Branchenmeldungen 28.06.2024
MIH und MMH: Wie ist der aktuelle Stand der Erkenntnisse?
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Dieser Beitrag ist unter der Originalüberschrift „MIH und MMH: Wie ist der Stand 2024?“ in der ZWP Zahnarzt Wirtschaft Praxis erschienen.
Die Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation (MIH) und die Milchmolaren-Hypomineralisation (MMH) sind neuzeitliche Phänomene ohne Ablaufdatum. Im Gegenteil, beide Erkrankungen werden höchstwahrscheinlich zunehmen. Prof. Dr. Katrin Bekes gilt als Expertin auf dem Gebiet und erläutert im Kurzinterview den Status quo.
Prof. Bekes, es wurde schon viel zur MIH gerätselt und gesagt – wie ist der aktuelle Stand der Erkenntnisse und Versorgung?
Die Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation tritt bei Kindern weltweit auf, wobei die Angaben zur Häufigkeit in der Literatur schwanken. Nach der aktuellen Mundgesundheitsstudie (DMS V) weisen in Deutschland 28,7 Prozent der Zwölfjährigen mindestens einen ersten permanenten Molaren mit einer Hypomineralisation auf. Andere regionale Studien in Deutschland zeigen etwas geringere Zahlen. Der weltweite Schnitt liegt bei etwa 13 bis 14 Prozent, was zeigt, dass wir die MIH nicht vernachlässigen dürfen. Sie ist eine ernst zu nehmende Erkrankung. Tatsächlich liest und hört man heute viel mehr über die MIH als früher. Die Frage ist aber durchaus, ob die Erkrankung rezent häufiger auftritt oder ob sie heute „nur“ schneller erkannt wird. Ich denke, dass die Wahrheit vermutlich irgendwo in der Mitte liegen wird. Fakt ist, dass wir erst seit mehr als gut 20 Jahren das Feld der MIH-Forschung erschließen, inklusive vorliegender Prävalenzzahlen weltweit. Seitdem ist das Krankheitsbild immer mehr ins Bewusstsein der zahnärztlichen Kollegenschaft getreten, nicht nur in der Kinderzahnheilkunde. Wie oben beschrieben, wird weltweit davon ausgegangen, dass circa jedes 7. bis 8. Kind betroffen ist. In Deutschland erwarten wir im ersten Halbjahr des nächsten Jahres mit Spannung die bundesweiten neuen Daten für die Zwölfjährigen. Hier werden wir sehen, wie es sich dann hier im Lande mit der Entwicklung der Zahlen verhält.
Gibt es neue Aufschlüsse zu den Entstehungsgründen von MMH und MIH?
Die Ursachen für die Entstehung der Erkrankung sind leider bisher immer noch nicht abschließend geklärt. Es wird somit weiterhin in diesem Bereich geforscht. Derzeit ist man sich ziemlich sicher, dass es sich um ein multifaktorielles Geschehen handelt und nicht nach einem einzigen Auslöser zu suchen ist. Da die betroffenen Zähne (bleibende Molaren und bleibende Inzisiven) um die Geburt und in der frühen Kindheitsphase mineralisieren, sondiert man in der Forschung genau diese Zeitspanne. In den Fokus geraten sind hierbei Kinderkrankheiten (Bronchitiden, Pneumonien, Mittelohrentzündungen etc.) oder Antibiotikagaben. Einige zuvor beschriebene Thesen (z. B. längeres Stillen, niedriges Geburtsgewicht, mütterliche Gewohnheiten: Rauchen, Alkohol, Medikamente) werden nicht mehr mit der Genese der MIH in Verbindung gebracht. Erschwerend bei der Erforschung der Ursachen ist, dass die betroffenen Zähne erst um das sechste Lebensjahr bzw. später eruptieren und momentan tatsächlich erst zu diesem Zeitpunkt die Diagnose gestellt werden kann.
Was machen für Sie die Themen MIH und MMH so wichtig?
Sowohl die Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation als auch die Milchmolaren-Hypomineralisation sind aufgrund der oben angesprochenen hohen Prävalenzzahlen nicht mehr aus dem klinischen Alltag der Zahnmedizin wegzudenken. Nicht umsonst wurde bereits vor Jahren von einer „neuen Volkskrankheit“ gesprochen. Das klinische Erscheinungsbild von MIH und MMH ist hoch variabel – es reicht von kleinen weißlichen Opazitäten bis zu stark destruierten Zähnen in Kombination mit einer Hypersensibilität. Das Verständnis um diese Variabilität des Krankheitsbildes und die sich daraus ergebenden individuellen Aufgaben seitens des Praxis-Teams sind essenziell. Wichtig ist es, dass das Krankheitsbild der MIH frühzeitig diagnostiziert wird, die Eltern darüber informiert und aufgeklärt und für das Kind entsprechende Therapiemaßnahmen angeboten werden.