der Selbstständigkeit in Pflegesituationen). Für 
Patienten in Pflegeheimen oder Hos
pizen gilt dies umso mehr. Daher ist 
häufig auch eine Rücksprache mit 
betreuenden Haus- und Fachärzten sowie Pflegenden und Angehörigen notwendig.

Selbige Forderung kann jedoch auch an Hausärzte gestellt werden. So wäre es wünschenswert, wenn Hausärzte einschlägige neue Erkrankungen an den Zahnarzt zeitnah rückmelden. Konkret beinhaltet dies: sämtliche systemische Erkrankung, die zur Reduktion von kognitiven und/oder motorischen (insbesondere manuellen) Fähigkeiten führen. Ebenso alle Medikationen, für welche orale Manifestationen bekannt sind. 
So könnten Zahnarzt und Patient früh
zeitig Mundgesundheitsstrategien (Prophylaxe, Pflegeprotokolle) und auch hilfreiche Veränderungen des Zahnersatzes planen und gemeinsam besprechen.

Schlussendlich könnte sich durch die Kooperation von Hausärzten und Zahnärzten die Lebensqualität und Ernährungssituation geriatrischer Patienten verbessern. Zudem ließe sich die Prävalenz chronischer und akuter Entzündungen verringern und so das 
Morbiditäts- und Mortalitätsrisiko der Patienten senken. 

Befragt: Interviews mit 
Zahnärzten und Hausärzten

Zur Kooperation von Haus- und Zahnärzten liegen derzeit in Deutschland keine hinreichenden Informationen vor. Da keine formelle Überweisungsmöglichkeit besteht, sind diese nicht zentral auswertbar.1 Außerdem wurde 
festgestellt, dass der Wissenstransfer zu Zusammenhängen von Mund- und Allgemeingesundheit vornehmlich in 
der zahnmedizinischen, nicht aber in 
der gängigen Literatur der Allgemeinmedizin verortet ist.2

Deshalb zielte eine vom Land Baden- Württemberg geförderte Versorgungsforschungsstudie darauf ab, Zuweisungsanlässe und Kooperations- sowie Kommunikationsformen aufzudecken. Haus- und Zahnärzte wurden zufällig ausgewählt und telefonisch kontaktiert, um für ein Interview in der Praxis 
besucht zu werden. Auswahlkriterium 
war die Lage der Praxis in einer 
Großstadt (G), Metropolregion (M) und ländlichen Region (L). Sechs Frauen sowie 22 Männer sagten zu, davon 
15 Hausärzte und 13 Zahnärzte. Die 
Gespräche wurden unter Verwendung eines teilstrukturierten Interviewleit
fadens durchgeführt und mit Inhaltsanalyse nach Mayring ausgewertet.3,4 

Routinekontakte, 
keine Kooperation

Generell ist festzuhalten, dass die Interviewten nicht oder nur kaum von einer weitgehenden Kooperation beider Arztgruppen berichteten.

Zahnärzte kontaktieren Hausärzte vorwiegend aus Gründen der Rückversicherung vor einem invasiven zahn
ärztlichen Eingriff – insbesondere bei Therapie mit Antiagulantien.

Der kontaktierende Zahnarzt möchte sich beim Hauptthema „Antikoagulation“ auf die Einschätzung des Haus
arztes verlassen können. Wenn nicht der Patient den Zuweisungsgrund selbst berichtet, fließen die Informationen via Anruf des Zahnarztes oder der Zahnarzthelferin. Zahnarzt ZA-M-01: „Mit Marcumar […] findet gar kein Gespräch mehr statt, weil das so routiniert ist, mit den Hausärzten. Da genügt sogar von Helferin zu Helferin dieses 
Gespräch.“ Hausärzte veranlassen bei Feststellung eines desolaten Zahnstatus – teilweise auch bei Veränderung von Mundschleimhaut und Zahnfleisch – die Zuweisung zum Zahnarzt. Dazu äußert HA-M-03: „Im Rahmen von 
Gesundheitsvorsorgeuntersuchungen schaue ich auch immer den Zahnstatus mit an […] ich schicke doch immer wieder Patienten auch zum Zahnarzt, ja.“ Interessanterweise stellen Zahnärzte diese reguläre Inspektion der Zähne und Mundhöhle durch den Hausarzt infrage. 

Allgemeinerkrankungen 
und Mundgesundheit: 
Keine gemeinsamen Konzepte

Zahnärzte nennen vereinzelt als Zuweisungsgrund zum Hausarzt den Verdacht auf eine beginnende Demenz, Veränderungen der Mundschleimhaut wie auch Auffälligkeiten in Panoramaschichtaufnahmen.

Hausärzte hingegen fordern Patienten nicht im Zusammenhang mit einer Allgemeinerkrankung auf (zum Beispiel 
Diabetes), zahnärztlich vorstellig zu 
werden. Auch kontaktieren Hausärzte Zahnärzte für konsiliarische Rücksprachen nicht oder nur äußerst selten. 
Der Gedanke einer ganzheitlichen Betrachtung des Patienten im Kontext 
der Zusammenhänge zwischen Mund- und Allgemeingesundheit, etwa bei Kopf- und Gesichtsschmerzen oder 
Diabetes, wurde nur vereinzelt und 
vorwiegend bei Hausärzten mit ganzheitlichen Schwerpunkten (z.B. Naturheilverfahren) geäußert.

Medikation des Patienten: Scheideweg und Kontaktanker 

Wie oben ausgeführt, lösen Fragen 
zur Medikation Rückfragen seitens der Zahnärzte aus. Die Zahnärzte sprechen hier von ihrer fachlichen Unsicherheit 
in der Pharmakotherapie. Ein Zahnarzt äußert sich aber auch kritisch zur 
Medikation von Patienten: „Die haben über manch spezielle Probleme keine Ahnung, die Hausärzte. Die wissen nicht, was sie verschreiben, was das 
für Folgen in der Zahnmedizin hat.“Hausärzte erwarten allerdings von Zahnärzten eine Kompetenz im Umgang mit, vor allem auch „neuen“ Medikamenten. Eine Hilfe könnten hier stets aktualisierte Medikamentenpläne sein, die nicht nur den Handelsnamen bzw. Wirkstoff plus Dosierung, sondern auch die Klasse bzw. Indikation des 
Medikaments beinhaltet. Erstaunlicherweise betrachten beide Arztgruppen das Thema „Medikation mit Bisphosphonaten“ als unkritisch bzw. in der 
täglichen Routine vernachlässigbar. 

Stellenwert der Zahnmedizin

Aus Perspektive der Hausärzte scheint der Stellenwert der Zahnmedizin gegenüber anderen Fachärzten geringer. Zum Beispiel wird der Zahnarzt, wenn es um Kopf- und Gesichtsschmerz geht, den HNO-Ärzten und Neuro
logen nachgeordnet.

Die Zahnmedizin wird von den Hausärzten als „weiter weg“ oder „parallel“
zur Medizin empfunden. Allerdings sehen Hausärzte schon Anlass für 
eine (bessere) Kooperation, „weil die Zähne ja eigentlich schon dazuge
hören ein Stück weit“, (HA-M-01).

Kooperations- und 
Handlungsfeld Pflegeheim

Patienten in Pflegeheimen führen zum Kontakt beider Arztgruppen. Dass die Zahnmedizin im Altersheim ankommt, zeigen die aktuellen Daten der KZBV.5  Doch besteht derzeit wohl noch in der Zusammenarbeit Unsicherheit zu Fürsorgeaufgaben beider Arztgruppen. Die Hausärztin G-01 annotiert: „Problem Nummer eins sind die Transportscheine. […] Wir haben immer das Gefühl, der Zahnarzt schiebt den Transportschein auf uns ab. Da ist uns die Rechtslage nie ganz klar.“ Auf der anderen Seite gibt es für Pflegeeinrichtung zuständige Zahnärzte, bei denen das Vorgehen in gemeinsam mit den Hausärzten erstellten QM-Handbüchern so weit etabliert ist, dass die Helferinnen etwa den Transport abwickeln können und bei Neuaufnahmen in Routine auch der Zahnarzt Auszüge der Pflegeunterlagen erhält und für die Erstbefundung hinzugezogen wird. 

Hürden zur Verbesserung

Fernmündliche Rückfragen sind für Zahnärzte am gängigsten. Sie erreichen aber auf diesem Wege Hausärzte nur selten. Beide Gruppen wünschen sich jedoch eine schnelle und reibungslose Abwicklung von Zuweisungen. Schriftstücke sieht man dabei jedoch kritisch: Aufgrund des Aufwands und – interpretativ – auch wegen forensischer Bedenken. Neben Zeitknappheit fällt es beiden Arztgruppen auch schwer, die Informationen in den Versorgungskontext einzuordnen. Daher beschränkt sich der Austausch auf wenige, aktuell relevante Inhalte und nutzt vorrangig den Patienten selber als Informationsüberbringer. Problematisch ist hierbei, dass Patienten Informationen (z.B. Zuweisungsgrund) selbst verändern oder nicht kommunizieren können. Eine direkte Absprache zwischen den Ärzten behindert in beiden Fällen die hohe Arbeitsbelastung und die aus der Patientenzahl erwachsende Menge an Kooperationspartnern. Deshalb können sich auch nur selten regelmäßige Kontakte etablieren. Hilfsweise greifen beide Arztgruppen konsiliarisch vornehmlich auf „persönlich bekannte“ Kollegen zurück. Im ländlichen Raum stellte es sich besser dar: Hier ist durch die geringere Arztdichte bei gleichem Patientenaufkommen die Kommunikation und das Kennen – auch über größere Distanzen – häufiger. 

Fazit

Im Ergebnis ist die Kooperation durch bestehende Selbst- und Fremdbilder beeinflusst. Die Literatur gibt Anhalt dazu, dass Ursachen für die Attribuierung von Kompetenz bereits in der 
Sozialisation während des Studiums zu suchen sind. Durch die Aussagen zeigt sich, dass häufig Unsicherheit über die Kompetenz des „anderen Kollegen“ 
besteht. Gleichzeitig attribuieren sich beide Arztgruppen Kompetenzen auf ihrem jeweiligen Gebiet, stellen jedoch die Kompetenz des anderen auf dem eigenen Gebiet infrage. Mehr Wissenstransfer in Form von gemeinsamen 
Fortbildungen der Ärzte- und Zahnärztekammern wird begrüßt. Dazu müssen allerdings die Präferenzen der jüngeren Arztgeneration, die Anforderungen durch die Feminisierung beider Berufsgruppen und die Veränderung in der Versorgungsstruktur noch erhoben und berücksichtigt werden. 

Eine vollständige Literaturliste finden Sie hier

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